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Der Minoisch-Mykenische Saal wurde so restauriert, wie er 1921 ausgesehen hat. Im Vordergrund die Kopie der sogenannten „Maske des Agamemnon“, wie Heinrich Schliemann sie genannt hat. Foto: Rolf Brockschmidt 

© Rolf Brockschmidt 

Licht und Schatten: Humboldt-Uni feiert 100 Jahre Winckelmann-Sammlung

Als die HU noch Friedrich-Wilhelms-Universität hieß, baute sich die Berliner Archäologie eine große Lehrsammlung auf. Deren 100-jährige Geschichte feiert die Uni jetzt mit einer Ausstellung.

Er konnte hartnäckig verhandeln wie kein Zweiter vor ihm in der Geschichte der Berliner Universität. Als Georg Loeschke 1911 der Ruf auf die Professur in Berlin erreichte, präsentierte der Bonner Ordinarius für Klassische Archäologie eine umfangreiche Wunschliste. Loeschke (1852-1915) sollte bekommen, was er gefordert hatte: den Aufbau einer eigenen Lehrsammlung mit Originalen, losgelöst von der Antikensammlung der Königlichen Museen, 30.000 Mark für den Kauf von Originalen sowie die Errichtung eines eigenen Gebäudes für die Altertumswissenschaften und deren Sammlungen.

Im neu gebauten Westflügel der Universität sollte sein Seminar das ganze zweite Obergeschoss für die Abguss-Sammlung antiker Plastiken aus dem Museum erhalten. Die Eröffnung seiner Sammlung am 5. Juni 1921 auf 3500 Quadratmetern erlebte der Archäologe leider nicht mehr. Am heutigen Mittwoch feiern die Klassischen Archäolog:innen der Humboldt-Universität, coronabedingt mit zweijähriger Verspätung, den 100. Geburtstag der bedeutenden Sammlung, die seit 1941 Sammlung des Winckelmann-Instituts heißt. Benannt ist sie nach einem Archäologen der Aufklärung, Johann Joachim Winckelmann (1717-1786).

Zwar bestand schon seit 1851 ein „Archäologischer Apparat“, der neben Büchern auch Mappen mit Stichen und Abbildungen von Münzen enthielt und im Laufe der Zeit umfangreicher wurde. Doch erst Loeschke gelang es, wie schon in Bonn, eine Lehrsammlung aufzubauen, die durch Schenkungen anderer Wissenschaftler, aber auch durch gezielte Ankäufe ständig erweitert wurde. So wurde ein damals modernes ganzheitliches, anschauliches Studium an einem Ort möglich.

1921
wurde der Minoisch-Mykenische Saal im Archäologie-Institut eröffnet.

Von dieser prächtigen Präsentation der Anfangsjahre ist heute nicht mehr viel übrig geblieben, einzig der „Archaische Saal“ mit seinen roten Wänden und Gipsen aus Olympia erinnert an die große Zeit vor 100 Jahren. Hier war vor dem Krieg die archaische Epoche von 800 bis 500 vor unserer Zeitrechnung ausgestellt.

Die verbliebenen, museal wirkenden Räume sind immer noch eindrucksvoll mit ihren Vitrinen, die die Entwicklung der antiken Keramik vom frühen ersten Jahrtausend bis in die Spätantike zeigen.

Aufbau einer Studiensammlung

Auffällig ist der Minoisch-Mykenische Saal, der heute nach seiner Restaurierung wieder so aussieht, wie er 1921 eröffnet wurde. An den Wänden sind mykenische Wandmalereien reproduziert und teilweise auch rekonstruiert. Agnes Henning, seit 2015 Kustodin der Sammlung, ist froh, dass die Einheit von Seminarräumen, Bibliothek mit Büchern, Stichen und Fotos sowie Studiensammlung an einem Ort erhalten geblieben ist.

Wie schaffte man es logistisch, eine Studiensammlung neu aufzubauen? Loeschke und seinem Team blieben nur der Kunsthandel sowie Einkaufsreisen nach Italien, in die heutige Türkei und nach Griechenland. Zum Jubiläum ist der Band „Sammeln um jeden Preis. Die Entstehung der archäologischen Sammlung der Berliner Universität im Kontext des Antikenhandels im frühen 20. Jahrhundert“ von Birgit Sporleder auf Basis ihrer Masterarbeit erschienen.

