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Menschen in Ungarn demonstrieren 2018 für die Freiheit der Wissenschaft.

© AFP Attila Kisbenedek

Gefährdete Wissenschaft: Berliner Unis schließen sich zusammen

In immer mehr Ländern werden Forschende verfolgt, manche müssen fliehen. Die NGO „Scholars at Risk“ hilft und vermittelt sie an sichere Unis. Jetzt gibt es das Netzwerk auch in Berlin-Brandenburg.

Von Clara Dünkler

Wenn die Freiheit der Wissenschaft eingeschränkt wird, hat das nicht nur Folgen für Forschung und Lehre. In autoritären Regimen werden Forschende und Studierende häufig auch politisch verfolgt, eingeschüchtert oder mit dem Leben bedroht. Manche verlieren ihren Job, manche werden verhaftet, andere können fliehen. Die Nichtregierungsorganisation (NGO) Scholars at Risk (SAR) setzt sich weltweit für diese Menschen ein. Seit Kurzem ist das Netzwerk auch als Regionalverband in Berlin-Brandenburg vertreten.

Wie ernst die Situation ist, zeigt eine gemeinsame Erklärung von Deutschland, Frankreich und 72 weiteren Staaten, die sie Ende April vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen abgaben. Die Angriffe auf die akademische Freiheit nehmen zu, heißt es in dem Dokument. Die Dringlichkeit des Aufrufs wird von den Ergebnissen des Academic Freedom Index unterstrichen, einer jährlichen Studie zur Wissenschaftsfreiheit. Eine Mehrheit der 179 untersuchten Ländern bleibt ihr zufolge weiterhin auf einem zu niedrigen Niveau. In 22 davon habe sich die Sicherheitslage von Forschenden sogar signifikant verschlechtert.

„Wir wollen uns verbinden, um bedrohten Wissenschaftler:innen eine Zuflucht zu ermöglichen“, sagt Neda Soltani. Sie arbeitet an der Humboldt-Universität als Referentin für geflüchtete Forschende und koordiniert den neuen Regionalverbund der Scholars at Risk, dem sich neben der HU, die TU Berlin und die Freie Universität angeschlossen haben.

Ein weltweites Hilfsnetzwerk von Hochschulen

Wer mitmacht, erklärt sich bereit, bedrohte und verfolgte Forschende an seinen Instituten aufzunehmen, damit sie in Sicherheit weiter ihrer wissenschaftlichen Arbeit nachgehen können. Finanziert wird das durch Stipendien, die allerdings nicht vom Netzwerk, sondern von Partnerorganisationen vergeben werden. Für den Verbund Berlin-Brandenburg sind das zum Beispiel die Einstein Stiftung oder die von Bundesmitteln geförderte Philipp-Schwartz-Initiative, die nach eigener Angabe für jede:n Stipendiat:in von Scholar at Risk der aufnehmenden Einrichtung rund 20.000 Euro zuwendet.

Demonstrierende stehen mit Transparenten vor einem Gerichtsgebäude in Istanbul.
„Freiheit für Wissenschaftler, die Frieden wollen“ fordern Demonstrierende im Mai 2019 vor einem Gerichtsgebäude in Istanbul.

© Ozan Kose/AFP

Anfragen bekommt das Netzwerk aus vielen Ländern. Forschende aus der Türkei, dem Jemen und Brasilien seien in der Vergangenheit bereits an der HU aufgenommen worden, erzählt Soltani. Am Morgen erst habe sie mit einer Forscherin aus Myanmar telefoniert, die das SAR-Netzwerk um Hilfe bat und nach Berlin zu kommen hofft. In Myanmar gibt es seit dem Militärputsch 2021 praktisch keine wissenschaftliche Freiheit mehr: Auf der Liste des Academic Freedom Index belegte das asiatische Land den zweitletzten Platz. Schlechter ging es der Wissenschaft nur in Nordkorea.

So viele Menschen haben mir geholfen, an den Punkt zu kommen, an dem ich heute bin. Ich möchte das zurückgeben.

Neda Soltani, ist Referentin für geflüchtete Forschende an der HU. 2009 musste sie selbst aus dem Iran fliehen.

Für Soltani ist die Arbeit für das Hilfsnetzwerk ein Herzensprojekt – sie wolle die Hilfe, die sie bekommen hat, zurückgeben, erzählt sie. Denn sie weiß, wie es sich anfühlt, fliehen zu müssen. Juniorprofessorin für englische Literatur an der Islamic Azad-Universität in Teheran, floh sie 2009 aus politischen Gründen aus dem Iran. Sie sei nach Deutschland, ohne die Sprache zu können, erzählt sie. Und wurde 2013 zur ersten „Scholar at Risk“ an der FU Berlin.

Die Frage bleibt, was danach kommt

Die Stipendien des Programms laufen für zwei bis drei Jahre. Das Problem: Nach Ablauf der Förderung gibt es keine Garantie für die Forschenden, in Deutschland zu bleiben. Und das, obwohl sich in vielen Fällen die Lage in ihren Herkunftsländern nicht verbessert hat. Soltani weiß das: „Es ist nicht leicht, sich in der deutschen Wissenschaftslandschaft zu etablieren.“ Man versuche, die Gastforschenden so gut wie möglich zu unterstützen, etwa durch Sprachkurse und Weiterbildungen. Und man bemühe sich, zusammen Pläne für ihre Zukunft zu entwickeln.

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