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Uwe Hochgeschurtz war jahrelang Chef von Renault Deutschland, dann Vorstandsvorsitzender von Opel. Heute arbeitet er als Europachef des 14-Marken-Konzerns Stellantis. Foto: picture alliance/dpa/Arne Dedert

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Warnruf eines Autochefs: „Wir müssen den Regulierungswahnsinn in Europa beenden“

Uwe Hochgeschurtz leitet das Unternehmen Stellantis in Europa. Im Interview fordert er eine grundlegende Änderung der geplanten Abgasnorm Euro 7, günstigen Atomstrom und weniger staatliche Eingriffe.

Herr Hochgeschurtz, muss die europäische Autoindustrie Angst vor den chinesischen Herstellern haben?
Die europäische Autoindustrie muss gewappnet sein, sie muss die richtigen Technologien und Rahmenbedingungen für Investitionen haben. Dann braucht sie nichts zu fürchten. Das ist im Moment aber nicht der Fall. Wir werden in Europa überreguliert. Beispiel Euro 7: Das ist ein Bürokratiemonster, das die Hersteller sehr viel Geld kosten würde, wenn es so käme.

Dieses Geld müssen die chinesischen Hersteller nicht zahlen, weil sie mit reinen Elektroautos auf den Markt kommen. Hier müssen wir für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen. Ansonsten wird es die europäische Industrie schwer haben. 

Diese Kritik kommt ja auch von anderen europäischen Herstellern und vom Verband der Automobilindustrie. Würden Sie Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) raten, Euro 7 auf EU-Ebene zu blockieren?
Nein, es gibt ja Lösungsansätze. Man könnte alle Regelungen streichen, die sich auf Schadstoffe aus dem Verbrennungsmotor beziehen. Abrieb aus Bremsen und Reifen könnte man erfassen. Dann würde die Regulierung auch die chinesischen Hersteller betreffen. Außerdem sollte die EU den Herstellern etwas mehr Zeit lassen.

Minister Wissing hat vor Kurzem auf einer Veranstaltung gewarnt, dass die Daten aus chinesischen Autos direkt ins Land des Herstellers übermittelt würden. Sehen Sie diese Gefahr auch?
Wir haben in Europa die Datenschutz-Grundverordnung. Ich hoffe, dass sie von allen Autoherstellern, die ihre Fahrzeuge hier anbieten, eingehalten wird. Ob das so ist, kann ich nicht beurteilen.

Wissing sagte das in dem Kontext, dass nur die chinesischen Hersteller in der Lage seien, preisgünstige E-Autos zu bauen – anders als die Europäer. Kann das ein klassischer Kleinwagenhersteller wie Stellantis auf sich sitzen lassen?
Wenn ein 14-Marken-Konzern wie Stellantis ein solches Auto bisher nicht anbietet, gibt es dafür Gründe. Das Investitionsklima ist in Europa schlechter. Strom ist viel teurer, die Behandlung von Atomstrom ist ideologisch. In China wird Strom wesentlich günstiger produziert, unter anderem, weil die CO2-Auflagen weniger rigide sind. Strom ist mittlerweile einer der größten Kostentreiber.

Auch andere Regulierungen – nicht nur Euro 7 – erhöhen die Kosten. Deshalb fordere ich ein Moratorium: Wir müssen den Regulierungswahnsinn beenden. Und wir müssen uns damit beschäftigen, wie wir langfristig in Europa günstige Strompreise erzielen können.

Nochmal zurück zu erschwinglichen E-Autos: VW will ab 2025 in Spanien ein Modell für 25.000 Euro bauen. Im nächsten Schritt soll eines für 20.000 Euro folgen. Wird Stellantis das auch tun?
Selbstverständlich werden wir Autos in genau dieser Preisklasse anbieten. E-Autos für 20.000 bis 25.000 Euro aus Europa werden in absehbarer Zeit möglich sein. Den ersten Schritt haben wir nun angekündigt: Unsere französische Marke Citroën wird noch in diesem Jahr ein rein-elektrisches Auto vorstellen, das weniger als 25.000 Euro kosten wird.

Das ist ein wichtiges Etappenziel für uns. Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass die Preise für Batterien noch nicht so schnell sinken, wie sich das der eine oder andere vorgestellt hat. Wir sehen erste Anzeichen, dass Batterien günstiger werden, aber auch, dass sie mit weniger Gewicht längere Reichweiten schaffen.

Zum Beispiel bewältigt unser neuer Opel Astra Electric mehr als 400 Kilometer, das wäre in diesem Segment vor zwei oder drei Jahren noch nicht möglich gewesen. Aber die Wettbewerber aus China machen in derselben Zeit auch Fortschritte. Und sie haben den Vorteil, dass sie die Batterien im eigenen Land produzieren. Deshalb müssen wir schnell eine Fertigung in Europa aufbauen. Und dafür brauchen wir wiederum günstige Strompreise.

