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Üblicherweise sind die meisten Testtiere hierzulande Mäuse.

© Imago/Westend61

„Fatal für die Gesundheitsversorgung“: Streit um Tierversuche – Forscher wütend auf Bundesregierung

Cem Özdemirs Ministerium will das Tierschutzgesetz so ändern, dass Forschern bei Verstößen sogar Haft drohen könnte. Mediziner, Krebsgesellschaft und Pharma-Firmen sind alarmiert.

Die von der Bundesregierung geplante Änderung des Tierschutzgesetzes werde die Laborforschung hierzulande massiv behindern – das befürchten Pharmakonzerne, Biotech-Firmen und Hochschulmediziner.

Anlass der Sorge ist ein Referentenentwurf für eine Tierschutz-Novelle aus dem Haus von Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. Der Grünen-Politiker ist im Bundeskabinett für „Tiergesundheit“ zuständig. In der Fachwelt wird nun erneut davor gewarnt, dass Wissenschaftler aus Deutschland abwandern könnten.

Bis dato nicht gekannter Einschnitt in die Forschungslandschaft.

Die Deutsche Krebsgesellschaft zur geplanten Tierschutz-Novelle der Bundesregierung

Träte das Gesetz wie entworfen in Kraft, drohten Forschern für Verstöße sogar Freiheitsstrafen, mit denen die bislang vorgesehen Geldbußen ersetzt werden sollen. Insgesamt hätte die Novelle „mittel- bis langfristig fatale Auswirkungen auf den Wissenschaftsstandort und die Gesundheitsversorgung“, heißt es in einer Stellungnahme der „Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften“ und des Vereins der „Deutschen Hochschulmedizin“. Und weiter: „Das Ziel der Bundesregierung zur Stärkung des Pharmastandorts Deutschland wäre damit konterkariert.“

Töten ungenutzter Tiere soll untersagt werden

Nach der Corona-Krise und dem Arzneimittel-Mangel der letzten Winter hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigt, die Medikamentenproduktion hierzulande zu stärken.

Viele Fachleute fürchten nun, dass sich unter dem geplanten Gesetz kein Forscher bereit erklären werde, ein entsprechendes Labor zu leiten – zu hoch seien die Risiken, zu harsch die angedrohten Strafen. Als besonders riskant wird ein Absatz in der Gesetzesnovelle eingestuft, der das Töten ungenutzter Labortiere untersagt.

Die Arbeitsgemeinschaft der Fachgesellschaften teilte dazu mit, dass in allen Einrichtungen, in denen Versuchstiere gezüchtet werden, auch Exemplare geboren würden, die nicht für die geplanten Experimente verwendet werden könnten. Diese Tiere müssten eingeschläfert werden, wenn sie nicht zu anderen Forschungs-, Ausbildungs- oder Futterzwecken abgegeben werden konnten.

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) ist auch für Tierwohl zuständig.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) ist auch für Tierwohl zuständig.

© Imago/Jens Schicke

Fast schon Entsetzen herrscht in der Deutschen Krebsgesellschaft. Die spricht von einem „bis dato nicht gekannten Einschnitt in die Forschungslandschaft“. Die Novelle würde Deutschland „isolieren“ und die hiesige Krebsforschung werde im internationalen Vergleich nur noch eine geringere Rolle spielen.

Einige Formulierungen im diskutierten Referentenentwurf wirkten sich auf die Arbeit mit und an Tieren aus, heißt es auch von der Berliner Charité, Europas größter Universitätsklinik: „Sie bergen nach unserem Verständnis große Risiken für die biomedizinische Forschung und könnten negative Konsequenzen für den Forschungsstandort Deutschland nach sich ziehen.“ Man stehe in „konstruktivem Austausch“ mit dem Bundesministerium.

Forscher arbeiten an Alternativen zu Tierversuchen

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) lehnt den aktuellen Gesetzesentwurf ebenfalls ab. Grundsätzlich teilte die DFG dazu mit: „In Teilen der lebenswissenschaftlichen Forschung sind Tierversuche nach wie vor unverzichtbarer Bestandteil des experimentellen Methodenspektrums. Sie tragen wesentlich dazu bei, das grundlegende Verständnis von Lebensvorgängen und Krankheiten zu verbessern und den medizinischen Fortschritt voranzutreiben.“

90
Prozent der Versuchstiere in vielen Laboren sind Mäuse.

Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller fordert, das aktuelle Tierschutzgesetz dürfe nur dann verschärft werden, wenn „umfassende Rechtssicherheit hergestellt“ werde. Ein Sprecher des Bayer-Konzerns, einer der großen Pharma-Hersteller Deutschlands, sagte: „Der Referentenentwurf birgt an einigen Stellen das Risiko, dass sich die geplanten Regelungen negativ auf die Forschung in Deutschland auswirken könnten.“ Die Anzahl der eingesetzten Versuchstiere sei in den letzten Jahren schon signifikant gesunken.

Viele Einrichtungen, in denen Tierversuche stattfinden, arbeiten an Alternativen. An der Charité gibt es dazu ein ganzes Institut. Jeden Antrag auf ein Laborexperiment prüfen Beamte der zuständigen Landesbehörde, die dafür zudem meist externe Tierversuchskommissionen anhört. Üblicherweise stellen eigens für die Laborarbeit gezüchtete Hausmäuse – Fachterm: Mus musculus  fast 90 Prozent der Versuchstiere. Dazu kommen vor allem Ratten, Kaninchen, Meerschweinchen, Krallenfrösche und Zebrafische.

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