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Knochenreste in der Grabstätte in einer nordspanischen Höhle vor der Ausgrabung.

© José I.Vegas

1000 Jahre früher als gedacht: Bereits in der Jungsteinzeit größere Kriege in Europa

Um einen Krieg zu führen, bedarf es viel Logistik. Seit wann ist die Menschheit zu Gewalt im großen Maßstab in der Lage? Forscher haben Indizien ausgemacht.

Von Annett Stein, dpa

Kriege größeren Ausmaßes könnte es in Europa schon vor 5000 Jahren und damit ein Jahrtausend früher als bisher angenommen gegeben haben. Darauf wiesen Spuren an Skeletten einer Fundstelle in Spanien hin, berichtet ein Forschungsteam im Fachjournal „Scientific Reports“. Die Anzahl Verletzter sowie der hohe Prozentsatz betroffener Männer lassen demnach darauf schließen, dass es in der Region eine womöglich mehrere Monate, wahrscheinlich sogar Jahre währende Konfliktperiode gab.

Über Konflikte in der europäischen Jungsteinzeit vor etwa 9000 bis 4000 Jahren sei bisher noch nicht viel bekannt, erläutert das Team um Teresa Fernández-Crespo von der Universität in Valladolid. Hinweise auf Gewalt seien oft nicht einfach zu finden, da Angriffe häufig zu Weichteilverletzungen führten. Nur ein Teil hinterlasse auch Spuren an Knochen und sei damit an gefundenen Skeletten noch nachzuweisen.

Angenommen worden sei bisher, dass es sich meist um nur einige Tage währende Raubzüge kleiner, 20 bis 30 Menschen umfassender Gruppen handelte. Für längere Auseinandersetzungen hätten den frühen Agrargesellschaften allein schon die logistischen Möglichkeiten zur Versorgung der Kriegertruppe gefehlt, werde vermutet.

Organisierte Gewalt erst nach dem Übergang zu bäuerlichem Wirtschaften

Kleinere Konfrontationen zwischen benachbarten Gruppen seien womöglich so alt wie die Menschheit selbst, so das Forschungsteam. Organisierte tödliche Gewalt in größerem Umfang zwischen soziopolitischen Gruppen, also Kriege, habe es hingegen vermutlich erst nach dem Übergang zu bäuerlichem Wirtschaften mit den damit einhergehenden höheren Bevölkerungsdichten und mehr Sesshaftigkeit gegeben. Der früheste bekannte größere Konflikt in Europa werde bisher für die Bronzezeit vor etwa 4000 bis 2800 Jahren angenommen.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Fernández-Crespo hatten Skelettreste von 338 Menschen auf Anzeichen von verheilten und nicht verheilten Verletzungen untersucht. Alle Überreste stammten aus San Juan Ante Portam Latinam, einem Massengrab nahe Laguardia in der nordspanischen Region Rioja Alavesa, das auf ein Alter von 5400 bis 5000 Jahren datiert ist.

70 Prozent der Verletzungen bei Männern

Knapp ein Fünftel der Menschen wies Skelettverletzungen auf, etwa ein Zehntel nicht verheilte. Das liege deutlich über den geschätzten Verletzungsraten für die damalige Zeit. Zudem entfielen rund drei Viertel der nicht verheilten und 70 Prozent der verheilten Verletzungen auf männliche Jugendliche oder Erwachsene, wie das Team berichtet. Ein solcher Unterschied zwischen den Geschlechtern sei bei anderen europäischen neolithischen Fundorten mit vielen Toten nicht beobachtet worden. Auch das deute auf einen Krieg hin: Kampfhandlungen seien Männersache gewesen.

An der Stelle seien außerdem 52 Pfeilspitzen aus Feuerstein entdeckt worden – es könne angenommen werden, dass sie alle einst in den dort beerdigten Leichen steckten. Zudem seien den Verletzungsmustern zufolge womöglich Waffen wie stumpfe Steinkeulen, Äxte oder geworfene Steine eingesetzt worden. In der Summe wiesen die Erkenntnisse darauf hin, dass die Menschen Opfer eines Krieges geworden sein könnten.

Womöglich habe die Gruppe über längere Zeit immer wieder ihre Siedlung verteidigen müssen. Die relativ hohe Rate verheilter Verletzungen deute auf eine mindestens mehrere Monate dauernde Auseinandersetzung hin. Die möglichen Ursachen des frühen Krieges seien unklar, denkbar seien Spannungen zwischen verschiedenen kulturellen Gruppen in der Region.

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