Wie sichert sich Stellantis heute die Versorgung mit Batterien und den Rohstoffen dafür?
Wir müssen die vertikale Integration viel stärker beachten als in den vergangenen Jahren. Das heißt, wir müssen uns die Vorlieferanten unserer Lieferanten anschauen. Und zur Rohstoffsicherung haben wir uns zum Beispiel an einigen wichtigen Lithium-Minen in Südamerika beteiligt und eine ganze Reihe anderer Kooperationen geschlossen.

Damit wir nicht mehr allein auf Batterien aus China angewiesen sind, bauen wir zudem gemeinsam mit Mercedes-Benz und Total Energies in dem Gemeinschaftsunternehmen ACC eigene Batteriezellen, die Basis der Akkus in unseren Fahrzeugen.

Das erste Werk in Nordfrankreich wurde gerade eröffnet, die nächsten beiden in Kaiserslautern und Italien sind beschlossen, weitere werden folgen. In einigen Jahren wollen wir bei den Batterien autark sein.

Sie haben über die Regulierung in Europa geklagt. Welche Auswirkungen haben die Lieferkettengesetze auf europäischer und deutscher Ebene sowie die neue EU-Batterieverordnung auf Stellantis?
Jede zusätzliche Regulierung führt zu neuen Verwaltungsschritten. Dadurch verzögern sich Prozesse, die Kosten steigen. Die Produkte werden aber nicht besser. Ich möchte betonen: Die Automobilindustrie hat dafür gesorgt, dass die Luft in Deutschland und ganz Europa viel besser geworden ist.

Es wurden viel weniger Verkehrstote gezählt. Was Umwelt und Sicherheit angeht, hat die Industrie riesige Anstrengungen unternommen, und nicht alles passierte durch Regulierung.

Einspruch: Ohne den Dieselskandal wäre die Luft viel besser, und von der Vision Zero sind wir sehr weit entfernt.
Mein Credo ist: nach vorne schauen. Ab 2035 müssen in Europa alle neu verkauften Autos emissionsfrei fahren. Wir bei Stellantis sind sogar schneller, werden schon 2030 nur noch rein-elektrische Autos auf dem Markt haben.

Die Marke Opel ist noch schneller unterwegs, wird schon kommendes Jahr in jeder Baureihe ein batterieelektrisches Angebot machen und 2028 in Europa ausschließlich rein-elektrisch sein. Die Elektrifizierung des Portfolios wird damit übrigens ganz wichtige Beiträge zu unserem übergeordneten Ziel leisten, bis 2038 Netto-Null-CO2-Emissionen zu erreichen.

Das ist doch eine goldene Zukunft für die individuelle Mobilität. Und die ist ein Pfeiler unserer Demokratie. Viele Menschen sind auf das Auto angewiesen, gerade im ländlichen Raum.

Und was ist mit der Vision Zero?
Es gibt ja keine Alternative dazu, sich solche Ziele zu setzen. Aber man muss sich fragen, ob sie erreichbar sind. Das ist bei der kompletten Dekarbonisierung der Antriebe anders. 

Was macht Stellantis beim autonomen Fahren, um der Vision Zero näher zu kommen?
Wir investieren auf diesem Gebiet, weil wir glauben, dass das autonome Fahren erhebliche Komfort- und Sicherheitsgewinne bringt. Damit werden wir die Zahl der Verkehrstoten, die schon stark gesunken ist, noch mal weit herunterbringen. Wir werden weniger Staus haben. Wir können mit dem Auto vor das Theater fahren und ihm sagen: Hol’ mich um 22 Uhr wieder ab.

Haben Sie denn konkrete Pläne mit Zeitpunkten – so wie Mercedes, BMW und Audi?
Wenn wir bestimmte Stufen erreichen, werden wir das kommunizieren. Natürlich arbeiten wir daran – ebenfalls mit namhaften Partnern.

Die Regulierung ist hierzulande noch stärker als in anderen EU-Staaten, und die Kosten sind am höchsten.

Uwe Hochgeschurtz

Zurück zum Standortwettbewerb: China und die USA locken mit hohen Subventionen, Stichwort Inflation Reduction Act (IRA). Die EU zahlt mindestens genauso viel, wenn man genau hinschaut. Doch der Effekt wird als viel geringer wahrgenommen. Was läuft da falsch?
Mit dem IRA unterstützen die USA ganz gezielt die heimische Produktion von emissionsfreien Fahrzeugen. In Europa wird alles gefördert, ohne Rücksicht darauf, wo die Produkte herkommen, nach welchen Umweltstandards und mit welchem Strom sie hergestellt werden. So bekommen genau die Hersteller das Geld, die diese Standards nicht einhalten. Davon rate ich ab.

