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Andreas Mundt ist seit 2009 Präsident des Bundeskartellamtes. Foto: Roberto Pfeil/dpa

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Neue EU-Regeln für Big Tech: „Eine Reihe offensichtlicher Verstöße kann abgestellt werden“

Mit neuen Regeln will die EU die Macht der Digitalkonzerne begrenzen. Der Chef des Kartellamts sagt im Interview, was sich dadurch ändert und warum selbst eine Aufspaltung von Google nicht mehr undenkbar ist.

Herr Mundt, in dieser Woche tritt europaweit das Gesetz über digitale Märkte in Kraft. Es soll so genannten Gatekeepern wie Google, Amazon und Meta klare Grenzen setzen. Denen drohen Bußgelder von bis zu 20 Prozent des weltweiten Gesamtumsatzes. Was erhoffen Sie sich vom Digital Markets Act (DMA)?  

Da wird ein großes Werk wirksam. Zum ersten Mal versuchen wir, die Digitalmärkte in Bezug auf große Gatekeeper per Regulierung in den Griff zu kriegen. Das wird nicht einfach, aber auch Wettbewerber der großen Unternehmen sagen, jetzt verändert sich etwas und glauben, dass sie davon profitieren können. Das macht Mut und ich erwarte, dass eine ganze Reihe an offensichtlichen Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht relativ schnell abgestellt werden kann.

An welche Praktiken denken Sie da?  

Der App Store von Apple kann nicht so bleiben, deswegen wird er nun auch umgestellt und ein Stück weit geöffnet. Dabei zeigt sich aber auch schon, dass es nicht ganz einfach wird und man auch die neue Praxis unter die Lupe nehmen muss. Solche Märkte zu regulieren ist schwierig, das sind eben keine einfachen Netze. Bei Netzen erteilt man Zutritt, dafür wird ein Entgelt festgelegt und das war´s. Geschäftsmodelle zu regulieren ist da viel schwieriger.

Es gibt die zwei App Stores von Apple und Google. Für alle Anbieter von Apps sind sie zentral wie ein Netz. Trotzdem müssen sie bislang bis zu 30 Prozent des Umsatzes als Gebühr abgeben. Warum können sie da nicht auch sagen, das Entgelt ist zu hoch?  

Um so ein Preisverfahren gerichtlich durchzusetzen, muss man auf Heller und Cent belegen, dass 30 Prozent unangemessen sind. Doch woher nimmt man diese Wertung? Sie können den angemessenen Prozentsatz ja nicht schätzen, sondern brauchen belastbare und präzise Maßstäbe. Das fängt schon damit an, dass man dem Unternehmen einen gewissen Gewinn zugestehen muss. Doch wie viel ist der richtige Gewinn? Ein Prozent? Zwei, Fünf oder Zehn?

Es gibt immer den Glauben, Wettbewerbsbehörden könnten Preise regulieren. Doch genauso problematisch ist es, einen richtigen Benzinpreis festsetzen zu wollen. Das ist genau das, was uns bei funktionierendem Wettbewerb die Marktwirtschaft abnimmt. Wenn der Wettbewerb aber nicht richtig funktioniert, trifft das auch den Preismechanismus und vor diesem Problem stehen wir.

Wo könnte der Digital Markets Act noch schnell greifen? 

Wir haben gerade ein umfangreiches Verfahren mit Google beendet. Da geht es um die Frage, inwieweit Google Daten über Nutzer, die bei bestimmten Diensten erhoben werden, kombinieren darf. Wir haben entschieden, dass beispielsweise Daten, die beim E-Maildienst Gmail erhoben werden, nicht ohne weiteres mit anderen verknüpft werden dürfen.

Im DMA steht jetzt für bestimmte Dienstekombinationen, dass solche Daten über Dienste hinweg nur kombiniert werden dürfen, wenn der Nutzer einwilligt. Falls nicht, darf er die Dienste trotzdem nutzen. Was wir also noch mit einem aufwendigen Wettbewerbsverfahren durchsetzen mussten, ist nun relativ klar und einfach geregelt, aber eben nur, soweit unter dem DMA designierte Plattformdienste betroffen sind.

Aber sagen Google, Meta & Co. dann ihren Nutzern nicht einfach, wenn sie weiter alle Dienste voll nutzen wollen, müssen sie zustimmen. Und die Einstellungen zu ändern ist so kompliziert und unverständlich, dass die meisten auch einfach „Akzeptieren“ wählen?

Solche sogenannten „dark patterns“ sehen wir auch heute schon. Darauf müssen und werden die Wettbewerbsbehörden natürlich achten. Wir hatten vor fünf Jahren auch so einen Fall, da ging es um die Daten von Facebook, Instagram und Whatsapp. Das ging erst vor Gericht und seitdem sitzen wir mit Meta an der Umsetzung dieser Vorgabe. Da schauen wir uns die Schaltflächen und die Art und Weise, wie um Einwilligung gebeten wird an. 

