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Birgit Steinborn führt seit 2014 den Gesamtbetriebsrat der Siemens AG mit 55.000 Mitarbeitenden in Deutschland. 

© Siemens AG

„Das Deutschland-Bashing ist vorbei“: Siemens-Betriebsratschefin lobt den Vorstand

Birgit Steinborn, Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, vergleicht Roland Busch mit Joe Kaeser, freut sich über Investitionen und fordert mehr Mitbestimmung für den Einsatz von KI.

Frau Steinborn, Siemens hat vergangene Woche einen Rekordgewinn für das vergangenen Geschäftsjahr mitgeteilt. Profitieren davon nur die Aktionäre oder auch die Mitarbeitenden?
Diese Frage stellen wir dem Vorstand auch. Viele Mitarbeitende haben variable Gehaltsbestandteile, sodass sie von den guten Zahlen auch profitieren. Das trifft aber nicht für alle zu. Wenn der Kuchen größer wird, dann gibt es auch mehr zu verteilen, und wir fordern, die Beschäftigten besser am Erfolg zu beteiligen. Wir wollen ein größeres Stück vom Kuchen. Aber das ist keine einfache Diskussion mit dem Arbeitgeber.

Die Ankündigung einer höheren Dividende dürfte die Diskussion in Ihrem Sinne erleichtern.
Das ist sicher so. Viele Jahre ging es bei Siemens um Restrukturierung und Personalabbau, sodass man sich kaum getraut hat, etwas zu fordern. Diese Zeiten sind vorbei. Und selbstverständlich freuen sich die Mitarbeitenden über das gute Ergebnis, aber vor allem auch über die Investitionen, die für Deutschland angekündigt sind.

Dabei haben Sie vor einem Jahr eine Deutschlandstrategie für mehr Beschäftigung vermisst.
Ich würde das heute differenzierter formulieren. Früher gab es den Druck, weil abgebaut wurde. Heute gibt es den Druck, weil es an vielen Standorten Wachstum gibt, das kaum noch bewältigt werden kann. Die Arbeitsbelastung ist hoch. Dazu kommt die Transformation durch Digitalisierung. Wir müssen darauf achten, dass es nicht Gewinner auf der einen und Verlierer auf der anderen Seite gibt. Wir fordern vom Vorstand, dass nicht zwei Welten im Unternehmen entstehen dürfen. Da besteht dringender Handlungsbedarf. Und dafür braucht es auch weiterhin eine passende Personalstrategie.

Was für zwei Welten sind das?
Wir haben auf der einen Seite Softwareentwickler und Ingenieure, die am industriellen Metaverse arbeiten und die digitale Plattform Xcelerator verbreiten. Und auf der anderen Seite haben wir Service und Produktion, wo die Digitalisierung erst noch Entlastung bringen muss. Die Mitarbeitenden in diesen Bereichen fühlen sich häufig abgehängt, weil sie nicht flexibel oder im Homeoffice arbeiten können.

Wie groß ist der Wunsch, weniger zu arbeiten, etwa in einer Vier-Tage-Woche?
Vier-Tage-Woche als Begriff ist akut kein Thema. Flexible Arbeitszeit und vor allem Teilzeit auch in qualifizierten Fach- und Führungsfunktionen wird dagegen von vielen gewünscht. Bei der Bereitschaft des Arbeitgebers, sich darauf einzulassen, ist Luft nach oben. Insgesamt ist flexibler Wechsel von Vollzeit in Teilzeit oder umgekehrt nur schwer möglich. Hier ist ein Umdenken im Management angesagt – und wir brauchen eine andere Praxis.

Roland Busch, Vorstandsvorsitzender der Siemens AG, präsentierte Mitte November Rekordzahlen.

© picture alliance/dpa/Matthias Balk

Zusätzliche Investitionen von einer Milliarde Euro hierzulande hat der Vorstandsvorsitzende Roland Busch als ein „Bekenntnis zum Standort Deutschland“ bezeichnet. Stimmt das?
Ja, auf jeden Fall. Herr Busch hat die Investitionen damit begründet, dass in Deutschland die Kompetenzen vorhanden sind, Universitäten und Fachkräfte. In Erlangen und Frankfurt (Main) wird erweitert, in Karlsruhe, Amberg, Bad Neustadt und Regensburg wird investiert, und in Berlin beteiligt sich Siemens an der Neugestaltung eines Stadtteils.

Überall in Deutschland dauern Genehmigungsverfahren sehr lange, aber in Berlin ist das Verwaltungshandeln besonders schwierig.

