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Legendär. Im Jahr 1962 brachte Kettler das Tretauto Kettcar auf den Markt, 15 Millionen Exemplare wurden bis heute weltweit verkauft. Foto: dpa

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Kettler in Schwierigkeiten: Letzte Chance für den Kettcar-Hersteller

Für Kettler gibt es kurz vor dem Aus noch einmal frisches Geld. Tagesspiegel-Redakteure erinnern sich an ihre Erlebnisse mit der Kultmarke.

Im Sauerland hält man den Atem an: Das Traditionsunternehmen Kettler hat kurz vor dem Abgrund noch einmal die Kurve gekriegt. Am Freitagabend teilte der 70 Jahre alte, schwer angeschlagene Kettcar-Hersteller mit, eine notwendige Zwischenfinanzierung sei gesichert worden. Gewährt wurde sie von der Heinz Kettler Stiftung – unterstützt vom Land Nordrhein-Westfalen.

Die vorläufige Rettung in letzter Minute kommt überraschend, hatten doch sowohl die Stiftung als auch das Land Kettler mit seinen rund 720 Mitarbeitern wenig Überlebenschancen gegeben. Der Versuch der Landesregierung, alle Beteiligten noch einmal an einen Tisch zu bringen, war am Mittwoch gescheitert. Die Stiftung hatte eine Einigung platzen lassen, Kettler schien vor dem endgültigen Aus zu stehen. Nun könnte die zweite Rettung innerhalb von drei Jahren gelingen.

Stiftung als Bremser

Schon 2015 hatte Kettler erstmals Insolvenz anmelden müssen. Nach dem Abbau von rund 200 Stellen und dem Verkauf der Fahrradsparte war ein Neuanfang gelungen. Dann ein Schock: Im vergangenen Jahr sorgte ein tödlicher Autounfall der Kettler-Erbin Karin Kettler für neue Turbulenzen. Die Stiftung wurde zu ihrer Rechtsnachfolgerin. Bereits im Juli dieses Jahres musste Kettler erneut einen Antrag auf Insolvenz in Eigenverwaltung stellen. Doch die Neuausrichtung mithilfe eines Luxemburger Investors scheiterte – der Investor sprang ab.

Ein neuer Interessent, der aus dem Umkreis des Pro Sieben-Chefs Georg Kofler kommen soll, zeigte nun in letzter Minute Interesse. Um den Widerstand des Stiftungskuratoriums um den Vorsitzenden Manfred Sauer zu brechen, schritt am Freitag die Stiftungsaufsicht der Bezirksregierung Arnsberg ein. Das Kuratorium wurde entmachtet. Stiftungsvorstand Andreas Sand soll nun die weiteren Verhandlungen führen.

Viele Fans des legendären Pedalrennwagens Kettcar, den Kettler in den vergangenen Jahrzehnten millionenfach produzierte, hoffen nun auf ein Überleben der Kultmarke. Kettler gibt es in fast jedem Haushalt. Ob Kettcar, Fahrrad oder Gartenliege: Tagesspiegel-Redakteure erinnern sich an bewegende, bewegte und entspannte Momente mit den Produkten der vor 70 Jahren gegründeten Traditionsfirma aus dem Sauerland. Henrik Mortsiefer

WIE FORMEL 1

Das erste von mir selbst zu fahrende Vierradfahrzeug war ein Kettcar, ein filigranes Ding mit unfassbar guter Straßenlage und einem Lenkrad, das von der Form her den heute in der Formel 1 verbauten Dingern glich – allerdings ohne die vielen Knöpfe. Das Gefährt machte Freude, ich heizte damit über die damals noch nicht so vollen Straßen und durch den Wald, wo ich die Grenzen seiner Geländegängigkeit erlebte. Nach zwei, drei Jahren stieg die gesamte Alterskohorte auf Puky-Gefährte um – die waren größer und robuster und hatten mit Luft gefüllte Reifen. Die höchste Fahrkunst bestand darin, das Fahrzeug auf zwei Rädern durch eine Kurve zu fahren, ohne umzukippen.

