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Zeichnung eines Hai-artigen Fischs mit extrem lang ausgezogenen Brustflossen

© Illustration: Vullo et al., Science 2021

Experiment der Evolution: „Engel der Meere“ kombinierte Antriebsweisen

Vor rund 90 Millionen Jahren glitt ein Hai mit sehr langen Brustflossen wie ein Rochen durch das Meer. Er konnte aber auch schwimmen wie heutige Haie.

„So ein Tier habe ich noch nie gesehen, das ist etwas völlig Neues“, dachte Eberhard Frey vom Naturkundemuseum Karlsruhe, als sein freiberuflicher mexikanischer Kollege Margarito González González ihm im Herbst 2011 eine rund 90 Millionen Jahre alte Kalkplatte auf der Ladefläche seines Trucks zeigte.

Im Stein zeichnete sich ein Fisch mit einem erstaunlich breiten Kopf, der typischen Schwanzflosse eines Haies und sehr langen, schmalen Brustflossen ab. Deren Spannweite war ähnlich wie bei den Flügeln von Albatrossen und Segelflugzeugen größer als die Körperlänge. „Engel der Meere“ haben die beiden Paläontologen damals dieses seltsame Tier genannt, das anscheinend wie auf Flügeln durch das Wasser glitt.

Heute nennt Eberhard Frey diesen Fisch mit dem einzigartigen Design „Adlerhai“ und beschreibt den spektakulären Fund mit dem wissenschaftlichen Namen Aquilolamna milarcae gemeinsam mit Romain Vullo von der Universität im bretonischen Rennes und weiteren Kollegen in der Zeitschrift „Science“.

Zwei Antriebssysteme

Arbeiter hatten die Kalksteinplatte in einem Steinbruch entdeckt und González über den Fund informiert. Bis auf die Spitze einer der langen Brustflossen sind die Umrisse des gesamten Adlerhais in der Steinplatte erhalten. „Am Kopf des Tieres sieht man sogar noch kleinste Schüppchen“, berichtet Frey. So gut bleiben Fossilien nur unter besonderen Umständen erhalten.

Dort, wo heute die nordamerikanische Prärie noch in den Nordosten Mexikos reichen, lag vor 90 Millionen Jahren ein rund 500 Meter tiefes Meer, aus dem später der Golf von Mexiko entstehen sollte. Die nächste Küste lag Hunderte von Kilometern entfernt, und am Grund dieses Meeres wurde oft der Sauerstoff knapp oder verschwand sogar ganz.

Normalerweise machen Aasfresser sich auch im Wasser rasch über verstorbene Tiere her und lassen kaum etwas für die Paläontologie übrig. In den Sauerstoff-freien Zonen am Grund des damaligen Meeres blieb der tote Adlerhai aber weitgehend intakt. Mit der Zeit wurden der Hai und viele andere Tiere immer tiefer unter Kalkschlamm begraben. Unter dem Druck dieser Ablagerungen entstand aus dem Schlamm schließlich der Plattenkalk, in dem die Umrisse des Adlerhais erhalten blieben.

Fossilien
Fossilien von Aquilolamna milarcae, der vor 90 Millionen Jahren durch die Meere der Kreidezeit schwamm.

© Vullo et al., Science 2021

„Seither haben wir jedes Detail des Tieres untersucht und exakt beschrieben“, erklärt Eberhard Frey, den viele Freunde und Kollegen „Dino“ nennen. Die Kiemen sitzen bei diesem Fossil wie bei allen Haien und anders als bei Rochen seitlich vor den Brustflossen und beweisen, dass der Adlerhai wirklich ein Hai ist. Dazu passt auch die Schwanzflosse, die langgestreckt weit nach oben ragt.

„Mit schlängelnden Bewegungen treiben ähnliche Schwanzflossen heutige Haie an, Spitzengeschwindigkeiten liegen bei 80 Kilometern in der Stunde“, berichtet Frey. So schnell dürfte der Adlerhai kaum gewesen sein, auch wenn das etwa 160 Zentimeter lange Tier noch einen zweiten Antrieb hatte: Die schmalen und superlangen Brustflossen hatten eine etwas größere Spannweite als der Körper lang ist.

Hungrig auf Schwimmendes und Schwebendes

„Ähnlich wie ein Schwan oder ein Reiher gemütlich mit den Flügeln schlägt, flogen auch die Adlerhaie unter Wasser“, erklärt Frey. Das ähnelt den heutigen Teufelsrochen, deren Brustflossen allerdings breit und dreieckig sind. Es gibt noch eine weitere, auffällige Gemeinsamkeit: Genau wie die Teufelsrochen heute ernährten sich auch die Adlerhaie der Kreidezeit von winzigen Lebewesen, die im Wasser schweben, dem Plankton. Um diese Mini-Organismen einzusammeln, mussten die Tiere damals nur ihr Maul aufsperren und schwimmen.

„Haie mit ähnlich gebauten Mäulern ernähren sich auch heute von Plankton“, berichtet Frey. Nur sind die Brustflossen eines solchen modernen Riesenhais breit und dreieckig wie bei anderen Haien auch. Die gegabelte Schwanzflosse liefert den Antrieb. Der Adlerhai ähnelte einer Mischung aus diesen Riesenhaien mit ihrem kräftigen Schwanzflossen-Antrieb und den Teufelsrochen, die mit den Flügeln schlagend vogelähnlich durchs Wasser gleiten.

Die Kombination beider Antriebsarten gab dem ausgestorben Aquilolamna milarcae sein bizarres Aussehen und ist ein frühes Experiment der Evolution: Etliche Jahrmillionen bevor sich die Teufelsrochen entwickelten, hatten die Adlerhaie diese gemächliche Fortbewegung bereits mit dem schnellen Antrieb durch ihren Schwanz und einer ähnlichen Ernährung ausprobiert.

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