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Versorgung eines Fünflings im Brutkasten

© IMAGO/NurPhoto

Heute vor 135 Jahren: Das erste Baby im Brutkasten

Schutz und Wärme, wie für ein auszubrütendes Ei. Die Überlebenschancen von Frühchen steigen im Brutkasten deutlich – obwohl etwas Wichtiges fehlt.

Eine Kolumne von Lili Wolf

Wenn ein Kind vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche zur Welt kommt, ist es ein Frühchen. In Deutschland wurden im Jahr 2017 um die acht Prozent der Babys zu früh geboren, weltweit sind es zehn Prozent. Wiegen die Kinder weniger als 2500 Gramm, kann ihr Überleben gefährdet sein. Den Frühchen fehlen entscheidende Wochen der Entwicklung im geschützten Mutterleib: besonders den Temperaturunterschied zwischen Uterus und Kreißsaal können sie nicht eigenständig ausgleichen.

Um gegen die hohe Sterblichkeitsrate unter Frühgeburten vorzugehen, kamen ab dem 19. Jahrhundert Ideen auf. Der französische Geburtshelfer Étienne Tarnier entwarf um 1880 nach dem Vorbild eines Brutkastens für Hühnereier den „Inkubator“. Das Kind lag darin unter einem Glasdach auf einer Liegefläche. Mit mehreren Wasserflaschen darunter, die erhitzt wurden, konnte die Luft erwärmt werden. So wurde eine Temperatur erreicht, die der Wärme im Uterus entsprach. Der Brutkasten war auch ein Schutzraum vor Infektionen und das Kind konnte sich weiterentwickeln.

Rundumversorgung durch Mensch und Maschine: Ein Frühchen liegt im modernen Inkubator

© IMAGO/BSIP

Am 7. September 1888, heute vor 135 Jahren, wurde Edith Eleanor McLean in einem New Yorker Krankenhaus als erstes Baby in einen Brutkasten gelegt. Mit einem Gewicht von 1106 Gramm hätte sie sonst schlechte Chancen gehabt, doch der Inkubator bewährte sich: Edith überlebte. Bis heute wird der Brutkasten bei Frühgeburten eingesetzt und weiterentwickelt, er kann mittlerweile Sauerstoff und Temperatur regulieren und für Medikamentenzufuhr sorgen. Die Zahl der gesund heranwachsenden Frühchen stieg seit Beginn seines Einsatzes von 15 auf 85 Prozent. Edith war also das erste von vielen Kindern, die dank dieser Erfindung auch nach einer zu frühen Geburt überleben konnten.

Der Inkubator kann das Umfeld des schützenden Uterus künstlich nachahmen, dabei bleibt er aber genau das: künstlich. Hautkontakt zur Mutter spielt bei der Entwicklung von Frühchen eine entscheidende Rolle, emotional und gesundheitlich. Nach neuen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation sollen die Kinder neben dem Brutkasten auch, wenn möglich, regelmäßigen Körperkontakt zur Mutter haben. Diese Kombination erhöhe die Überlebens- und Entwicklungschancen noch einmal deutlich.

Der Brutkasten reiht sich damit ein in die technischen Innovationen, die immense Vorteile mit sich bringen, sogar Leben ermöglichen und besonders viel können - nur eben keinen Menschen ersetzen.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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