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Bewegung hilft fast so gut wie Medikamente.

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Sport bei Krebs: So können die Patienten fit für die Therapie werden

Krebserkrankungen zehren an Körper und Seele. Maßgeschneiderte Bewegungskonzepte verbessern Ausdauer und Kraft, sorgen für psychische Stabilität und erhöhen die Lebensqualität.

Von Heike Gläser

Wenn die Diagnose „Krebs“ lautet, verfallen ­viele betroffene Menschen ­zunächst in eine Schockstarre. Ängste machen sich breit: Angst vor Schmerzen, vor dem Lebensende, vor den anstehenden Behandlungen, vor den Nebenwirkungen. Die ­Diagnose verändert das ganze Leben, man fühlt sich wie gelähmt, ohnmächtig, niedergeschlagen und antriebsarm. Die meisten bewegen sich weniger als zuvor, neigen dazu, sich zu schonen.

Dabei spielen Sport und Bewegung bei Krebs eine wichtige Rolle. Körperliche Aktivität kann den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen, die Verträglichkeit der Therapien verbessern oder Nebenwirkungen reduzieren. Das konnte inzwischen in zahlreichen Studien wissenschaftlich belegt werden.

„Es gibt Studien, die Bewegungstherapien mit medikamentösen ­Interventionen bei Fatigue verglichen haben und dabei feststellen konnten, dass die Bewegungstherapie sogar überlegen ist“, sagt Freerk Baumann, Leiter der AG Onkologische Bewegungsmedizin am CIO der Uniklinik Köln. Der Sportwissenschaftler beschäftigt sich seit 25 Jahren mit der Thematik und betont, dass es sich bei der Bewegungstherapie um „die erste nicht-medizinische Maßnahme mit hoher Evidenz“ handele.

Frühzeitig mit dem Training beginnen

Auch wenn das Krankheitsbild sehr unterschiedlich sein kann, haben seiner Erfahrung nach alle Krebspatienten unter medizinischer Systemtherapie Bedarf nach einer Bewegungstherapie. Idealerweise beginnt man damit direkt nach der Diagnose­stellung und noch vor Beginn der medizinischen Therapie. Diesen Zeitraum nennen Mediziner auch „Prähabilitation“, das sich aus den Begriffen Prävention und Rehabilitation zusammensetzt.

„Fängt man rechtzeitig, also unmittelbar nach der Diagnose, mit der Bewegungstherapie an, fallen die Betroffenen zum einen nicht in ein Loch, zum anderen kann man sie fit machen für die medizinische Therapie, egal, ob es sich um eine OP, Chemotherapie, Strahlentherapie oder neuerdings auch um eine Immuntherapie handelt“, sagt Freerk Baumann und gibt ein Beispiel: Geht ein Patient mit einem Prostatakarzinom bereits vor der Operation in ein gezieltes Beckenbodentraining, ist das Auftreten von Harninkontinenz postoperativ signifikant geringer als wenn der Patient erst nach der OP damit beginnt.

Den ganzen Menschen im Blick haben

In der Bewegungstherapie nimmt man den ganzen Menschen in den Blick, Experten sprechen von einem biopsychosozialen Ansatz. Ziel ist es, maßgeschneiderte Bewegungskonzepte zu finden, die auf die jeweiligen Bedarfe der Krebspatienten angepasst sind. Eine Fatigue-Problematik wird beispielsweise anders behandelt als Osteo­porose, Polyneuropathie – das schmerzhafte Kribbeln und Taubheitsgefühl in Händen und Füßen – oder Schlafprobleme. Dies alles geschieht im Dialog mit dem Betroffenen, um ihn aktiv in das ­eigene Gesundheitsmanagement einzubinden.

Man nennt diesen Austausch auch „shared decision-making“ (SDM). Ziel ist es, die Behandlungsentscheidungen besser auf die individuellen Bedürfnisse des Erkrankten abzustimmen. „Wir nehmen den Patienten mit in die Entscheidungsfindung“, erklärt Baumann. „Wir berücksichtigen gemeinsam die Krebserkrankung, schauen uns die medizinische Therapie an, beziehen persönliche Ressourcen, Bedürfnisse oder Präferenzen mit ein sowie Lebenserfahrung, Motivation und ähnliches. Daraus ergibt sich dann ein personalisiertes Bewegungsprogramm – und das umfasst zusätzlich Konzepte, die man selbst zu Hause in seinem Alltag umsetzen kann.“

Denn neben der Anleitung durch Sport- oder Physiotherapeuten ist auch die Frage wichtig, was Patienten selbst für sich tun können, welche Möglichkeiten und welche Infrastruktur in ihrem Umfeld und ihrem Alltag vorhanden sind. Allerdings kommt die Bewegungstherapie sowohl während der Krebsbehandlung als auch in der Reha immer noch zu kurz, obwohl die positiven Wirkungen wissenschaftlich gut belegt sind.

Mangel an Infrastruktur und Fachkräften

Es fehlt an flächendeckenden und nachhaltigen Versorgungsstrukturen im Bereich der onkologischen Sport- und Bewegungstherapie. Die Folge: Nicht alle Patienten haben Zugang zu entsprechenden Angeboten. Um die Situation zu verbessern, hat deshalb die Deutsche Krebshilfe vor anderthalb Jahren eine Ausschreibung initiiert, um die „modellhafte Implementierung von Strukturen für Sport- und Bewegungstherapie bei Krebspatienten“ mit zwei Großprojekten zu fördern.

