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A Herbstzeitlose a day...? Sicher nicht. Doch genau dosiert könnte Colchizin, das extrem gefährliche Gift der Pflanze, bei Covid-19 wirksam sein. (Archivbild von 2018)

© Frank Rumpenhorst/dpa

Ein Gichtmittel gegen Corona?: Das Gift der Herbstzeitlose und sein umstrittenes Potenzial bei Covid-19

Colchizin könnte schweren Verläufen von Covid-19 vorbeugen. Doch ersten klinischen Resultaten in diese Richtung steht auch scharfe Kritik entgegen.

In Griechenland hat ein offizielles Beratergremium des dortigen Gesundheitsministeriums bereits entschieden: Ein bereits existierendes Medikament wird dort für die Behandlung von Covid-19 nun offiziell empfohlen.

Colchizin, das Gift aus Samen, Blüten und Wurzeln der Herbstzeitlose, gilt als hocheffektiv zur Behandlung akuter schwerer Gichtanfälle. Sein Potenzial für die Behandlung der durch das Virus Sars-CoV-2 hervorgerufenen Erkrankung hatte man gerade in Griechenland schon früh erkannt und bereits im Februar 2020 hierzu eine klinische Studie begonnen. Eine Wirksamkeit galt als plausibel, weil der Wirkstoff - wie bei Gichtanfällen bekannt - eine überschießende Entzündungsreaktion unterbinden kann.

Grundlage der jetzigen Entscheidung sind allerdings Verlautbarungen bezüglich einer von Medizinern in Kanada verantworteten klinischen Untersuchung.

Weniger Todesfälle. Aber signifikant weniger?

In der Studie unter Leitung des Kardiologen Jean-Claude Tardif am Montreal Heart Institute war das Medikament in Pillenform Patienten verabreicht worden, noch bevor sie ins Krankenhaus mussten. Als Vergleichsgruppe dienten fast ebenso viele Patienten in vergleichbarem Zustand, die standardmäßig behandelt wurden, also ohne Colchizin.

Beide Gruppen umfassten jeweils mehr als 2000 Personen. In der Gruppe, die Colchizin bekam, gab es weniger Todesfälle und insgesamt weniger schwere Verläufe. Die Reduktion lag allerdings bei deutlich weniger als 50 Prozent, es traten also weiterhin viele schwere Verläufe und Todesfälle auf. Auch die bekannten Nebenwirkungen des Medikaments, etwa starke Durchfälle, mussten die Behandelten gehäuft auf sich nehmen.

Herbstzeitlose, Archivbild von 2020.
Herbstzeitlose, Archivbild von 2020.

© Patrick Pleul/dpa

Die Studie wurde, wie so viele derzeit, zunächst als so genanntes „Preprint“ veröffentlicht. In diesem Zustand sind solche Manuskripte noch nicht von unabhängigen Experten begutachtet. Auf diese Weise Daten und vor allem die Interpretation der verantwortlichen Forscher öffentlich zu machen wird vielfach kritisiert.

Gewarnt wird vor allem, auf diese Weise publizierte Resultate dürften nicht voreilig zu Schlussfolgerungen etwa hinsichtlich der Anwendung von Wirkstoffen beitragen, wie im Falle Griechenland – und auch Zypern, das nachzog - aber nun geschehen.

Der unbestrittene Sinn des Verfahrens besteht aber darin, dass viele Fachleute die Studien einsehen und bei Bedarf kritisieren und Vorschläge zur Verbesserung machen können - und nicht nur die wenigen, die von dem jeweiligen Medizinjournal um Gutachten gebeten werden.

Von "ermutigend" bis "enttäuschend"

Im Falle der kanadischen Colchizin-Studie sind diese Reaktionen sehr gemischt. Eine wichtige Stimme in diesem Stadium war bislang immer Eric Topol. Der Kardiologe und Direktor des „Scripps Research Translational Institute“ in La Jolla, Kalifornien, bezeichnete die Studie als „ermutigend“. Er hätte sich aber, schrieb er auf Twitter, noch größere Patientengruppen gewünscht, um die statistische Aussagekraft zu verbessern. Andere waren kritischer, äußerten sich "enttäuscht", auch bezügliche eben jener statistischen Aussagekraft. Manche bezeichneten diese als „nicht signifikant“ – was bedeuten würde, dass die Resultate mit einer nicht zu vernachlässigenden Wahrscheinlichkeit auch rein zufällig zustande gekommen sein könnten.

