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Nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie, deren Erreger höchstwahrscheinlich tierischen Ursprungs ist, machte es nötig, komplexe Zusammenhänge zwischen Mensch, Tier und Umwelt in der Gesundheitsforschung stärker zu berücksichtigen.

© AFP/JEFF PACHOUD

Mensch, Tier, Pflanzen: Warum Gesundheit neu gedacht werden muss

Angesichts der Folgen des Klimawandels, der Massentierhaltung und Antibiotika-Resistenzen sowie drohenden neuen Pandemien braucht es ein erweitertes Gesundheitsverständnis. Doch es wird schwierig sein, das Konzept „One Health“ umzusetzen.

Was sich im Organismus verändert, wenn ein Lebewesen krank wird, lässt sich in vielen Fällen präzise sagen. Worin „Gesundheit“ besteht, ist umgekehrt weit schwieriger zu definieren. Als „Zustand des vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens“ kennzeichnete sie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Jahr 1948.

Mit der Gründung einer „One Health Commission“ hat die WHO im Jahr 2017 dieser anspruchsvollen Definition einen noch weiteren Rahmen gesteckt. Diesen Begriff, mit dem die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen in ihrer gemeinsamen Umwelt zusammen gedacht werden soll, nahm der Deutsche Ethikrat auf seiner Jahrestagung „One Health: Gesundheit für alle(s)?“ am Mittwoch in Berlin genauer unter die Lupe.

One Health bedeutet eine Abgrenzung von einer Medizin, die sich auf den individuellen Körper fokussiert.

Soziologin Gesa Lindemann

Das Thema ist auch wissenschaftspolitisch aktuell: So hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Februar eine Richtlinie für die Förderung einer Forschungsplattform für One Health herausgegeben. Darin wird präzisiert: „One Health ist ein integrierter, vereinheitlichender Ansatz, der darauf abzielt, die Gesundheit von Menschen, Tieren und Ökosystemen nachhaltig ins Gleichgewicht zu bringen und zu optimieren. Er erkennt an, dass die Gesundheit von Menschen, Haus- und Wildtieren, Pflanzen und der weiteren Umwelt (einschließlich der Ökosysteme) eng miteinander verbunden und voneinander abhängig sind.“

Gehen Differenzierungen verloren?

Nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie, deren Erreger höchstwahrscheinlich tierischen Ursprungs ist, aber auch die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen machten es nötig, solche komplexen Zusammenhänge in der Gesundheitsforschung stärker zu berücksichtigen. Die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen aus dem Jahr 2008 soll deshalb im Teamwork mehrerer Ministerien zur Plattform „One Health“ weiterentwickelt werden. Auch ein gerade erschienenes Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung „Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) pocht auf die Untrennbarkeit der Gesundheit von Mensch und Natur und ein erweitertes Gesundheitsverständnis.

Angesichts der Folgen der Klimaveränderung, von Resistenzen gegen Antibiotika, die in der Massentierhaltung im großen Maßstab eingesetzt werden und von drohenden neuen Pandemien leuchtet das unmittelbar ein. Doch wie kann das „Silodenken“ der Fachdisziplinen, von dem auf der Tagung mehrfach die Rede war, überwunden werden? Und gehen dabei nicht notwendige Differenzierungen verloren?

One Health klingt schön, macht aber mächtig viel Arbeit.

 Ethikrat-Mitglied Petra Bahr

Für den Mediziner Martin Herrmann, Mitbegründer von KLUG – Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. und Mitglied der Arbeitsgruppe Klimawandel der Bundesärztekammer, ist klar, dass die Gesundheitsberufe hier mit ihrer Kompetenz gefragt sind: „Biodiversitäts- und Klimakrise sind schon heute ein medizinischer Notfall. Und mit Dringlichkeit umgehen, das können wir als Mediziner relativ gut.“ Unter anderem mit ihrem Engagement für Hitzeaktionspläne bringen Ärztekammern sich denn auch inzwischen auch gesellschaftlich verstärkt ein.

Begriff noch zu schwammig

„One Health bedeutet eine Abgrenzung von einer Medizin, die sich auf den individuellen Körper fokussiert“, so beschrieb es die Soziologin Gesa Lindemann in ihrem Einführungsvortrag. „Der Mensch wird hier zudem als Organismus unter Organismen verstanden.“ Ihm komme zwar keine normative Vorrangstellung mehr zu, implizit und ganz praktisch behalte er aber seine hervorgehobene Position – als moralisch-vernünftiges und kulturbildendes Wesen. „Wer handelt, ist der Mensch. Daran kommt man nicht vorbei“, verdeutlichte Ethikrats-Mitglied Elisabeth Gräb-Schmidt. In der Diskussion wurde deutlich, wie groß allein die Aufgabe ist, für Gleichheit der gesundheitsförderlichen Lebensbedingungen für alle menschlichen Lebewesen zu kämpfen.

Und die anderen Lebewesen? Gegenüber dem Begriff „Planetary Health“, der Klimawandel, Verlust der Biodiversität und Umweltverschmutzung vor allem hinsichtlich ihrer Folgen für den Menschen betrachte, nehme der „One Health“-Ansatz den „moralischen Eigenwert“ der nichtmenschlichen Lebewesen wahr, sagte der Umweltwissenschaftler Christian Baatz, Juniorprofessor für Klimaethik, Nachhaltigkeit und globale Gerechtigkeit an der Uni Kiel. Das Konzept bleibe aber unscharf, mit „Gesundheit der Umwelt“ seien ja kaum die für den Menschen schädlichen Bakterien gemeint.

Johann Ach, Leiter des Centrums für Bioethik an der Universität Münster bemängelte, dass das Leben der Tiere im Ernstfall immer wieder einem instrumentellen Verständnis von Gesundheit zum Opfer falle. Zum Beispiel bei der Tötung Tausender von Nerzen während der Covid-19-Pandemie in Dänemark. Oder in der vorherrschenden Form der Nutztierhaltung. „Das One Health-Konzept verlangt auf jeden Fall nach einer grundlegenden Agrarwende.“      

Dem abschließenden Stoßseufzer von Ethikrat-Mitglied Petra Bahr – „One Health klingt schön, macht aber mächtig viel Arbeit“ – konnte man sich angesichts all dieser Aufgaben nur anschließen. Als aktueller Diskussionsstoff ist der Begriff aber auf jeden Fall gut geeignet, wie die rege Beteiligung im großen Saal der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) und online zeigte. „Wir wussten, dass das ein gutes Thema für die Jahrestagung wird“, stellte Alena Buyx, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, abschließend fest.

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