Dasselbe gilt für das Verfahren zu Googles Datenverarbeitung. Da haben wir eine einvernehmliche Lösung gefunden und sitzen nun mit Google daran, dass es für den Verbraucher und die Verbraucherin auch eindeutig, erkennbar und nicht irreführend ist.

Datenschutz darf grundsätzlich nichts kosten.

Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts

Ist es nach jahrelangen Verhandlungen nicht zu spät und der Großteil der Nutzer hat längst eingewilligt? 

Google hat sich verpflichtet, Nutzenden, die bereits ein Google-Konto haben bewziehungsweise bei denen bereits ein Cookie für die Datenschutzeinstellung gesetzt wurde, die neuen Wahlmöglichkeiten für die dienstübergreifende Datenverarbeitung in einem automatisch eingeblendeten Auswahldialog anzuzeigen und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, ausreichende Wahlmöglichkeiten im Hinblick auf die dienstübergreifende Datenverarbeitung durch Google auszuüben.

Google wird den Nutzenden zudem eine transparente, leicht auffindbare und einfach zu handhabende Möglichkeit zum Widerruf ihrer Zustimmung zur dienstübergreifenden Datenverarbeitung zur Verfügung stellen.

Wegen solcher Datennutzungsfragen bietet Meta jetzt auch ein Abo, für zehn Euro pro Monat gibt es keine personalisierte Werbung mehr. Darf Datenschutz so viel kosten?

Datenschutz darf grundsätzlich nichts kosten. Es kann nicht sein, dass ich dafür zahlen muss, dass bestimmte Unternehmen Datenschutzgesetze einhalten. Ich kann nicht bewerten, ob das hier der Fall ist, das bedarf einer sorgfältigen Prüfung durch Wettbewerbsbehörden und Datenschützer. Das ist ja nur die äußere Hülle, aber die Frage ist ja, wie dieses Modell im Inneren aussieht. Was passiert da mit welchen Daten? Und auch den Preis muss man sich möglicherweise angucken.

Über keine Technologie wird derzeit soviel diskutiert, wie über Künstliche Intelligenz. Wie sehen sie die Entwicklungen dabei aus Wettbewerbssicht? 

KI ist keiner neuer Dienst, sondern nur eine neue Technik, die allerdings das Zeug dazu hat, die Welt zu verändern. Für KI braucht man Daten, Infrastruktur und Geld. Wer hat das? Die großen Hyperscaler. Und wenn die Unternehmen, die sowieso schon diese Marktmacht haben, als Turbo noch KI draufsetzen, kann das für bestimmte Teile der Anwendung von KI wettbewerbsrechtlich sehr problematisch sein. Es wird zwar immer auch kleinere Felder und Nischen für spezifische Anwendungen geben, aber Sorgen müssen wir uns aus Wettbewerbssicht mit absoluter Sicherheit machen. Daher ist das auch für uns ein Riesenthema.

Die EU, die USA und Großbritannien haben angekündigt, sich verschiedene KI-Kooperationen anzusehen. Sie haben allerdings schon im November gesagt, die Partnerschaft von Microsoft und Open AI ist nicht zu beanstanden. War das voreilig?

Nein. Wenn Sie unsere Mitteilung lesen, sehen Sie auch das Bedauern und einen ganz formalen Grund. Denn eine Voraussetzung ist, dass ein Unternehmen über das andere einen erheblichen Einfluss gewinnt. Den hatten wir zwar, aber zum fraglichen Zeitpunkt gab es von Open AI in Deutschland noch keinerlei wirtschaftliche Aktivität. Auch das brauchen wir aber, um tätig zu werden. Das war also eine rein formale Prüfung und keine inhaltliche. In den USA und UK gibt es eine andere Rechtslage, die können in fast jede Fusion reingucken.

Manche Tastaturen haben schon eine eigene Taste für Microsofts KI-Dienste unter dem Namen Copilot. Künftig soll die sogar Standard werden. Darf man so Konkurrenzangebote benachteiligen?

Das ist nicht so einfach. Es steht Unternehmen wie Microsoft frei, neue Services anzubieten. Das ist auch nicht ganz neu. Wenn ich auf meine Tastatur gucke, habe ich da  auch ein Windows Symbol drauf. Darf ich nun auch einen Knopf für eigene KI-Anwendungen auf die Tastatur machen oder muss ich Wettbewerbern auch so eine Taste anbieten? Damit wird man sich auseinandersetzen. Daran sieht man aber auch, dass manche dieser Unternehmen einfach Infrastrukturcharakter haben.

