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Normalerweise sind die Augen der verwendeten Fruchtfliegen rot. Beim Experiment hatten die Mutanten weiße Augen.

© imago

„Unglaublich, wie gut es funktioniert hat“: Forschende testen erfolgreich feinere Crispr-Genschere

Wissenschaftler experimentierten mit einer feinen Genschere an Fruchtfliegen – mit bemerkenswerten Ergebnissen. Die Augen der Tiere verrieten den Erfolg.

Die Genschere Crispr macht vielen Menschen mit Erbkrankheiten Hoffnung auf eine zukünftige Behandlungsmöglichkeit. Die revolutionäre Technologie kann Erbgut gezielt verändern, indem sie Teile der DNA herausschneidet und durch anderes Genmaterial ersetzt.

Nun haben US-amerikanische Biolog:innen an Fliegen erfolgreich eine feinere Variante der Genschere getestet, die präzisere und sicherere Eingriffe mit besseren Ergebnissen verspricht. Die Resultate des Gen-Experiments hat das Team um Forscherin Sitara Roy von der University of California San Diego Anfang Juli in der Fachzeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht.

Der neue Ansatz profitiert von dem natürlichen Mechanismus der DNA-Reparatur und bildet die Grundlage für neuartige Gentherapien. In vielen Fällen weisen Erbkranke bestimmte Mutationen in den von ihren Eltern geerbten Genen auf. 

Letztere kommen in jedem menschlichen Zellkern in Form von insgesamt 46 Chromosomen daher. Oft gibt es zu einer Mutation an einer Stelle eines Chromosoms ein gesundes Gegenstück auf einem anderen Chromosom. 

„Die zelleigene Reparatur kann das gesunde Gegenstück nutzen, um die krankhafte Mutation zu korrigieren, sobald die mutierte DNA angeschnitten ist“, teilt Co-Autorin Annabel Guichard mit. „Überraschenderweise lässt sich dasselbe Ergebnis noch besser mit einem harmlosen Schnitt erreichen.“

Feinere Genschere zielt auf einen betroffenen DNA-Strang statt auf beide

Zu dieser Erkenntnis kamen die Forschenden durch folgendes Experiment: Sie haben zunächst Fruchtfliegen-Mutanten mit weißen Augen gezüchtet.

Eine Mitarbeiterin wendet das CRISPR/Cas9-Verfahren in einem Labor des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin an.
Eine Mitarbeiterin wendet das CRISPR/Cas9-Verfahren in einem Labor des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin an.

© picture alliance / Gregor Fischer/dpa

Wenn die Biolog:innen an denselben mutierten Fliegen die Genschere Crispr verwendeten, zeigten sich auf den vormals vollständig weißen Augen große rote Flecken. Dies war ein Zeichen dafür, dass die zelleigene DNA-Reparatur die Mutation rückgängig gemacht und dafür auf das gesunde Gegenstück auf einem anderen Chromosom zurückgegriffen hat.

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Der Erfolg der künstlich erzeugten DNA-Reparatur lässt sich so an der Pigmentierung der Augen messen. Die Forschenden testeten dann die feinere Genschere, die mithilfe eines sogenannten Nickase-Enzyms nur auf einen betroffenen DNA-Strang zielt, statt auf beide. 

Die Erfolgsquote bei dieser feineren Variante der Genschere lag gemessen an den roten Flecken auf den weißen Augen der Fruchtfliegen bei 50 bis 70 Prozent. Die konventionelle Variante erreichte hingegen nur eine Erfolgsquote von etwa 20 bis 30 Prozent und führte häufig an anderer Stelle zu unbeabsichtigten Mutationen im Erbgut der Fruchtfliegen.

„Ich konnte nicht glauben, wie gut die Nickase funktioniert hat – es war vollkommen unerwartet“, teilte Sitara Roy, die Leitautorin der Studie, mit. Co-Autorin Annabel Guichard bemerkte: „Wir wissen noch nicht, wie sich dieser Prozess auf menschliche Zellen übertragen lässt und ob wir ihn auf solches Erbgut anwenden können.“ Ein paar Anpassungen könnten nötig sein, um die DNA-Reparatur auf krankheitsauslösende Mutationen in menschlichen Chromosomen anzuwenden.

Neuer Crispr-Ansatz ist mögliches weiteres Werkzeug

Ein weiterer Vorteil bei der feineren Genschere ist laut einem Co-Autor ihre Einfachheit – sie sei nur auf wenige Komponenten angewiesen und die DNA-Schnitte seien feiner als bei der Cas9-Genschere, deren Einsatz zu vollständigen DNA-Brüchen und Mutationen führt.

Aus diesem Grund hält auch Sarah Hedtrich die getestete Methode für elegant. Sie forscht als Professorin am Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité an Gentherapien auf Basis der Crispr-Genschere und war nicht an der Studie beteiligt. 

„Bahnbrechend ist die getestete Genschere nicht – es gibt bereits Ansätze, die im Gegensatz zur klassischen Genschere nicht zu vollständigen DNA-Brüchen führen“, sagt sie. Zudem seien hohe Erfolgsquoten von 70 Prozent, wie sie bei Fruchtfliegen in der Studie beobachten wurden, erfahrungsgemäß nicht bei Menschen zu erwarten. 

Dennoch sei der entdeckte Ansatz möglicherweise einer, der den „Werkzeugkasten“ von Forschenden in der Gentechnik erweitern könnte. „Das Experiment zeigt außerdem wieder einmal, wie extrem viel sich auf dem Forschungsfeld Crispr tut – fast täglich erscheinen neue Ansätze, was die Genschere angeht.“

Hedtrich ist zuversichtlich, dass US-amerikanische Behörden in den nächsten ein oder zwei Jahren Gentherapien auf Basis von Crispr zulassen – und Menschen mit angeborenen Erkrankungen wie Sichelzellenanämie eine Behandlung erwarten können. Dabei würden vor allem Betroffene profitieren, deren Krankheiten sich bisher nicht oder nur schlecht behandeln lassen.

Dass es auch hierzulande mit einer Zulassung so schnell gehen könnte, bezweifelt Hedtrich. „Deutschland ist in Sachen Crispr eher zurückhaltend und geht die Forschung und Entwicklung mit mehr Bedenken an als die USA oder Kanada.“

Die Forschung an Möglichkeiten für Gentherapien bleibt wichtig, weil allein in Deutschland schätzungsweise mehr als drei Millionen Menschen an Erbkrankheiten leiden, die unter die Kategorie „Seltene Erkrankung“ fallen. Einige solcher Krankheitsbilder wie Mukoviszidose verkürzen die Lebenserwartungen der Betroffenen stark.

Zu den Instituten, die in Deutschland an Gentherapien auf Basis der Crispr-Technologie forschen, gehören zum Beispiel die Universität Regensburg, das BIH in der Charité oder das Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin in Berlin.

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