„Wir sind die erste archäologische Universitätssammlung, die ihre Bestände und deren Herkunft öffentlich macht, da werden sicherlich andere Sammlungen nachziehen müssen“, sagt Henning. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs sei die Ankaufsphase von Originalen abgeschlossen gewesen. „Wir kaufen nichts mehr im Kunsthandel, wir nehmen nur noch Nachlässe an, aber auch die müssen lückenlos die Herkunft der Objekte nachweisen können.“

Verlorenes Kontextwissen

Problematisch an Objekten aus dem Kunsthandel ist laut der Kustodin: Meistens sei das Kontextwissen verloren gegangen. Wo wurde das Objekt wann unter welchen Umständen gefunden, wie gelangte es in den Handel? Der Fundzusammenhang ist für die Archäologie mindestens so wertvoll wie das Objekt an sich, da neben stilistischen Aspekten vor allem diese Umstände die zeitliche Einordnung des Artefakts ermöglichen.

In Italien, Griechenland wie auch dem Osmanischen Reich gab es schon seit spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts Gesetze, die die Ausfuhr von Antiken eigentlich verboten. Aber mit entsprechenden behördlichen Genehmigungen war dennoch einiges möglich, vielleicht auch mithilfe von Schmiergeld.

Einschlägige Antiquitätengeschäfte rund ums Mittelmeer sowie Tipps zum Export von Antiken fanden sich ganz selbstverständlich in den Baedeker-Reiseführern. „Bei Einkäufen für die Heimat ist größte Vorsicht geboten. Man zahle weder beim Kauf den vollen Betrag, noch gestatte man die Nachnahme des Restes auf die Sendung, damit man sich bei der Ankunft überzeugen kann, dass man den gewählten Gegenstand auch wirklich bekommen hat“, heißt es im Baedeker Rom von 1911. Um den Transport und die entsprechenden Papiere kümmerten sich spezialisierte Spediteure.

Kooperation in der Nazi-Zeit

Auf Basis der Publikation von Birgit Sporleder haben die Autorin und Agnes Henning die Ausstellung „Gefunden, gehandelt, gestundet. Die Entstehung der archäologischen Lehrsammlung am Winckelmann-Institut“ erarbeitet. Die Konzeption von Ausstellungen gehört inzwischen ebenso zum Archäologiestudium wie das Vergleichen, Bestimmen oder Zeichnen der Objekte.

Auch die Ausstellung „Zwischen Licht und Schatten. Der Fotograf Walter Hege und sein Blick auf die Antike“ wurde von Agnes Henning mit Studierenden erarbeitet und wird im „Archaischen Saal“ gegenüber den Gipsabgüssen aus Olympia ausgestellt und ist zudem online zu sehen. Hege (1893-1955) war ein berühmter Architekturfotograf der 1920er und 30er Jahre. In Zusammenarbeit mit der Universität fotografierte er antike Stätten in Griechenland.

Die Studierenden zeigten großes Interesse, wie es in der Zeit des Nationalsozialismus am Winckelmann-Institut zugegangen sei, erzählt Henning. Ein Beispiel: Aus Anlass der Olympischen Spiele in Berlin erschien 1936 Heges Bildband „Olympia“, dessen Ästhetik der Bildsprache des NS-Regimes entgegenkam. Gerhard Rodenwaldt, der das Institut von 1932 bis 35 leitete, kooperierte für die Spiele mit Hege und den Nationalsozialisten: Jeder Medaillengewinner bekam ein Buch mit Heges Antikenfotografien.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Sammlung stark dezimiert, ein Teil wurde nach Kriegsende in die Sowjetunion verschleppt und nur teilweise 1958 zurückgegeben. Rodenwaldt leitete das Institut bis zu seinem Tod: 1945, als die Rote Armee in Berlin ankam, nahm er sich in Lichterfelde-West das Leben.

Für die Zukunft des Winckelmann-Instituts wünscht sich Henning, „dass unsere Sammlung einen Laborcharakter bekommt, dass sie ein Ort wird, an dem man stärker als jetzt an und mit den Objekten arbeiten kann“. Dazu benötige man neue Vitrinen, die sich leichter öffnen lassen. Dann könne man auch noch mehr mit der Sammlung arbeiten, damit sie „ein lebendiger Ort ist, an dem gemeinsam mit verschiedenen Medien, seien es die Objekte, seien es Fotos und Bücher oder digitale Anwendungen, gearbeitet werden kann“.

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