zum Hauptinhalt
Gen- und Zelltherapien versprechen Heilung bei schweren Krankheiten. Die Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht analysiert und bewertet diese neuen Verfahren.

© Getty Images/iStockphoto

Gentechnologie und Ethik: Wie Experten Risiken bewerten

Die Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht ist an die Charité umgezogen, nun erscheint ein Themenband zu Gen- und Zelltherapie. Hat die Unabhängigkeit des Gremiums unter dem Umzug gelitten? 

Von Mathilde Bessert-Nettelbeck

Gentechnik weckt gestern wie heute lebhafte Vorstellungen. Um Designerbabys oder Klone geht es nicht mehr, viele denken eher an Gen-Scheren, Gen-Mais oder Millionen von Euro teuren Spritzen. Diese Technologien, die auf der Veränderung des Erbguts beruhen, im Blick zu behalten, hat sich die Arbeitsgruppe „Gentechnologiebericht – Monitoring und interdisziplinärer Dialog“ zur Aufgabe gemacht.

Ihren Sitz hat sie in der deutschen Hauptstadt und ihr neuester Themenband „Gen- und Zelltherapie 2.023“ erscheint im Dezember 2023. Er fasst nicht nur den Stand der Technik zusammen, sondern liefert Empfehlungen zur Anwendung der Technologie. Die AG versteht sich als neutrales „Observatorium“ mit beratender Funktion.

Seit es 2001 von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) initiiert wurde, veröffentlicht dieses Gremium aus den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften ausführliche Berichte, Broschüren und Themenbände. Nach Auslaufen der Finanzierung durch die BBAW zog die Geschäftsstelle im Januar 2022 an das Berlin Institute of Health (BIH) der Charité. Dort sitzt das Gremium nun direkt an der Quelle: Das BIH soll medizinische Forschungsergebnisse in die Praxis umsetzen, auch mit dem Aufbau eines Zentrums für Gen- und Zelltherapien, das der Bund mit 44 Millionen Euro fördert.

Analysieren und bewerten: Wie kritisch ist die AG?

Doch hat sich mit dem Umzug an die Charité nur die Adresse geändert? Der Absender des Berichts ist näher an die gentechnische Forschung und Medizin herangerückt und ist deren Interessen möglicherweise stärker ausgesetzt.

Um die Unabhängigkeit zu gewährleisten, sollten Autorinnen und Autoren kein Eigeninteresse am Thema haben, „das über das einer Fachwissenschaftlerin/eines Fachwissenschaftlers hinausgeht“, schrieb Ferdinand Hucho, AG-Mitglied erster Stunde, im fünften Bericht 2021. Den Mitgliedern mangelt es nicht an Expertise, Vielfalt und Renommee. Berliner Forschende sind auch dabei: Biotechnologin Sina Bartfeld von der Technischen Uni Berlin, ehemaliges Mitglied des Deutschen Ethikrates Jens Reich und der Genetiker Stefan Mundlos von der Charité.

Wir beschäftigen uns mit sehr unterschiedlichen Themen aus dem Feld der Gentechnologie, nicht nur Gesundheitsthemen.

Boris Fehse, Sprecher der Arbeitsgruppe Gentechnologiebericht

Für den AG-Sprecher Boris Fehse, der am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf forscht, stellt der Umzug kein Problem dar: „Wir beschäftigen uns mit sehr unterschiedlichen Themen aus dem Feld der Gentechnologie, nicht nur Gesundheitsthemen. Dafür sichert uns das BIH volle inhaltliche Freiheit zu. Unsere Mitglieder arbeiten alle ehrenamtlich für die AG und keines ist am BIH beschäftigt.“

Für diesen Band sieht Fehse eher den Vorteil der Assoziation: Observieren ließe sich aus der Nähe besonders gut. Wegen der Komplexität des Fachgebietes und den schnellen Entwicklungen hilft der Themenband Betroffenen wichtige Entscheidungen zu treffen – und auch der Politik, etwa in Bezug auf Fördergelder. In Anbetracht der hohen Investitionssummen des Bundes in das BIH wäre eine kritischere Auseinandersetzung mit der eigenen Position daher wünschenswert.

Kritisch verhandelt der neue Band indes Fragen der sozialen Gerechtigkeit oder die ethischen Grenzen der Technologie. Zu hohen Kosten von Gentherapien – Hunderttausende bis Millionen von Euro können hier anfallen – äußern sich Autorinnen aus der Pharmaindustrie und Ethik. Auch zum Schutz von Embryonen im Reagenzglas positioniert sich das Gremium: Dieser sollte „nach Ansicht der AG nicht über die Gesundheit von Behandelten und deren Nachkommen gestellt werden.“ Bei Therapien, die in die Keimbahn eingreifen – also genetischen Veränderungen, die an die Nachkommen vererbt werden –, sei laut der AG die Schwelle des ethisch und rechtlich Vertretbaren überschritten.

Erfolge der Gentherapie

Bevor das Feld in den letzten 15 Jahren einen Aufschwung erlebte, hatte es lange Zeit dahingedümpelt. Doch heute sind bereits 14 gentherapeutische Arzneimittel in Europa zugelassen. Krankheiten, die auf einzelnen Gendefekten basieren wie die Bluterkrankheit, lassen sich so seit Kurzem behandeln – die Zellen erzeugen dann das Genprodukt, das den Betroffenen ansonsten fehlt. In Berlin forscht auch der Pharmakonzern Bayer an so einer Art von Therapie.

Auch bei Krebs im fortgeschrittenen Stadium kann die sogenannte CAR-T-Zelltherapie helfen. Sie kann das Leben von Patientinnen und Patienten verlängern, die an bestimmten Blutkrebsformen leiden – oder ihn sogar verschwinden lassen. Seit 2018 ist diese Therapie in Europa zugelassen und wird von der Krankenkasse in einigen Fällen übernommen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false