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Anatomisch ist ein natürlicher und synthetischer Maus-Embryo ähnlich aufgebaut.

© Amadei und Handford

Kein Science-Fiction-Film: Künstlicher Embryo mit Hirn und Herzschlag erschaffen

Forschenden ist es gelungen, Maus-Embryonen aus Stammzellen zu züchten – ohne Eizellen, Spermien und ohne eine Gebärmutter. Sind nun Menschen an der Reihe?

Es klingt ein wenig nach Science-Fiction und auch etwas gruselig: Erstmals ist es Forschenden gelungen, synthetische Maus-Embryonen zu erzeugen, die sich bis zum neunten Tag entwickelten und Organe wie Herz und Gehirn anlegten. Das Team und Magdalena Zernicka-Goetz von der California Institute for Technology und der University of Cambridge verwendeten statt Eizellen und Spermien drei Arten von Stammzellen. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin „Nature“ veröffentlicht.

Die Embryonen wuchsen in einem Inkubator heran in dem die physiologischen Prozesse der weiblichen Gebärmutter eines Nagers simuliert wurden. Die Forschenden konnten die Stammzellen dazu bringen, miteinander zu „sprechen“, wie es in einer Mitteilung heißt. Schließlich organisierten sie sich zu einer neuen biologischen Struktur und setzten sich zu einem Embryo zusammen, den die Forschenden als „ETiX“-Embryomodell bezeichneten.

Die synthetischen Maus-Embryonen erreichten in dieser künstlichen Umgebung ein Stadium, das dem natürlicher Embryonen nach acht bis neun Tagen entspricht, also fast die Hälfte der Schwangerschaftszeit von Mäusen, die etwa 19 Tage beträgt. Zum Vergleich: Bei einem menschlichen Embryo würde dieser Entwicklungsstand dem ersten Trimester der Schwangerschaft entsprechen.

In dieser Zeit bildeten die synthetischen Maus-Embryonen ein schlagendes Herz, ein Darmrohr, ein Neuralrohr, also die embryonale Anlage des Nervensystems, sowie alle Gehirnregionen aus – das ist laut der Studienleiterin und Stammzellbiologin Magdalena Zernicka-Goetz bislang keinem Forschungsteam gelungen.

Die im Labor entstandenen Embryonen waren natürlich entstandenen anatomisch sehr ähnlich, entwickelten sich allerdings nicht über den neunten Tag nach der Befruchtung hinaus. Warum diese Blockade einsetzt, ist noch nicht verstanden und sie müsste für weitergehende Forschungsarbeiten überwunden werden. Denn erst danach, von Tag 9 bis 13, folgt die Organogenese, in der sämtliche Organe angelegt werden.

Geringe Erfolgsquote

Anfang August publizierte ein Forschungsteam um Jacob Hanna vom Weizmann-Institut in Israel im Fachmagazin „Cell“ sehr ähnliche Ergebnisse. Auch sie schafften es mit Hilfe das selben künstlichen Inkubators synthetische Maus-Embryonen zu züchten.

Laut Jesse Veenvliet würde es sich bei beiden Arbeiten um „Proof-of-principle“-Studien handeln, also im Wesentlichen Nachweise, dass es möglich ist, synthetische Embryonen außerhalb des Mutterleibs zu erzeugen. Die Effizienz sei allerdings noch sehr gering: „In der Arbeit von Hanna entwickeln sich 0,1 bis 0,5 Prozent der Embryonen und in der Publikation von Zernicka-Goetz werden dazu keine genauen Angaben gemacht“, sagte der Leiter der Arbeitsgruppe „Stembryogenese“ am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden gegenüber dem Science Media Center Deutschland (SMC). „Man kann aber davon ausgehen, dass die Effizienz nicht mehr als ein bis zwei Prozent beträgt, möglicherweise sogar weniger.“

Wettlauf um ersten menschlichen synthetischen Embryo

Veenvliet geht davon aus, dass es einen Wettlauf um die Herstellung der ersten menschlichen synthetischen Embryonen geben werde. Die Übertragung der Erkenntnisse von Mäusen auf Menschen ist auch das erklärte Ziel des Teams um Zernicka-Goetz.  „Dies wird nicht einfach sein, nicht zuletzt aufgrund der entscheidenden Unterschiede in der Entwicklung von Maus und Mensch sowie in der anderen Biologie von murinen und menschlichen Stammzellen“, so Veenvliet.

