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Medikament als Hilfsmittel. Dexamethason soll schwer Covid-19-Erkrankten nützen.

© Peter Kneffel/dpa

Durchbruch bei der Covid-19-Behandlung?: Ein Medikament könnte schwer Coronavirus-Erkrankten das Leben retten

Der Entzündungshemmer Dexamethason senkt die Sterblichkeit durch Covid-19. Das sagen Forscher aus Oxford. Die abschließende Beurteilung steht aber noch aus.

Die britische Universität Oxford lässt Zahlen für sich sprechen: Das Steroid Dexamethason, das Entzündungen hemmt, vermindere die Sterblichkeit unter beatmeten Covid-19-Patienten um ein Drittel und bei Patienten, denen Sauerstoff verabreicht wird, um ein Fünftel.

Das teilte die Universität am gestrigen Dienstag als vorläufiges Ergebnis einer groß angelegten klinischen Studie mit. Die Publikation der Ergebnisse in einer medizinischen Fachzeitschrift und ihre Begutachtung durch unabhängige Experten stehen aus. Die Weltgesundheitsorganisation begrüßt sie jedoch bereits als „wissenschaftlichen Durchbruch“.

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Was sagen die Zahlen? Laut der Mediziner verhindert das Mittel jeweils einen Todesfall, wenn acht beatmete Patienten oder 25 Patienten unter Sauerstoffbehandlung damit behandelt werden. Bei Patienten mit einem milderen Verlauf der Krankheit zeigt das Medikament keine Wirkung.

In der Studie wurde 2104 zufällig ausgewählten Patienten zehn Tage lang täglich eine relativ niedrige Dosis von Dexamethason gegeben oder gespritzt. Die Behandlungsergebnisse wurden mit denen von 4321 ebenfalls zufällig ausgewählten Patienten verglichen, die nur die Standard-Behandlung erhielten.

Die Ergebnisse sind auf einer Website einsehbar, auf der auch die Ergebnisse weiterer experimenteller Therapien von Covid-19 im Rahmen der Studie „Recovery“ (deutsch: Genesung) dargestellt werden. Insgesamt wurden im Rahmen der Studie bislang rund 11.500 Patienten an 175 Krankenhäusern behandelt.

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„Ich halte die Daten für sehr überzeugend“, sagte Gerd Fätkenheuer, der Leiter der Infektiologie der Uniklinik Köln dem Science Media Center Germany. Fätkenheuer hat eine klinische Untersuchung der Wirksamkeit von Remdesivir bei Patienten in Deutschland geleitet.

Die Ergebnisse der Recovery-Studie passten sehr gut zur aktuellen Vorstellung, dass im späten Verlauf der Covid-19-Erkrankung eine Überreaktion des Immunsystems eine entscheidende Rolle spiele und daher Kortisonpräparate bei schweren Verläufen eingesetzt werden könnten.

„Die Ergebnisse sind nicht ganz überraschend, aber in dieser Deutlichkeit neu und wichtig“, sagt Bernd Salzberger von der Uniklinik Regensburg, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie ist.

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Der Wirkstoff bremse neben den entzündlichen Reaktionen jedoch auch die Immunantwort gegen das Sars-CoV-2-Virus. „Es könnte also auch dazu führen, dass das Virus langsamer eliminiert wird. Hier muss man die Daten sicher noch genauer analysieren“, so Salzberger.

Möglicherweise könne Dexamethason mit Remdesivir sinnvoll kombiniert werden. Dieses Virostatikum hemmt die Vermehrung der Viren, indem es die Vervielfältigung des Virenerbguts bremst. „Solche Kombinationen werden gerade auch in anderen Studien untersucht“, sagt Salzberger.

Dexamethason könnte viele Nebenwirkungen haben

Dexamethason wird dagegen zur Unterdrückung des Immunsystems eingesetzt, etwa bei allergischen Reaktionen und Entzündungen. Der Wirkstoff wird laut des Pharmaindex „Gelbe Liste“ unter anderem bei Asthma, Hauterkrankungen und Rheuma eingesetzt. Er hemmt die Ausschüttung von Prostaglandinen, die als Botenstoffe an entzündlichen Reaktionen beteiligt sind.

Wegen der breit gefächerten Wirkung könne Dexamethason viele Nebenwirkungen haben, die sich aber durch die richtige Anwendung und Dosierung gut begrenzen ließen. In der aktuellen Covid-19-Studie wurde mit sechs Milligramm eine Tagesdosis eingesetzt, die noch unter der empfohlenen Menge von acht bis zehn Milligramm zum Anfang einer mehrtägigen Behandlung von Erwachsenen liegt. Für Kinder werden nicht mehr als 16 Milligramm pro Tag empfohlen.

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Für Covid-19-Patienten zeichne sich aus therapeutischer Perspektive ein Szenario ab, sagt Clemens Wendtner: „Möglichst frühzeitiger Einsatz von Virustatika wie Remdesivir bei nicht künstlich beatmeten Patienten zur Viruslastreduktion und Gabe von Steroiden bei beatmungspflichtigen Covid-19-Patienten zur Kontrolle einer schweren Lungenerkrankung.“

Da die Sterblichkeitsrate durch Steroide nur geringfügig herabgesetzt werde, bleibe ein effizienter Impfstoff jedoch „die beste Medizin“ gegen Covid-19, so der Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin in der Klinik Schwabing.

Für Nils Kucher vom Universitätsspital Zürich in der Schweiz stellt sich auch die Frage, warum die Gesamtsterblichkeit in der Studie vielfach höher war als in anderen Covid-19-Studien. „Damit bleibt unklar, ob Dexamethason in Ländern mit geringerer Sterblichkeit ähnlich gute Effekte zeigen würde“, sagt Kucher.

Bei der Beurteilung der Studienergebnisse verweisen Experten auf die volle Veröffentlichung. Maria Vehreschild, Leiterin des Schwerpunkts Infektiologie an der Uniklinik Frankfurt beurteilt es so: „Eine randomisierte Studie ist erst einmal eine qualitativ sehr hochwertige Form der klinischen Studie. Allerdings liegen mir im Moment die Originaldaten noch nicht vor. Eine abschließende Aussage zur Qualität kann man erst treffen, wenn diese ausführlich gesichtet wurden.“

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