Ford gibt gerade den Standort Saarlouis auf und produziert zumindest seine Kleinwagen lieber in Spanien. Ist Deutschland auch innerhalb der EU zu teuer?
Zu dem genannten Unternehmen kann ich natürlich nichts sagen. Aber unabhängig davon gilt: Bei Standortentscheidungen kommt es vor allem auf die Qualität des Produkts und wettbewerbsfähige Kosten an.

Da ist die Situation in Deutschland am angespanntesten. Die Regulierung ist hierzulande noch stärker als in anderen EU-Staaten, und die Kosten sind am höchsten. Die Löhne und die Stromkosten sind wesentlich höher als beispielsweise in Spanien.

Apropos Strom: Hätte Stellantis früher und konsequenter in Richtung E-Autos umstellen sollen, etwa wie VW oder erst recht Tesla? Neulich beim ICCT-Ranking zur Transformation landete Stellantis nur im Mittelfeld.
Ich kenne die Kriterien dieses Rankings nicht. Schauen wir aber auf die Fakten: Wir haben 2022 die weltweiten Verkäufe von batterieelektrischen Fahrzeugen um 41 Prozent auf 288.000 Fahrzeuge gesteigert.

Mit Modellen von Fiat, Peugeot und Opel belegen wir Spitzenplätze in Italien, Frankreich und Deutschland. Generell ist es aber so, dass am Ende die Rahmenbedingungen entscheiden. Wir haben als Volumenhersteller die Verantwortung für viele Fabriken und Mitarbeiter:innen in zahlreichen Ländern.

Der Beschluss, ab 2035 nur noch emissionsfreie Autos zuzulassen, zeichnete sich ja erst vor zwei Jahren ab. Erst ab da gab es Klarheit. Wenn Sie ein Newcomer sind, der nur eine Technologie einsetzt, sind Sie in einer anderen Lage als ein Volumenhersteller, der viele Milliarden in Fabriken investiert hat, die erstmal abgeschrieben werden müssen. Als der Beschluss für 2035 feststand, haben wir sehr schnell E-Autos auf den Markt gebracht. 

Wie sind bei Stellantis die Pläne für Feststoffbatterien?
Das Potenzial der Batterietechnik ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Es wird schon bald Batterien geben, die erheblich weniger wiegen und viel mehr Strom speichern können. Wir könnten zum Beispiel im ACC-Werk in Kaiserslautern relativ schnell auf Feststoffbatterien umstellen, weil wir das vorbereitet haben.

Wann?
Das kann ich jetzt noch nicht sagen, da die Serienreife noch nicht erreicht ist. Die Feststoffbatterie ist recht komplex. Vorher wird es noch einige Verbesserungen bei der Zellchemie der klassischen Lithium-Ionen-Batterie geben, die wir sofort umsetzen werden.

Die Natrium-Ionen-Technik ist in der Branche ein wichtiges Thema, weil die Batterien kostengünstig, sicher und umweltfreundlich sind. Chinesische Hersteller haben die Serienproduktion schon gestartet. Wie sieht es bei Stellantis aus?
Hier haben die Chinesen einen Vorsprung, weil sie vom Staat unterstützt werden und extrem niedrige Strompreise haben. Aber wir gehen davon aus, dass wir diesen kleinen Vorsprung auch wieder aufholen können.

Stellantis ist ein 14-Marken-Konzern, der Autos vom Maserati-Sportwagen bis zum kleinen Fiat herstellt. Sie haben auch einen starken Arm in den USA. Ist das im Wettbewerb mit Herstellern aus China, Japan und Südkorea ein Vorteil oder Nachteil?
Wir sind die Nummer 1 in Südamerika, in den meisten afrikanischen Ländern und in der Türkei. Wir sind auch in China vertreten. Es ist ein entscheidender Vorteil: Wir können Entwicklungskosten auf sehr viele Fahrzeuge umlegen. Der Unterschied zwischen einem batterieelektrischen Auto in den USA oder in Asien ist nicht so groß. Und wir haben starke Marken in Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien, die sich aber nicht kannibalisieren.

Sind die Synergien zum Beispiel zwischen einem Pick-up von RAM und einem Fiat 500 wirklich so groß?
Klar, gleiche Batterie-, gleiche Antriebsstrangtechnologie. Die Batterie ist beim RAM natürlich größer, aber es sind die gleichen Module, es ist die gleiche Software. Wir haben vier Plattformen, die sich STLA Small, Medium, Large und Frame nennen. Damit können wir die ganze Welt bedienen. Was darüber hinausgeht, ist weniger als ein Prozent des Volumens. Mit diesen Plattformen sind wir für die Zukunft gut aufgestellt.

Das Interview führte Jens Tartler.

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