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Lehrkräfte neiden dazu, türkeistämmige Schüler im Unterricht weniger häufig aufzurufen.

© Gerhard Leber/imago

Muslime in der Schule: Kampf den Stereotypen

Lehrkräfte sind eher liberal eingestellt, diskriminieren muslimische Schüler aber trotzdem.

Lehrkräfte sind Muslimen gegenüber zwar etwas liberaler eingestellt als die Gesamtbevölkerung. Trotzdem haben sie negative Vorbehalte. Der Effekt in der Schule kann eine selbsterfüllende Prophezeiung sein, wie Bildungsforscher nun zeigen: Die Schüler übernehmen die Vorstellung, sie seien weniger leistungsfähig, und rufen ihr Potenzial nicht voll ab. Interventionen in der Schule können das jedoch verhindern.

Die Studie „Vielfalt im Klassenzimmer. Wie Lehrkräfte gute Leistungen fördern können“, die am Donnerstag in Berlin vorgestellt wurde, besteht aus drei Teilprojekten, an denen das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migratonsforschung (BIM) und der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration beteiligt waren. Gefördert wurde sie von der Stiftung Mercator.

Demnach würden 50 Prozent der Lehrkräfte Lehrerinnen das Kopftuch erlauben (in der Gesamtbevölkerung 48 Prozent). Deutlicher fallen die Unterschiede aus, lässt man die Lehrkräfte im Ruhestand heraus und blickt nur auf die aktiven Lehrkräfte: So plädieren 43 Prozent der Gesamtbevölkerung dafür, den Moscheebau einzuschränken. In der Gruppe der aktiven Lehrkräfte sagen das nur 25 Prozent. „Die islamische Kultur bereichert Deutschland“ meinen 54 Prozent der Gesamtbevölkerung, aber 76 Prozent der aktiven Lehrkräfte. „Muslime sind aggressiver“, finden 27 Prozent der Gesamtbevölkerung, aber nur 15 Prozent der aktiven Lehrer. „Muslime sind genauso bildungsorientiert“: Das meinen 55 Prozent der Gesamtbevölkerung, aber 63 Prozent der aktiven Lehrkräfte.

Schlechtere Sprachkenntnisse verschlechtern Bildungschancen

Diese Daten stammen allerdings aus einer telefonischen Umfrage aus den Jahren 2013 und 2014, so dass mögliche Effekte der großen Debatte über Schutzsuchende nicht enthalten sind, wie Naika Foroutan, die stellvertretende Leiterin des BIM, sagte. Die Zahl von 740 Lehrkräften unter den 8270 befragten Personen sei aber hinreichend repräsentativ.

Kinder mit Migrationshintergrund haben in Deutschland wegen schlechterer Sprachkenntnisse und/oder eines ungünstigen sozialen Hintergrunds schlechtere Bildungschancen, schreiben die Autoren der Studie. Ihre Forschung zeigt nun auch, dass das Verhalten von Lehrern die Leistung zusätzlich negativ beeinflussen kann. Diese erwarten von türkeistämmigen Schülern in Deutsch signifikant geringere Leistungen als von Schülern ohne Migrationshintergrund – und das selbst dann, wenn die türkeistämmigen Schüler mit ihren Leistungen gleichauf liegen. Beteiligt waren die Lehrkräfte von 1065 Erstklässlern in NRW. Diese hielten es in der Tendenz auch für weniger wahrscheinlich, dass türkeistämmige Erstklässler später einmal das Gymnasium besuchen – unabhängig von deren Leistungen und ihrem sozialen Hintergrund. Es zeigte sich auch, dass die Lehrkräfte eher Kinder aufriefen, von denen sie einen Gymnasialbesuch erwarteten – wieder unabhängig von den Leistungen. Etwas kürzer war auch die Interaktion der Lehrer mit türkeistämmigen Schülern.

Werden die Schüler als stark eingeschätzt, steigert das ihre Leistung

Dass die verzerrte Wahrnehmung der Lehrkräfte die Leistungen tatsächlich beeinflusste, zeigte sich daran, dass diejenigen Erstklässler höhere Lernzuwächse erzielten, deren Leistungen in Deutsch die Lehrkräfte überschätzt hatten. Hatten die Lehrkräfte die Leistung der Schüler unterschätzt, fielen die Lernzuwächse im Lesen geringer aus. Die Effekte der Vorurteile fallen zwar nur klein aus – die Bedeutung des sozialen Hintergrunds spiele bei der Entwicklung eine viel größerer Rolle, erklären die Autoren. Außerdem schätzten die Lehrkräfte die Leistungen der Kinder meist richtig ein. Doch könnten sich „Erwartungseffekte“ im Lauf der Schulzeit durchaus anhäufen.

Verinnerlichte negative Stereotype setzen Schüler unter Stress – sie fühlen sich der Aufgabe nicht gewachsen und können ihr Potenzial nicht voll abrufen. Diese „Bedrohung durch Stereotype“ kann aber durch „Selbstbestätigungsinterventionen“ abgemildert werden, wie die Forscher zeigten. 820 Siebtklässler von Berliner Integrierten Gesamtschulen wurden in das Experiment einbezogen. Diejenigen Schüler mit türkischem Herkunft, die sich intensiv mit ihren persönliche Werten auseinandergesetzt hatten („Was ist mir selbst wichtig?“), zeigten im Anschluss und erneut acht Wochen nach dem ersten Test bessere Matheleistungen als jene Schüler mit türkischer Herkunft, die nicht an der Intervention teilgenommen hatten.

Die Bildungsforscherin Petra Stanat sagte, aus den großen Schulstudien sei bekannt, dass türkeistämmige Schüler im Schnitt schlechtere Leistungen erbringen. Allerdings dürfe dieses Wissen nicht pauschal angewendet werden. „Wenn einem die eigenen Stereotype klar sind, kann man gegensteuern.“

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