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Die Politik hat der Plastiktüte den Kampf angesagt - und der Handel zieht mit.

© imago images / epd

Wieso kein Papiertütenverbot?: Die Plastiktüte hat die bessere Klimabilanz

Der Verbrauch von Plastiktüten wird genau überwacht und reguliert. Ganz anders bei Papiertüten - dabei ist deren Klimabilanz viel schlechter.

Der Wind bläst der chemischen Industrie, die Verpackungen aus Plastik herstellt, kräftig ins Gesicht. Die EU hat beschlossen, Einwegprodukte wie Trinkhalme, Teller und Ohrstäbchen aus Plastik ab 2021 zu verbieten. Und Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) legt nach. Sie will die Plastiktüte komplett verbieten und auch noch der Industrie ab 2022 die Kosten für die Entsorgung von Plastikabfällen in Städten und Gemeinden aufdrücken.

Die Verbannung der Plastiktüte aus Deutschland könnte die Kunststoffverpackungen herstellende Industrie in Deutschland wirtschaftlich wohl verschmerzen. Plastiktüten für Verbraucher machen nur etwa ein Prozent der 4,5 Millionen Tonnen Kunststoffverpackungen her, die die Unternehmen 2018 hergestellt haben, teilt die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen mit. Der größte Anteil von Kunststoffverpackungen wird für die Industrie hergestellt, etwa Kanister für die chemische Industrie oder Folien, in denen Autoteile eingepackt sind.

Obwohl der Plastiktütenabsatz bereits im freien Fall ist – die Verbraucher in Deutschland haben 2018 mit zwei Milliarden Stück 400 Millionen Tüten weniger als im Vorjahr abgenommen – geht es der Branche gut. Sie hatte im vergangenen Jahr einen Produktionszuwachs von zwei Prozent verzeichnet. Die Branche wächst seit Jahrzehnten kräftig.

1991 hat sie zwei Milliarden Tonnen Folien- und Kunststoffverpackungen produziert und einen Umsatz von sechs Milliarden Euro gemacht, 2018 lagen die Kennzahlen von Produktion mit 4,5 Milliarden Tonnen und Umsatz von 15 Milliarden Euro deutlich darüber. Im ersten Halbjahr 2019 ging der Umsatz zwar um rund ein Prozent zurück, dies sei aber nicht etwa auf einen Boykott der Plastiktüte zurückzuführen, sondern auf die nachlassende Konjunktur. Wegen der Rückgänge im Automobilbereich würden etwa von Zulieferern weniger Verpackungsmaterialien geordert.

Umweltverband pflichtet Plastikindustrie bei

Obwohl die Branche das Verbot der Plastiktüte wirtschaftlich problemlos verkraften würde, lässt sie der Feldzug der Politik gegen die Tragetasche nicht kalt. Mara Hacker von der Industrievereinigung begründet das so: Da die Ökobilanz der Plastiktüte besser sei als etwa die Ökobilanz der Papiertüte, sehe der Verband „die pauschale Diskriminierung der Plastiktüte gegenüber anderen Taschen mit großer Sorge“.

Sie spricht von einem „allgemein um sich greifenden Plastikbashing“. Hacker wirft Schulze und einigen Umweltverbänden vor, der Verlockung zu erliegen, wider besseren Wissens „mit populistischen Forderungen das eigene Profil“ schärfen zu wollen. In der Sache bekommt die Branche Schützenhilfe vom Nabu. Der Umweltverband argumentiert: „Einwegtüten aus frischen Papierfasern müssen mindestens dreimal so oft benutzt werden wie die erdölbasierte Plastiktüte, damit sich die Klimabilanz ausgleicht.“

Um Papiertüten stabil zu halten, seien sehr viel Material sowie lange und chemisch behandelte Fasern nötig. Selbst der Baumwollbeutel habe erst dann eine bessere Klimabilanz als die Plastiktüte, sagen die Umweltschützer, wenn er 50 bis 150 Mal benutzt werde.

Industrie soll zwei Mal zahlen

Angesichts der schlechteren Ökobilanz der Papiertüte ist es erstaunlich, dass nirgendwo nachgehalten wird, wie viele davon in Deutschland an Verbraucher abgegeben werden. Das ist anders bei den Plastiktüten: Sie werden genau gezählt. 2016 hat sich die Industrie selbst verpflichtet, den Plastiktütenabsatz bis Ende 2019 auf 90 Stück je Verbraucher und Jahr zu senken (2025 auf 40 Stück). Und: Obwohl die Industrie dafür gesorgt hat, dass das 2025er Ziel bereits 2018 mit 24 Tüten pro Kopf massiv unterboten wurde, will die SPD-Umweltministerin ein Verbot erlassen.

Ob der Koalitionspartner mitmacht und wann es kommen soll, steht in den Sternen. Konkreter wurde Schulze bei der Ankündigung, die Industrie an den Entsorgungskosten für Plastikabfälle zur Kasse zu bitten, die nicht im Gelben Sack landen. Dafür will sie die gesetzlichen Grundlagen bis 2022 schaffen. Diese Maßnahme würde die Hersteller wirtschaftlich vermutlich härter treffen als ein Tütenverbot.

Eigentlich müssten die Plastikabfälle nicht in einem öffentlichen Mülleimer der Städte und Gemeinden entsorgt werden, sondern im Gelben Sack landen. Daher empört diese Idee der SPD-Politiker die Industrie auch ganz besonders. „Für die Entsorgung und das Recycling der Verpackungsabfälle werden bereits Lizenzgebühren an die Dualen Systeme gezahlt“, sagt Mara Hacker von der Industrievereinigung. Jetzt solle die Industrie zwei Mal zur Kasse gebeten werden.

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