Alles fast vergessen, bis ich in meinem kretischen Lieblingsdorf mit einem gut deutsch sprechenden Restaurantbetreiber ins Reden kam. Auf die Standardfrage nach seinen Deutschkenntnissen sagte er, dass er lange bei Kettcar gearbeitet und Kettcars zusammengeschweißt habe. Werner van Bebber

WAHRER LUXUS

Mit dem ersten eigenen Balkon in der großen Stadt zog der wahre Luxus ins Leben ein. Künftig mussten Bücher an warmen Sommertagen nicht mehr im Campingstuhl unter einer Trauerweide an der Spree verschlungen werden. Eine Kettler-Relaxliege, schwer und mit einem dicken weiß-blauen Polster versehen, verbreitete mit Aussicht auf den Himmel über Berlin eine komfortable, behagliche Atmosphäre. Beim Dinner stand die Rücklehne noch streng senkrecht, beugte sich dann immer mehr zurück. Und nach dem letzten Schlummertrunk ergab sie eine fast waagerechte Bettstatt, ein Freiluftmöbelstück für alle Fälle, auch für die laue Nacht.

Liegen, die so schön und praktisch sind, gibt es leider kaum noch. Entweder sie sind hart im Liegegefühl oder nicht abstufbar oder nicht zusammenklappbar, im Zweifel alles auf einmal. Eine hartgesottene Designergeneration scheint die Balkonmöbelproduktion erobert zu haben, die von lauem Genuss und der Bequemlichkeit des Sonnenseins nichts wissen will. Elisabeth Binder

EINE SYMBIOSE

Weihnachten 1969/1970: Mein kleiner Bruder Tom bekam ein Feuerwehrauto geschenkt, ich ein Kettcar. Ich war fünf. Ab diesem Zeitpunkt lebten das Kettcar und ich in einer Symbiose. Ich raste damit durchs Haus, hinterließ Abriebspuren auf den Böden und fuhr Wettrennen mit meinem Bruder und seinem roten Feuerwehrauto. Ohne mein Kettcar verließ ich nicht das Haus. Andere Kinder durften mit meinem Kettcar natürlich auch nicht fahren. Dieser Rennwagen legte den Grundstock für mein Faible für zwei- und vierrädrigen Motorsport und Fahrten auf Rennstrecken. Sabine Beikler

LIEBE AUF VIER RÄDERN

Ich habe es als kleines Mädchen geliebt und werde dieses tolle Gefühl nie vergessen: über mein Kettcar zu steigen und mich auf dem Plastiksitz niederzulassen. Dann das Lenkrad fest umfassen, ordentlich in die Pedalen treten – und los ging die rauschende und kurvenreiche Fahrt. Bis ich wieder die Bremse reinhaute, um in die Kurve zu schleudern. Ich bin im Jahr 1964 geboren und dankbar, dass meine Eltern mir damals dieses Jungenerlebnis ermöglichten. Nicht mal das Fahrrad mit Bananensattel und Schaltung auf dem Rahmen war cooler. Vielleicht: Tschüss, Kettcar, schade! Du musst gedanklich für immer wieder zurück in den Keller der alten Heimat, damals in der Ringslebenstraße! Annette Kögel

NEUE LEICHTIGKEIT

Ich war zu Besuch bei meinen Eltern, eine Fahrradtour war geplant, aber mein Rad in Berlin. Da steht noch eines im Keller, sagte mein Vater. Es war offensichtlich lange nicht gefahren worden, staubig, die Reifen brauchten Luft. Ein silberfarbenes Alu-Geschöpf, schmalgliedrig, nicht elefantös wie manches Damenrad, dunkelrote Griffe. Es war so leicht, wie von selbst trug es sich die Stufen aus dem Keller hoch. Nie zuvor und nie wieder danach fühlte sich Fahrradfahren so einfach an.

Ich nahm es mit nach Berlin. Wie ich im Fahrradladen erfuhr, hatte es vermutlich schon knapp dreißig Jahre hinter sich, ich fuhr es weitere zehn. Irgendwann begann es zu eiern. Auf dem Weg zum Fahrradladen brach der Lenker ab. Ein Glück, dass ich nur ein blaues Knie bekam. Darum, sagte mir der Mann im Laden, als ich mit meinem zweigeteilten Rad durch die Tür trat, werden diese Aluräder heute nicht mehr so gebaut. Maris Hubschmid

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