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Young unhappy woman with cancer standing near the window and looking at view.

© Getty Images/500px Plus

Krebs und Gefühle: „Angst war immer da. Sie hat sich aber stark geändert“

Das Medizinhistorische Museum der Charité zeigt eine Ausstellung zu Emotionen und Krebs. Die Historikerin Bettina Hitzer beschreibt den langen Wandel der Psychologie der Krankheit.

„Da ist etwas“ – Unter diesem Titel wird im Medizinhistorischen Museum der Charité eine Ausstellung über Krebs und Emotionen gezeigt. Zu sehen sind unter anderem Film-Interviews mit Patient:innen, Ärzt:innen und Fachleuten aus der Psychoonkologie und aus der Pflege. Die Historikerin Bettina Hitzer ist für das wissenschaftliche Konzept verantwortlich. 

Frau Hitzer, Sie haben eine „Emotionsgeschichte“ zum Thema Krebs geschrieben. Aber haben Gefühle eine Geschichte? Ist die Angst nicht immer dieselbe, die Menschen erfüllt, wenn sie eine Krebs-Diagnose bekommen?
Ja und nein. Die Angst war und ist immer da, aber die Art und Weise, in der sie empfunden wird, hat sich im Zeitraum, den ich untersucht habe, stark verändert. Erst seit Narkosetechniken und die Hygiene in den Operationssälen sich verbesserten, waren größere Operationen möglich. Damit stiegen die Chancen auf Heilung. Schon Ende des 19. Jahrhunderts kamen erste Programme zur Früherkennung auf, die öffentliche Darstellung von Krebs zielte immer stärker in Richtung Hoffnung, das Emotionsgefüge veränderte sich damit stark.

Veränderte sich damit auch die Art der Kommunikation zwischen Patient:innen und Ärzt:innen?
In dem Moment, in dem die Ärzte sagten, wenn wir früh operieren, haben wir eine Heilungschance, stellte sich auch die Frage, wie man darüber mit den Erkrankten reden sollte. Es gab zwar vereinzelt Operateure, die dafür waren, die Kranken quasi überfallsartig zu operieren. Ein Urteil des Reichsgerichts aus den 1890er Jahren stellte aber klar, dass Patienten in operative Eingriffe einwilligen müssen. Zu Beginn des 20. Jahrhundert kam dann die Radiotherapie zur Krebsbehandlung hinzu, für die das ebenfalls gilt. Es blieb aber umstritten, ob man die Betroffenen auch über ihre Diagnose aufklären muss.

Welche Haltungen gab es?
Lange Zeit war die klare Meinung: Über Diagnosen, bei denen es nur geringe Heilungschancen gibt, sollte nicht geredet werden. „Den Tod verkündigen, heißt, den Tod geben“, sagte im Jahr 1836 etwa der Königliche Leibarzt Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836). Dieses Dilemma führte zu vielen Reflexionen über das Arzt-Patienten-Verhältnis, aber auch zu kontroversen Debatten über die Bedeutung von Gefühlen für Krankheit und Heilung. Gewinnen wir eine neue Form der Wahrheit und Selbstbestimmung, wenn wir Patienten über ihre Diagnose informieren, oder stürzt es Menschen in die absolute Verzweiflung?

Lange Zeit war die klare Meinung: Über Diagnosen, bei denen es nur geringe Heilungschancen gibt, sollte nicht geredet werden.

Bettina Hitzer

Zumal die Heilungschancen ja noch Mitte des 20. Jahrhunderts eher bescheiden waren?
Ja, noch in den 1950er Jahren verstarben über 80 Prozent der Krebs-Patienten an ihrer Krankheit. Dass es überhaupt Heilungschancen gab, hat die Debatte über die ehrliche Mitteilung von Diagnosen zwar geprägt, es gab daneben zeitweise aber noch ganz andere Gesichtspunkte. Im Nationalsozialismus wurde teilweise argumentiert, Angst sei kein schlimmes Gefühl, ein gesunder deutscher Mensch empfinde sie zwar, habe aber auch die Kraft, sie zu überwinden. Sie galt als Bewährungsprobe, der sich die Soldaten an der Front ebenso wie kranke Menschen stellen müssen. Wer sie nicht bestehe, sei schlicht feige und nicht wert, dass man sich um ihn sorgt.

