Immobilien: Mit welchem Material sollen wir bauen?
Ein Gastbeitrag über Holz- und Königswege
Seit März 2018 erleichtert die Berliner Bauordnung die Errichtung des mehrgeschossigen Holzbaus, im September 2019 beschloss der Berliner Senat ein umfangreiches Förderprogramm, u. a. zur Förderung von Pilotprojekten im Holzbau. Holz ist per Dekret „gut“, nachhaltig, nachwachsend (NAWARO), Cradle-to-Cradle-tauglich und Grundlage zahlreicher Nullenergiekonzepte. Der Modulbau erlebt inzwischen eine Renaissance durch den Holzbau.
Höchst effizient eingesetzt wurde der Modulbau in Deutschland jedoch bereits kurz nach dem II. Weltkrieg in einer seit dem nicht mehr erreichten Auflage und Effizienz in Holz- oder Aluminumbauweise. Und der Hybridbau, der heute progressiv als Synonym für den Holzbau gilt, ist über 4000 Jahre alt und nutzte bereits damals das optimierte Zusammenwirken von Holz- und Ziegel-/Lehmbauweise.
Meine Familie besteht seit Generationen aus Zimmerleuten, und ich bin mit Holz als Baustoff aufgewachsen. Aber mir fehlt bei aller Nähe zum Holz der Blick aus einer „gesunden“ Distanz auf die Fülle aller anderen traditionell, kulturell und regional geprägten und prägenden, industriell gefertigten oder handwerklich bearbeiteten Baustoffe, die physikalisch-konstruktiv optimal eingesetzt werden und die den Wertvorstellungen und der Diversität derjenigen Menschen entsprechen, denen sie dienen sollen. Einerseits. Und ich vermisse das Zusammengehen von Holz mit anderen in der Entwicklung befindlichen hoch modernen Baustoffen, wie zum Beispiel dem Ziegel. Andererseits.
In den Alpenregionen und in Skandinavien überwiegen Holzkonstruktionen
Unser historisch-kulturelles Bewusstsein ist wesentlich mitgeprägt durch Bauwerke, denen klare Regeln und Gesetzmäßigkeiten über Proportionen, Maßstäblichkeit, Materialität und Dauerhaftigkeit zugrunde liegen. Auf Europa bezogen bedeutet das für die Alpenregion und Skandinavien vorwiegend Holzkonstruktionen, für das beginnende Industriezeitalter sowie die 60er und 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts Eisen- bzw. Stahlkonstruktionen und zwar auf ganz Europa bezogen und fast zur gleichen Zeit das Aufkommen und später die Konzentration auf Eisen- bzw. Stahlbeton als den neuen Baustoff für die „Ewigkeit“. Bauen mit Ziegel hat es zu allen Zeiten gegeben. Die Gründe hierfür sind vielfältigster Art. Wenn Bauten der Römerzeit, der Romanik, Gotik oder der Gründerzeit noch heute in Nutzung sind bedarf es keines Hinweises auf deren Nachhaltigkeit. Gleiches gilt für unser Haus „2226“, dessen Innen- und Außenwände monolithisch aus Ziegel ohne zusätzliche Dämmung gemauert wurden und das im Gebrauch gänzlich ohne Heizung und Kühlung auskommt. Zudem ist es nahezu zu 100 Prozent aus Baustoffen und dem Handwerk der Region errichtet.
Natürlich hat jeder Baustoff Eigenschaften, die ihn gegenüber anderen qualifizieren ebenso wie solche, die ihn benachteiligen. Das gilt für die Übertragung von Luft- und Körperschall, für sein Verhalten im Brandfall, seine statischen Trageigenschaften ebenso für seine Fähigkeit, CO2 zu binden und wieder freizusetzen, in der Herstellung, der Zeit der Nutzung und im Rückbau. Dabei stellt die Nutzungszeit den wesentlichen Faktor dar. Während Berechnungen zu Lebenszyklen von 25 bis zu 40 Jahren den Holzbau in seiner CO2-Bilanz favorisieren, tendiert über diesen Zeitraum hinaus das Pendel zum Massiv- bzw. Ziegelbau. Und wenn das Maurer- und Putzerhandwerk weniger attraktiv ist als die Mitarbeit an der seriellen und modularen Vorfertigung und der vorwiegend maschinellen Endmontage komplexer Gebäudeteile – hat dies nicht nur eine Auswirkung auf den Arbeitsmarkt, es wirkt tief in unser kulturell-historisches Gedächtnis hinein.
Ein Ziel muss die Weiterentwicklung aller Baustoffe sein
Ich kann die Eingangsfrage, in welchem Material wir bauen sollen, nicht beantworten. Das Thema Nachhaltigkeit fokussiert gegenwärtig zu sehr auf einen einzigen Baustoff. Zur Zeit werden Hochhäuser errichtet ganz aus Holz, Kern und Fassade inklusive. Das Reinheitsgebot mag als Lackmustest einen solchen Versuch rechtfertigen ebenso wie unter Marketinggesichtspunkten, sinnvoll ist es nicht. Ziel muss vielmehr die konsequente Weiterentwicklung und Verwendung aller Baustoffe sein, in ihren spezifischen, materialimmanenten Eigenschaften ebenso wie in ihrem wechselseitigen Wirken im Verbund. Dem Mauerwerk in seiner Vielfältigkeit und Komplexität fällt hierbei eine Schlüsselrolle zu.
Gerd Jäger
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