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Vor allem Osteuropäer:innen wurden als Arbeitssklaven eingesetzt.

© picture alliance/dpa

Heute vor 22 Jahren: Entschädigung von NS-Zwangsarbeit beginnt

Zwangsarbeiter des NS-Staates waren lange eine vergessene Opfergruppe. Erst ab 2001 zeigten sich der Bund und die deutsche Wirtschaft zu Zahlungen an Betroffene bereit.

Eine Kolumne von Christoph David Piorkowski

Das Menschen im NS-System zugefügte Leid kann weder quantifiziert noch abgegolten werden. „Wiedergutmachungspolitik“ kann nichts wieder gut, „Entschädigung“ den Schaden nicht ungeschehen machen. Und doch ist sie für die Opfer und ihre Nachfahren finanziell und symbolisch relevant. 

Die von der Bundesrepublik seit den 1950er-Jahren geleisteten „Entschädigungszahlungen“ für die von Nazi-Deutschland begangenen Gräuel wurden zunächst in „Globalabkommen“ lediglich an einzelne Staaten geleistet. Unzählbare Fälle von NS-Unrecht fielen durch das grobmaschig gesponnene Netz.  

Nicht zuletzt die Millionen von Zwangsarbeiter:innen wurden als Opfer über lange Zeit vergessen. Erst am 15. Juni 2001, heute vor 22 Jahren, begann die kurz zuvor gegründete Stiftung „Erinnerung Verantwortung Zukunft“ damit, an Betroffene Einmalzahlungen zu leisten. 

Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau bei der Herstellung von Waffen.

© dpa

Bis dato galt das Zwangsarbeitsregime des NS-Staats als herkömmlicher „Side-Effect“ von Herrschaft und Besatzung. Dabei war der Einsatz von Arbeitssklav:innen spätestens ab 1942 die tragende ökonomische Säule des totalen Krieges. Auf dem Zenit des „Ausländereinsatzes“ arbeiteten sechs Millionen zivile Zwangsarbeiter:innen im Deutschen Reich, die meisten aus Polen und der UdSSR. Auch Kriegsgefangene mussten Arbeitsdienste leisten. Zudem griff die deutsche Industrie immer stärker auf Konzentrationslagerhäftlinge zurück.  

Obwohl der Erfolg vieler deutscher Unternehmen bis heute auch auf Zwangsarbeit und Arisierung gründet, die Wirtschaft massiv in den Holocaust verstrickt war, leugneten Konzerne von Daimler bis Bayer noch Jahrzehnte nach dem Krieg ihre schuldhafte Verstrickung. Erst 65 Jahre nach Ende des Krieges, im neuen Jahrtausend, war es so weit.

Häftlinge aus dem Konzentrationslager Neuengamme heben den Stichkanal vom Klinkerwerk zur Dove-Elbe aus (Foto der SS, etwa von 1941/42).

© picture-alliance/ dpa/dpaweb/KZ-Gedenkstätte_Neuengamme

Nach einer Reihe ziviler Sammelklagen einigten sich der Bund und die deutsche Wirtschaft darauf, jeweils fünf Milliarden DM in die neue Stiftung EVZ einzuzahlen. Zwischen 2001 und 2006 wurden rund 4,7 Milliarden Euro an etwa 1,7 Millionen Betroffene gezahlt, das meiste an KZ- und Ghetto-Überlebende sowie osteuropäische Zivilarbeiter:innen. Zwischen 500 und 7700 Euro bekam, wessen Antrag genehmigt worden war.

Den deutschen Firmen ging es vornehmlich um Rechtssicherheit, man wollte weiteren Klagen die Grundlage entziehen. Alle Leistungsberechtigen mussten versichern, in Zukunft keine Ansprüche mehr geltend zu machen. Auch wenn einige Motive zur Gründung der EVZ wohl weniger ehrbar waren, als in öffentlichen Statements verlautbart, war sie ein erinnerungspolitischer Markstein.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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