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Die Erntesaison beginnt im März mit Spargel und endet im Oktober mit Obst und Wein.

© dpa/Uwe Anspach

Spargelstechen zum Mindestlohn: Wie prekär ist die Saisonarbeit in der Landwirtschaft?

Die Initiative Faire Landarbeit hat eine Studie vorgestellt: Die Bezahlung unterhalb des Mindestlohns und schlechte Krankenversicherung sind noch immer weitverbreitet.

Im vergangenen Jahr betrug der gesetzliche Mindestlohn zwölf Euro. Aber nicht für alle. Beschäftigte eines Gemüsebetriebs in Rheinland-Pfalz lagen deutlich darunter, da der Akkordlohn pro gefüllter Kiste Frühlingszwiebeln von vier auf 3,60 Euro heruntergesetzt worden war. Ein Arbeiter sagte der „Initiative Faire Landarbeit“, aufgrund der schlechten Qualität der Zwiebeln sei es nicht möglich, genügend Kisten zu füllen. Am Ende des Tages bekomme er deshalb nur einen Stundenlohn von sieben Euro.  

Am Dienstag stellte die Initiative, in der gewerkschaftliche und kirchliche Gruppen mitwirken, ihren Bericht für 2023 vor. Die Unterschreitung des Mindestlohns und die mangelhafte Krankenversicherung sind die gröbsten Missstände auf deutschen Äckern und Feldern. Aber es gibt auch positive Entwicklungen: Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten steigt.

Nach einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit waren Mitte letzten Jahres rund 124.000 „ausländische abhängig Beschäftigte in der Landwirtschaft, im Gartenbau und Forst“ tätig, davon etwa 50.000 kurzfristig beschäftigt und deshalb zumeist nicht sozialversichert.

In der Saisonarbeit dürfen Beschäftigte bis zu 70 Arbeitstage kurzfristig angestellt werden, wodurch die Betriebe Sozialversicherungsabgaben sparen. Ferner sind Ausnahmegenehmigungen für eine tägliche Arbeitszeit von bis zu zwölf Stunden möglich, und die Kosten für die Bereitstellung von Unterkunft und Verpflegung können vom Mindestlohn abgezogen werden.

1100 Euro für zwölf Quadratmeter

Die Qualität der Unterkünfte ist besser geworden, hat die Initiative festgestellt. Doch auch bei diesem Thema bestätigen Ausnahmen die Regel. Sie habe einen Betrieb in Brandenburg besucht, wo drei aus Osteuropa stammende Saisonarbeiter eine zwölf Quadratmeter große Unterkunft bewohnten und dafür 1100 Euro zahlten, berichtete das DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel am Dienstag bei der Vorstellung des Jahresberichts.

80
Prozent der Saisonkräfte stammen aus Rumänien

2023 ging die Initiative Faire Landarbeit mit insgesamt 18 verschiedenen Teams im ganzen Bundesgebiet 47 Mal aufs Feld. Diese trafen mit etwas mehr als 3300 Saisonkräften zusammen. Rund 80 Prozent der angetroffenen Beschäftigten stammten aus Rumänien; die zweitgrößte Gruppe bildeten die Polen mit etwa zehn Prozent.

Wie sich die niedrigen Sozialabgaben auswirken, erläutert die Initiative am Beispiel eines Großbetriebs, der in Bayern und Brandenburg tätig ist. „Der Anteil der Sozialabgaben an den Lohnkosten, den das beschriebene Unternehmen in seinen Bilanzen angibt, variiert in den Jahren 2008 bis 2021 zwischen 4,0 und 8,3 Prozent“, heißt es im Bericht. Im Vergleich zu Sozialabgaben, die sonst im Schnitt 30 Prozent des Bruttolohns ausmachen.

Die Agrarwirtschaft ist stärker als andere Branchen auf Arbeitskräfte angewiesen, die einfache Tätigkeiten ausführen. „In der Gesamtwirtschaft lag dieser Bedarf 2020 bei 25 Prozent der Stellen, in der Agrarwirtschaft hingegen bei 38 Prozent“, schreibt die Initiative Faire Landarbeit. Gleichzeitig sei jedoch der Mangel an Fachkräften in der Agrarwirtschaft besonders stark.

Die wirtschaftliche Situation vieler Obstbaubetriebe hat sich über die Jahre verschlechtert.
Die wirtschaftliche Situation vieler Obstbaubetriebe hat sich über die Jahre verschlechtert.

© ZB/Soeren Stache

Mobile Beschäftigte aus Osteuropa würden deswegen nicht mehr nur „Saisonarbeiter“, sondern teilweise über das gesamte Jahr verteilt in der Tierhaltung, in Baumschulen oder in der Pferdewirtschaft arbeiten. „Somit ist die Zahl der kurzfristig Beschäftigten über die Jahre gesunken, die der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus dem Ausland jedoch gestiegen.“

Der Bericht enthält auch Daten zur wirtschaftlichen Lage einzelner Bereiche. Während die Ackerbaubetriebe in der Saison 2022/23 durchschnittlich einen Gewinn von knapp 120.000 Euro erzielten und die Milchviehbetriebe rund 143.000 Euro, verdienten Obstbauer und Winzer deutlich weniger: Die durchschnittlichen Betriebsgewinne im Obstbau lagen in den letzten fünf Jahren zwischen 27.000 Euro und 77.000 Euro und im Weinanbau zwischen 74.000 und 85.000 Euro.

Tendenz zum Großbetrieb

Der Prozess des „Wachse oder weiche“ habe sich vor allem im Obstanbau fortgesetzt. Viele Betriebe mussten aufgeben oder waren 2023 auf Sonderbeihilfen der EU angewiesen. Zugleich seien andere Betriebe stark expandiert und bewirtschafteten Flächen von über 3000 Hektar in mehreren Bundesländern. „Die, die aufhören, sind die kleinen Betriebe, die fünf bis zehn Saisonbeschäftigte haben. Und die, die über 100 haben, nehmen rasant zu“, zitiert der Bericht einen Unternehmer.

Die Initiative Faire Landarbeit ist ein Bündnis aus den gewerkschaftsnahen Beratungsstellen Faire Mobilität, dem Europäischen Verein für Wanderarbeiterfragen (EVW) und dem Beratungsnetzwerk „Gute Arbeit“ von Arbeit und Leben, der IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) und kirchlichen Beratungsstellen. Seit 2018 erscheint regelmäßig der Jahresbericht zur Saisonarbeit in der Landwirtschaft.

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