Wie hat sich dann die Überzeugung durchgesetzt, dass Menschen in einer solchen Situation Hilfsangebote wie Psychoonkolog:innen und Selbsthilfegruppen brauchen und Orte, an denen sie offen über ihre Gefühle sprechen dürfen?
Psychologie und Psychotherapie haben hier eine ganz zentrale Bedeutung. Wichtig war insbesondere die Arbeit von Michael Balint (1896-1970), der die Arzt-Patienten-Beziehung neu verstanden hat. Die Auffassung, dass das Sprechen über Emotionen hilft, dass es „Gefühlsarbeit“ ermöglicht, wurde in den Jahrzehnten danach immer prägender, in Deutschland auch durch das Buch „Gespräche gegen die Angst“, verfasst von der selbst an Krebs erkrankten Psychologin Annemarie Tausch (1925-1983). Zusammen mit den Konzepten der gemeinsamen Entscheidungsfindung von Ärzt:in und Patient:in führte das zu einem klaren Bekenntnis zum offenen Reden. Die Psychoonkologie entstand als eigene Disziplin. Inzwischen haben individualisierte Ansätze an Bedeutung gewonnen, zu denen auch das Recht auf Nichtwissen gehören kann.

Es ist eine große Herausforderung, dass es nach einer Krebsdiagnose nicht zu Schuldgefühlen wegen des Lebensstils kommt.

Bettina Hitzer

In der Ausstellung ist auch die „Krebspersönlichkeit“ ein Thema.
Das ist ein sehr problematisches Modell. Es geht auf psychoanalytische Konzepte von verdrängten Konflikten und unerfüllten Wünschen zurück und führte später zu Untersuchungen, in denen etwa bestimmte gynäkologische Tumoren in Zusammenhang gebracht wurden mit Schwierigkeiten der Frauen mit ihrer Sexualität und mit Persönlichkeitsmerkmalen wie Depressivität oder Überangepasstheit. Methodisch waren diese Untersuchungen höchst fragwürdig. Heute verdanken wir der Psychoneuroimmunologie weit komplexere Modelle, und man weiß, dass Lebensstilfaktoren wie Bewegung und Ernährung eine größere Rolle spielen.

Womit womöglich Schuldgefühle ins Spiel kommen?
Ja, es ist eine große Herausforderung, dass es nach einer Krebsdiagnose nicht zu Schuldzuweisungen und Schuldgefühlen wegen des Lebensstils kommt. Wir können hier immer nur über Risiken und Wahrscheinlichkeiten sprechen, und bekanntlich können auch Menschen, die nie geraucht haben, Lungenkrebs bekommen. Hinsichtlich der Ursachen gibt es noch viele ungelöste Forschungsfragen. Der Schuldgedanke schwächt und macht unglücklich, er kann noch dazu zu einer Medizin führen, die sich von ihrem Kern, der Fürsorge, dem Wohltun und Nicht-Schaden, entfernt.

Heute werden mehr als die Hälfte der an Krebs Erkrankten geheilt. Bei vielen wird er aber auch zur „chronischen Krankheit“, mit der sie unter Umständen Jahrzehnte leben. Wie verändert das die Emotionen?
Dass es heute vielfach möglich ist, Krebs so in Schach zu halten, dass man lange damit leben kann, macht etwas mit den Emotionen – es führt aber auch dazu, dass etwas mit den Emotionen gemacht werden muss. Wenn eine echte Heilung nicht möglich ist, muss man erst gefühlsmäßig akzeptieren, mit dem Krebs zu leben. Doch Susan Sontags Grenzziehung zwischen dem „Königreich der Kranken“ und dem „Königreich der Gesunden“ bestimmt immer noch stark das Denken. Je mehr Menschen wir kennenlernen, die eine verhältnismäßig gut verträgliche Therapie durchlaufen haben und danach lange leben, desto mehr werden sich solche Grenzziehungen verändern. Der Schock der Krebsdiagnose wird dadurch hoffentlich ein Stück weit relativiert. Einen emotionalen Einschnitt wird sie aber wohl weiter bedeuten.

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