Kritisiert wurde auch das mittle Alter der Studienteilnehmer. Es lag bei etwa 50 Jahren. Ältere, die auf Therapien aufgrund von Vorerkrankungen oder Einschränkungen in der Immunreaktion im Mittel eher angewiesen sind als jüngere Menschen, seien unterrepräsentiert in der Studie. Sie hätten aber bei Colchizin wahrscheinlich auch mit ernsthafteren Nebenwirkungen zur rechnen.

Allerdings ist ein Grundproblem solcher Studien, dass aus ethischen Gründen eben gerade potenziell höher gefährdete Personen oft schlicht nicht teilnehmen können.

Übertriebene PR-Meldung

Die Kritik kam teilweise direkt aus der Nachbarschaft der Montrealer Forscher, etwa von Emily McDonald von der McGill University, ebenfalls beheimatet in der kanadischen Metropole. Problematisch bei den Ergebnissen ist auch, dass in der Gruppe, die Colchizin bekam, häufiger als in der Vergleichsgruppe Probleme mit der Blutgerinnung festgestellt wurden, was ohnehin bei schweren Verläufen gehäuft vorkommt. Allerdings ist hier ein Gegenargument, dass es möglich sein sollte, dadurch bedingte Komplikationen etwa durch Gabe von Medikamenten zur Gerinnungshemmung weitgehend zu vermeiden.

Die größte Kritik allerdings geht in Richtung der PR-Abteilung des Montrealer Instituts – und möglicherweise der verantwortlichen Ärzte um Tardif, die hier nicht eingriffen: In einer Pressemeldung war schon vor Tagen verlautbart worden, Colchizin senke die Todesrate um fast die Hälfte, was statistisch tatsächlich ganz offensichtlich nicht haltbar ist. Auf diese Meldung allerdings – das Preprint der Studie selbst war noch gar nicht verfügbar zu diesem Zeitpunkt - reagierten etwa die griechischen Behörden mit ihrer Entscheidung.

Mutanten als Grund, verstärkt nach Therapien zu suchen

Wenn Colchizin nun, etwa in Griechenland, tatsächlich verstärkt frühzeitig bei Covid-19 angewandt werden sollte, müssen Ärzte auch nicht nur auf die bekannten Nebenwirkungen vorbereitet sein. Denn Colchizin ist ein hochwirksames Gift; schon die versehentliche Verdopplung der zugelassenen täglichen Höchstdosis kann tödliche Folgen haben.

Mediziner warten nun nicht nur auf die Begutachtung der Studie und ihre tatsächliche Publikation, sondern auch auf Resultate einiger weiterer laufender Untersuchungen mit Colchizin. Angesichts der nach wie vor nicht wirksam eingedämmten weltweiten Pandemie – und vor allem angesichts der Mutanten, die teilweise gefährlicher zu sein scheinen und zum Teil auch der Wirkung derzeit verfügbarer Impfstoffe entgehen - rückt die Suche nach wirksamen Therapien insgesamt aber wieder mehr in den Fokus.

Zwar sind die Therapiemöglichkeiten gut ein Jahr nach den ersten schweren Fällen inzwischen verbessert, etwa durch spezielle Lagerung und angepasste Beatmung bei schweren Fällen. Bei Medikamenten gibt es ebenfalls gewisse Fortschritte, etwa in der Anwendung entzündungshemmender Stoffe aus der Gruppe der cortisonartigen Präparate, vor allem Dexamethason. Andere anfangs als vielversprechend geltende Mittel enttäuschten.

Von einer Situation, in der Covid-19 auch bei besonders gefährdeten Patienten gut zu kontrollieren wäre, ist man noch immer weit entfernt.

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