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Die Mikroskopieaufnahme des Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin zeigt eine Mikroinjektion von Zebrafischembryonen. Hier wird mit dem CRISPR/Cas9-Verfahren gearbeitet.

© Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin/dpa

Heilende Gentherapie: Dank Crispr erlebt die Medizin eine Zeitenwende

Mit der Crispr-Gen-Schere eröffnet sich der Medizin eine völlig neue Dimension: Die krankmachenden Gene des Patienten selbst werden therapiert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sascha Karberg

Zum ersten Mal weltweit wurden zwei Patientinnen, davon eine in Regensburg, mit der Gen-Schere „CRISPR/Cas9“ von ihren schweren genetisch bedingten Blutkrankheiten geheilt. Das wurde in dieser Woche bekannt.

Man kann nun hingehen und – typisch deutsch – die Unwägbarkeiten dieser Meldung herausstreichen: Die Studie ist noch lange nicht abgeschlossen. Die Ergebnisse sind nur von den behandelnden Ärzten in Regensburg und Nashville, nicht aber von unabhängigen Experten bestätigt worden. Sie wurden nur publik, weil das börsennotierte Unternehmen Crispr Therapeutics, das die Therapie entwickelt, es so wollte und von den guten Nachrichten profitiert.

Schon zuvor haben – andersartige – Gentherapien die erblichen Blutkrankheiten Beta-Thalassämie und Sichelzellanämie geheilt, nur eben nicht mit Hilfe der Crispr-Gen-Schere. Und kann man neun Monate nach dem Eingriff ins Erbgut der defekten, blutbildenden Zellen der Patientinnen überhaupt schon von einer „Heilung“ und vom Ausbleiben von Nebenwirkungen sprechen?

All das sind berechtigte Einwände. Doch sie verkennen den historischen Moment, die Zeitenwende für die Medizin, die mit dem ersten erfolgreichen Einsatz der Crispr-Technik einhergeht, von der sich Forscher und Ärzte viel versprechen.

Aus gutem Grund wird in der Wissenschaft mit Begrifflichkeiten wie Durchbruch, Meilenstein oder Sensation sparsam umgegangen. Zu oft entpuppten sich etwa vermeintliche Durchbrüche in der Krebsbehandlung später als therapeutische Sackgassen. Doch es ist eine Sensation, dass der Regensburger Arzt Selim Corbacioglu seine Patientin trotz der gebotenen Zurückhaltung als „für den Moment geheilt“ bezeichnen kann – selbst wenn unklar ist, ob das auch in zehn oder 20 Jahren noch so sein wird.

Es ist ein wichtiger Meilenstein erreicht, weil die „momentane Heilung“ mit einer Technologie errungen wurde, die 2011 überhaupt erst entdeckt wurde, vor gerade mal acht Jahren. Das ist ein atemberaubendes Tempo für die Medikamentenentwicklung, in der es mitunter Jahrzehnte dauern kann, bis ein neuer Wirkstoff die peniblen Prüfprozesse durchlaufen hat und Patienten erreicht.

Die Technik ist einfacher, präziser, günstiger

Es ist auch ein Durchbruch für das „Genome Editing“, dass die Crispr-Gen-Schere jetzt menschliche Zellen wie gewünscht verändern kann. Zwar gibt es schon Gentherapien, die heilsame Ersatzgene in die Zellen schleusen. Es gab auch schon klinische Erfolgsmeldungen von anderen Gen-Scheren, „Zinkfingern“ oder „TALENs“, mit denen etwa die Immunzellen der krebskranken Emily Whitehead erfolgreich fit gegen ihren Blutkrebs gemacht wurden.

Doch mit der Crispr-Gen-Schere eröffnet sich der Medizin eine völlig neue Dimension des Eingriffs ins Erbgut. Denn die Technik ist einfacher, präziser und günstiger als alle zuvor. Mit ihr wird der Begriff „Gentherapie“ wortwörtlich wahr: Die krankmachenden Gene des Patienten selbst werden therapiert. Wenn man das nicht als Zeitenwende in der Medizin bezeichnen darf, was dann?

Ohne Frage wird es noch Jahre dauern, bis Crispr-basierte Therapien nicht nur zwei, sondern viele Patienten heilen werden. Doch jetzt, in diesem Moment, darf man innehalten und sich einfach – so ganz und gar nicht deutsch – über den medizinischen Fortschritt und mit den geheilten Patientinnen freuen.

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