Eines davon leitet Freerk Baumann von Köln aus mit acht Standorten: „Davon versprechen wir uns nicht nur neuere Erkenntnisse, sondern auch, dass es schneller und wirksamer vorwärts geht mit der brachliegenden Versorgung.“ Darüber hinaus gebe es auch Schwierigkeiten mit den Kostenträgern, solange die onkologische Bewegungstherapie nicht flächendeckend in die Regelversorgung aufgenommen wird. Es gebe zwar einige Versorgungsmodelle, die derzeit auch von einigen Krankenkassen bezahlt und umgesetzt werden, aber eben nur einige.

Es geht ja nicht nur um Wirksamkeit, sondern auch um Sicherheit.

Freerk Baumann, Leiter der AG Onkologische Bewegungsmedizin an der Uniklinik Köln

Ein weiterer Aspekt ist der zunehmende Fachkräftemangel im Bereich der Sport- und Physiotherapeuten, die speziell geschult werden müssen. Wie geht man zum Beispiel mit Patienten um, die an Übelkeit leiden? Wie trainiert man Menschen, die erschöpft und müde sind? Oder was macht man bei Knochenmetastasen?

„Es geht ja nicht nur um den Aspekt der Wirksamkeit, sondern auch der Sicherheit“, sagt Freerk Baumann, der in Köln bereits 2010 das Versorgungsmodell Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie (OTT) gegründet hat, um dort Sport- und Physiotherapeuten fortzubilden. Denn seiner Einschätzung nach hapert es bei der Ausbildung, physiotherapeutische Lehrpläne sehen die Onkologie gar nicht als Schwerpunkt vor. Und die Sporttherapeuten wiederum sind – im Gegensatz zu den Physiotherapeuten – gar nicht erst im Heilmittelkatalog aufgeführt. Das ­müsse sich ändern.

Bewegung wirkt und macht glücklich

Was Bewegung bei einer Krebserkrankung bewirken kann, zeigt Nicole Staudinger. Die TV-Moderatorin, Rednerin und Bestsellerautorin hat ihre Krankheitsgeschichte öffentlich gemacht und mit ihrem Buch „Läuft schon“ eine „Anleitung von der unsportlichsten Läuferin der Welt“ vorgelegt, wie es im Untertitel heißt.

„Unsportlichste Läuferin der Welt“: Nicole Staudinger.
„Unsportlichste Läuferin der Welt“: Nicole Staudinger.

© Stefan Neumann / promo

Mit Anfang 30 wurde bei Nicole Staudinger Schwarzer Hautkrebs entdeckt, der zweimal operiert werden musste. Danach besuchte sie, die zuvor nie Sport betrieben hat, eine Lauflernschule, um 30 Minuten Dauerlauf zu schaffen – es gelang ihr in zwölf Wochen. Anschließend lief sie regelmäßig dreimal pro Woche ihre fünf Kilometer.

Bewegung wie das Laufen ist ein Faktor, den wir in der Hand beziehungsweise in den Füßen haben.

Nicole Staudinger, Moderatorin, Rednerin, Kommunikationstrainerin, Bestsellerautorin – und leidenschaftliche Läuferin

Ein Dreivierteljahr später folgte die nächste niederschmetternde Diagnose: Brustkrebs. „Zu diesem Zeitpunkt fühlte ich mich fit wie nie“, erinnert sie sich. Während der Brustkrebsbehandlung verzichtete sie auf das Joggen, weil es zu anstrengend war. Stattdessen ging sie jeden Tag eine Stunde walken: „Ich kann mich noch gut erinnern: Die erste Chemo war an einem Freitag, die hat mich richtig ausgeknockt. Eine Woche später bin ich mit einer Freundin durch den Wald gewalkt – und habe geweint vor Glück.“

Durch Bewegung wird nichts schlechter

Aus heutiger Sicht, neun Jahre später, weiß Staudinger, dass die moderne Schulmedizin sie gesund gemacht hat, aber auch, dass sie es selbst war, die sich aus eigener Kraft wieder in Bewegung gebracht hat. Durch ihre Bücher und Vorträge will sie andere Menschen inspirieren, selbst aktiv zu werden – trotz Krebserkrankung. Bewegung, in ihrem Fall das Laufen, ist ein Faktor, der zur Genesung beitragen kann. „Ein Faktor, den wir in der Hand beziehungsweise in den Füßen haben“, sagt Staudinger.

Sie hat sich vor, während und nach der Krebstherapie regelmäßig bewegt, auch Jahre später, als ihr die Eierstöcke entfernt wurden und sie eine Hormontherapie durchstehen musste. Sie zählt auf, in welchen Bereichen das Laufen geholfen hat: gegen die Übelkeit, gegen Wechseljahrbeschwerden, gegen Gewichtszunahme, Stimmungsschwankungen, späte Probleme mit Polyneuropathie sowie gegen Knochenschmerzen. „Ich habe nichts gefunden, was schlechter geworden ist“, resümiert die 41-Jährige. „Nichts!“

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