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Menschlicher Hirnschnitt im Spezialmikroskop zur Darstellung von Nervenfasern.

© Forschungszentrum Jülich/Mareen Fischinger

Ein Scheitern, aber keine Schande: Nichts ist so schwer zu verstehen wie das Gehirn

Vor zehn Jahren startete das europäische „Human Brain Project“, eine Milliarde Euro sollten ermöglichen, das menschliche Gehirn in einem Supercomputer zu simulieren. Es folgte eine Lektion in Demut.

Ein Kommentar von Birgit Herden

Zehn Jahre würde es dauern, versprach Henry Markram in einem denkwürdigen Vortrag. Zehn Jahre, um menschliche Nervenzellen in mathematischen Gleichungen auszudrücken und das gesamte Gehirn in einem Supercomputer zu simulieren. Die daraus resultierenden Erkenntnisse, so skizzierte es der charismatische Neurowissenschaftler, würden gigantisch sein.

Nicht nur wären gezielte Therapeutika in Reichweite, mit denen man Menschen mit psychischen Erkrankungen helfen könnte. Auch Fragen, mit denen sich Philosophen seit Jahrhunderten beschäftigen, ließen sich empirisch angehen: Wie erfassen wir mit unserem Gehirn die Welt, wie entstehen Bedeutung, Bewusstsein in unserem Kopf? Wie wird die von uns erlebte Wirklichkeit von der Architektur der Nervenbahnen bestimmt?

Vor zehn Jahren startete das europäische „Human Brain Project“, eine Milliarde Euro waren als Förderung zugesagt. Der kühne, von Anfang an höchst umstrittene Plan ist längst krachend gescheitert. Markram wurde entmachtet, die nur teilweise geflossenen Gelder bescheideneren Zielen gewidmet. Ähnlich gescheitert ist ein vergleichbares Großprojekt in den USA, das „Brain Activity Map Project“, das sämtliche Aktivität der rund 86 Milliarden Nervenzellen des menschlichen Gehirns aufzeichnen wollte.

Um große Ziele zu erreichen, braucht es nur ausreichend Geld, so schien die Vergangenheit zu lehren, mit Manhattan-Projekt, Apollo-Programm und Humangenomprojekt. Ausgerechnet unser eigenes Denkorgan hielt eine Lektion in Demut bereit. Überraschend ist das nicht, denn an Komplexität übertrifft das Gehirn Atombombe, Mondrakete oder Genom bei Weitem.

Das liegt nicht nur an der schieren Zahl der Nervenzellen. Jede einzelne ist ein einzigartiges dreidimensionales Gebilde mit feinsten Verästelungen, verarbeitet Input als biologisch-plastische Rechenmaschine, vernetzt mit Milliarden anderen Nervenzellen, jede von ihnen ebenso einmalig.

Selbst wenn es eines Tages gelingt, das gesamte Geschehen im Gehirn im Detail aufzuzeichnen oder gar zu simulieren, ist fraglich, inwieweit wir unser Denken damit wirklich „verstehen“ werden. Eine Arbeitsgrundlage wäre dies aber zweifellos – so wie man mit der reinen Sequenz eines Genoms noch nichts verstanden hat, sie aber seit ihrer Entschlüsselung die Basis für eine Flut neuer Erkenntnisse ist.

Und auch wenn sich der ursprüngliche Plan als Hybris erwiesen hat, das Scheitern ist keine Schande. Das Human Brain Project hat die Hirnforschung vorangebracht und viele junge Forscher inspiriert. Vielleicht wurde so eine Saat ausgebracht – für Erkenntnisse, die wir uns bislang nicht vorstellen können.

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