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Vererbte Gene, aber auch zufällige Markierung am Erbgut beeinflussen, wie sehr wir später zu einer runden Körperform neigen. 

© Getty Images

Schon im Mutterleib gesetzt: Übergewicht hängt von Gen-Formatierung ab

Mehr als Lebensstil und die Gene: Bestimmte Modifikationen am Erbgut beeinflussen den Hunger und damit die Neigung für Adipositas bei Frauen.

Starkes Übergewicht ist kein Ergebnis von mangelnder Willenskraft, sondern eine chronische Krankheit, die Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs nach sich zieht. Neben den Betroffenen leidet auch die Gesellschaft darunter, denn die Zahl Übergewichtiger nimmt stetig zu. In Deutschland geht man davon aus, dass zwei von drei Männern und knapp die Hälfte der Frauen zu viele Kilos auf die Waage bringen.

Verursacht wird Adipositas vor allem durch den Lebensstil und sozioökonomische Benachteiligung. Auch die Gene spielen eine große Rolle: Eineiige Zwillinge haben ein ähnliches Risiko und bestimmte Genvarianten beeinflussen das Gewicht nachgewiesenermaßen. Doch können beide Faktoren die beobachtete Erblichkeit nicht vollständig erklären. 

Notizen im Erbgut stellen Gene stumm

Daher wird die Epigenetik, das sind zusätzliche Informationen, die ans DNA-Molekül angeheftet werden, als weiterer Einflussfaktor untersucht. Damit kann die Zelle Gene stummschalten, ohne in ihre Sequenz einzugreifen, indem sie diese wie mit Bleistift und Lineal durchstreicht – und teilweise sogar wieder wegradiert. Aber nur wenige Studien verknüpfen die epigenetischen Befunde auch eindeutig mit der Krankheit.

Einem Team um den Mediziner Peter Kühnen von der Charité scheint dies nun gelungen zu sein. Es hat an 1100 Proband:innen untersucht, wie Fettleibigkeit mit epigenetischen Markierungen an dem Sättigungsgen POMC zusammenhängt. Wie es im Fachblatt „Science Translational Medicine“ ausführt, steigt das Risiko für Adipositas um fast die Hälfte, wenn an dem Gen besonders viele der epigenetische Markierungen haften, es also gedämpft ist.

Allerdings war dies nur bei Frauen der Fall – weshalb, ist noch unklar. „Wir wissen nicht die Ursache, aber aus dem Tierreich kennen wir diesen Zusammenhang bereits“, sagt Kühnen im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Es sei sehr wahrscheinlich, dass nicht einfach Geschlechtshormone dafür verantwortlich sind, er vermutet einen „größeren, komplexeren Zusammenhang“, denn die Epigenetik des Vaters scheint ebenfalls eine Rolle zu spielen. Das würden andere Studien zeigen.

Wir wissen sehr wenig darüber, wie die Ernährung der Mutter die Entwicklung des Kindes beeinflusst.

Peter Kühnen vom Institut für Experimentelle Pädiatrische Endokrinologie an der Charité

Sicher ist nun jedoch, dass die Markierungen am Sättigungsgen bereits früh im Mutterleib festgelegt werden. Denn bei eineiigen Zwillingen, die dieselbe genetische Information teilen, waren die Markierungen viel ähnlicher als bei zweieiigen: Noch bevor sich die befruchtete Eizelle in zwei Embryonen aufteilt, werden die Markierungen gesetzt.

Muss sich die Mutter also während der Schwangerschaft nur „richtig“ verhalten, damit ihr nicht Kind übergewichtig wird? Kühnen verneint vehement: „Wir wissen sehr wenig darüber, wie die Ernährung der Mutter die Entwicklung des Kindes beeinflusst.“ Mit der Ausnahme von Folsäure, die nachgewiesenermaßen Wirbelsäulendefekten entgegenwirke, gäbe es zu dieser Fragestellung lediglich indirekte Hinweise, aber kaum „robuste Daten und gut geplante Untersuchungen“.

Im Gegenteil sei das epigenetische System „vermutlich stabiler als erwartet“, kleinere Schwankungen im Nährstoffangebot möglicherweise von den Zellen auszugleichen. Nach dazu arbeite die Epigenetik zufällig, erklärt der Mediziner. Man könne von außen nicht beeinflussen, wie das POMC-Gen im Mutterleib formatiert werde. Letztlich seien die genauen Vorgänge nicht vollständig geklärt.

Kleine Medikamentenstudie mit ersten Erfolgen

An einer kleinen Gruppe aus vier stark übergewichtigen Probandinnen und einem Probanden führte Kühnens Team einen kleinen Folgeversuch durch. Sie alle wiesen die auffällige Genmarkierung auf und sollten das Medikament Setmelanotid einnehmen, das bei einem Komplettausfall des POMC-Gens hilft, normal satt zu werden. Die Patient:innen empfanden daraufhin weniger Hunger und verloren innerhalb von drei Monaten im Schnitt fünf Prozent ihres Körpergewichts. Einige von ihnen setzten die Behandlung länger fort und nahmen weiter ab.

„Diese Ergebnisse zeigen zunächst einmal, dass sich ein epigenetisch verändertes POMC-Gen überhaupt potenziell medikamentös adressieren lässt“, sagt Kühnen. Große kontrollierte Studien müssten aber erst Wirksamkeit und Sicherheit über einen längeren Zeitraum demonstrieren. „Insgesamt könnte ein solches Medikament jedoch nur Teil einer umfassenden Behandlungsstrategie sein.“

Individuelle Risikofaktoren für Adipositas zu verstehen, ist ein wichtiges Thema, um den Betroffenen frühzeitig zu helfen, sagt der Mediziner. „Wer in der Jugend oder als Kind übergewichtig ist, wird das Problem mit hoher Wahrscheinlichkeit im Erwachsenenalter nicht los“.

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