Laut Michele Boiani, Leiter der Arbeitsgruppe „Mouse Embryology“ am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster, sei es zumindest technisch betrachtet gut vorstellbar, wobei die verwendeten Technologien nicht Tage oder Wochen, sondern Monate halten müssten. Das stelle eine fast unüberwindbare Herausforderung dar, es sei denn, die menschliche Entwicklung in einer künstlichen Umgebung verlaufe viel schneller als in einer Gebärmutter.

Die synthetischen Embryonen könnten künftig als Alternativmethode zum Tierversuch an frühen Embryonen dienen. Sollte es gelingen, ein reproduzierbares System für die Kultur menschlicher synthetischer Embryonen zu schaffen, könnte erforscht werden, wieso manche Embryonen sich nicht weiterentwickeln oder wieso es zu wiederholten Schwangerschaftsverlusten kommt. Aktuell ist die Beobachtung eines Säugetierembryos im Detail auf die frühen Stadien vor der Einnistung des Embryos in die Gebärmutter beschränkt.

Künstlich gezüchtete Organe

Wenn auch die Phase der Organogenese möglich ist, könnten laut Zernicka-Goetz einzelne Organe synthetisch gezüchtet werden, die potenziell für die Organspende eingesetzt werden könnten. Michele Boiani vermutet, dass eine solche technologische Entwicklung weit gehen könnte: „Zum Beispiel der Ansatz, dass allein aus Stammzellen rekonstruierte synthetische Embryonen das reproduktive Klonen von Menschen ermöglichen könnten, vor dem so viele von uns vor Jahren Angst hatten.“

Das Thema Klonen kommentierte auch Lluís Montoliu, Forschungsprofessor am Nationalen Zentrum für Biotechnologie in Madrid. „Wir stehen zweifellos vor einer neuen technologischen Revolution, die zwar noch sehr ineffizient ist – es ist sehr schwierig, Stammzellen dazu zu bringen, spontan einen synthetischen Embryo zu erzeugen – aber ein enormes Potenzial hat“, sagte er.

Die Entdeckung erinnere an wissenschaftliche Fortschritte wie die Geburt des Klonschafs Dolly im Jahr 1997, bei der ein Embryo aus einer Eizelle und dem Kern einer Körperzelle rekonstruiert wurde.

Einem solchen wissenschaftlichen Durchbruch würden allerdings ethische und rechtliche Regeln entgegenstehen. Die Internationale Gesellschaft für Stammzellenforschung (ISSCR) erlaubt zwar die Herstellung von menschlichen Embryonen, allerdings dürfen diese nur bis zum 14. Tag im Labor heranwachsen und untersucht werde.

Die Übertragung in die Gebärmutter ist verboten. Diese Regel gilt in vielen Ländern der Welt, so auch in Großbritannien, wo die aktuelle Studie durchgeführt wurde. In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz Experimente an menschlichen Embryonen. Embryonen dürfen ausschließlich mit dem Ziel geschaffen werden, eine Schwangerschaft herbeizuführen.

Ethische und rechtliche Fragen klären

Für synthetische Embryonen gibt es weltweit laut Jesse Veenvliet noch keine klaren Regeln. Sie dürfte künftig verstärkt davon abhängen, inwiefern sie menschlichen Lebewesen mit Entwicklungsfähigkeit ähneln und entsprechend als menschliche Embryonen eingestuft werden sollten.

„Es wird entscheidend sein, dies von Fall zu Fall zu beurteilen und sich dabei auch an den internationalen ethischen Rahmen zu halten, der meiner Meinung nach in den nächsten Monaten ausgearbeitet werden wird, wobei das ISSCR eine führende Rolle spielen wird“, sagte Veenvliet.

„Man könnte sich fragen, ob die ethischen und rechtlichen Bedenken, die die Herstellung ähnlicher menschlicher synthetischer Embryonen aufwirft, nicht dazu führen, dass man sich mit ihnen auseinandersetzen sollte, bevor man sich an die Herstellung solcher Embryonen macht“, sagte er.

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