Das zeigt sich auch im Internet. Dort bieten Suchmaschinen KI-generierte Antworten auf Anfragen und statt Links Zusammenfassungen der Inhalte dahinter. Nutzer müssen das Ökosystem immer seltener verlassen. Steigt so die Marktkonzentration weiter an?

Auch diese Punkte sind prüfenswert. Wir sehen aber schon lange, dass Google sie nicht mehr nur irgendwo hinlenkt, sondern versucht, gleich eine Antwort und eigene Angebote zur Verfügung zu stellen. Zu Google Shopping gab es nach der Klage von Preisvergleichsanbietern das Verfahren der EU-Kommission. Es gibt Befürchtungen, dass Google im Moment versucht, andere Bereiche wie zum Beispiel den Tourismus zu durchdringen. Gerade in diesem Bereich gibt es herausragende deutsche Start-ups denen es dann schwer gemacht werden könnte, wenn Google bei einer Suche nach Hamburg gleich selbst Empfehlungen zeigt, was man dort machen kann. Was also auch in der Vergangenheit schon passiert ist, wird nun durch KI noch optimiert und kann effizienter gemacht werden. Wo wir mit vertikalen Diensten früher Probleme hatten, bekommen wir sie in verschärfter Form.

Was kann dagegen getan werden?  

Die Kommission hat sich Google Shopping sehr genau angeguckt und Maßstäbe gesetzt, was erlaubt ist und was nicht. Die sind vielleicht ein Stück weit übertragbar. Auch der DMA erfasst solche Verhaltensweisen vertikaler Integration, insbesondere im Zusammenhang mit dem Thema Selbstbevorzugung beim Ranking. Die Implementierung der DMA-Vorschriften durch die Gatekeeper dürfte die Kommission sehr genau prüfen. Normalerweise ist die europäische Gesetzgebung sehr schwerfällig. Das könnte beim DMA anders sein, denn man kann in einem schlanken Verfahren neue Verhaltensweisen hinzufügen, sofern dies erforderlich werden sollte. Es gibt also Hoffnung.

In Bezug auf Google hat die Kommission eine Abspaltung des Werbegeschäfts angedroht, auch in den USA laufen Verfahren. Rechnen Sie damit, dass der Konzern in den nächsten Jahren tatsächlich gezwungen wird, Geschäftsbereiche abzugeben?

Auch unsere Sektoruntersuchung hat gezeigt, welch eminente Bedeutung Google bei der Werbung im Internet zukommt. Was den Betrieb, die Funktionsweise und die Monetarisierung der Dienste im Internet betrifft, ist Google ein Stück weit Infrastruktur. Wenn sie am Handy einen Suchbegriff in das Browserfeld eingeben, ist vielen Menschen gar nicht klar, dass sie gleich mehrere mächtige Google Dienste nutzen, etwa Android als Betriebssystem, Google Search für die Suche und vielleicht auch Google Chrome als Browser und Eingang ins Internet. Bei der Online-Werbung ist das innerhalb des sogenannten AdTech-Stacks ähnlich, was dort mitunter zu spezifischen Interessenkonflikten führen kann. Bei solch dominanten Unternehmen mit übergreifenden Ökosystemen muss man sich fragen, ob es nicht besser wäre, bestimmte Services voneinander zu trennen.

Erst einmal muss man abwarten, wie sich die Fälle in den USA entwickeln und wie die Kommission agiert. Abspaltungen sind auch immer nur die Ultima Ratio. Aber ich glaube auch, dass die Probleme letzten Endes sehr groß sind und würde daher absolut nicht ausschließen, dass man in den USA oder in Brüssel, oder warum auch nicht sogar gemeinsam, sagt, bestimmte Teile müssen abgegeben werden, damit strukturell überhaupt wieder die Voraussetzungen für Wettbewerb geschaffen werden.

Vor ein paar Jahren wurde der Kauf von Youtube, Whatsapp oder Instagram durch Google und Facebook gewunken. Jetzt musste Amazon die Übernahme eines Herstellers von Roboterstaubsaugern absagen, auch andere Fusionen wurden untersagt. Sind die Kartellbehörden strenger geworden?

Die Wettbewerbsbehörden haben viele Erfahrungen mit komplexen, langwierigen Missbrauchsverfahren gemacht und eine Erkenntnis daraus ist, lieber weitere Fusionen zu verhindern. Wir gucken uns jede Bewegung sehr genau an und deswegen blicken nun auch viele besorgt auf diese KI-Kooperationen. Wir schauen genau, ob das wirklich Kooperationen sind oder möglicherweise Fusionen dahinter stehen. Früher gab es viele Killerakquisitionen, da wurden junge Unternehmen gekauft, integriert und sind vom Markt verschwunden. Es ist schon auffällig, dass wir die nicht mehr sehen, aber dafür jede Menge Kooperationen mit KI-Start-ups. Da ist Misstrauen angesagt.

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