Birgit Steinborn

Sie meinen den „Siemensstadt Square“, wo der Konzern mit rund 600 Millionen Euro investiert.
Der Regierende Bürgermeister hat bei der Aufsichtsratssitzung im September das Investment von Siemens gelobt, da es auch zur Sicherung der Produktionsstandorte in Berlin beiträgt. Nach Geburtsschwierigkeiten geht es jetzt gut voran in Siemensstadt. Überall in Deutschland dauern Genehmigungsverfahren sehr lange, aber in Berlin ist das Verwaltungshandeln besonders schwierig. Das meint Roland Busch, wenn er Deutschland als zu kompliziert und zu langsam kritisiert.

2021 hat Roland Busch (rechts) Joe Kaeser abgelöst.

© imago images/Sven Simon

Alles in allem scheinen Sie happy zu sein mit dem Vorstandsvorsitzenden, der 2021 Joe Kaeser abgelöst hat.
Die Zusammenarbeit mit der Arbeitnehmerseite, auch im Aufsichtsrat, ist sehr viel besser geworden. Ich freue mich, dass es nicht mehr um Personalabbau und Restrukturierung geht, sondern um Technologie, Kundenorientierung und Menschen. Und das Deutschland-Bashing hat aufgehört.

War das so schlimm?
Es hieß ja immer, in Deutschland würden nur zwölf Prozent des Umsatzes erwirtschaftet, der Standort sei nicht besonders wichtig im globalen Unternehmen. Heute heißt es: Deutschland hat Qualitäten. Die Modelle sind grundverschieden: Die alte Welt war wertgenerierend durch Aufspaltung des Existierenden, in der neuen Zeit versucht Siemens durch eine konzernübergreifende Innovations- und Technologieplattform, mit Pioniergeist und Zusammenarbeit echten Wert und Wachstum zu schaffen.

Kaesers Kurs kam aber am Kapitalmarkt besser an.
Ob Aktienkursaufschläge nachhaltig sind, nur weil Unternehmensteile restrukturiert oder verkauft werden, bezweifle ich. Für die Mitarbeitenden ist das sowieso nachrangig. Herr Kaeser hat im Laufe der Jahre die Belegschaft verloren, und Herr Busch hat sie wieder gewonnen, auch durch eine stärkere Einbindung und Beteiligung.

Das Großmotorengeschäft mit mehr als 3000 Mitarbeitenden hierzulande wird Busch trotz der Bedenken der Arbeitnehmer ausgliedern.
Wir hatten das auch heftig kritisiert, haben aber erreicht, dass wir jetzt den Prozess im Sinne sicherer und guter Beschäftigungsperspektiven mitgestalten können. Die deutsche Mitbestimmung wird auf jeden Fall auch künftig gelten, ob es am Ende einen Börsengang gibt oder ob der Bereich an Dritte verkauft wird.

In Siemensstadt baut der Konzern mit Unterstützung des Landes Berlin am historischen Standort eine Stadt der Zukunft.

© imago images/Jürgen Heinrich/Jürgen Heinrich via www.imago-images.de

Mehr Mitbestimmung in der Transformation und beim Einsatz Künstlicher Intelligenz wird immer wieder von Arbeitnehmervertretern gefordert. Welche Erfahrungen gibt es bei Siemens?
Gemeinsam mit den KI-Experten des Unternehmens haben wir eine KI-Karte entwickelt, wo verschiedene Kriterien aufgezählt sind, die beim Einsatz von KI abgefragt werden. Diese Karte wird als Blaupause von vielen Bereichen genutzt. Und wenn es bei einem Punkt oder Kriterium Schwierigkeiten gibt, dann wird die KI angepasst.

Das klingt nach einem ziemlich reibungslosen Umgang mit KI.
Es gab schon viel Streit darüber, ob wir überhaupt mitreden dürfen. Etwa beim Einsatz von Systemen für die Auswahl von Personal. Und es geht ja zukünftig weiter in Richtung industrielles Metaverse. Da werden dann Arbeitsbedingungen virtuell festgelegt, und wenn die in der Realität eingeführt werden, kommen wir mit unseren heutigen Mitbestimmungsregularien zu spät. Das heißt, wir müssen viel früher eingebunden werden, bestenfalls bei der Entwicklung der Systeme. Das Betriebsverfassungsgesetz gibt das nicht her. An mehr Mitbestimmung führt kein Weg vorbei, sonst wird KI nicht die nötige Akzeptanz finden und in der Umsetzung nicht funktionieren.

Wird KI ein Thema sein bei der Betriebsrätekonferenz in dieser Woche in Berlin?
Das ist auch ein zentrales Thema. Insgesamt ist doch entscheidend: Wie können wir den Schutz der Beschäftigten in der schneller werdenden Transformation gewährleisten und Beteiligung organisieren. Wenn der Vorstand Wachstum und Geschwindigkeit will, muss er Sicherheit und Beteiligung bieten. Dazu brauchen wir Mitbestimmung, die der digitalen Transformation gerecht wird.

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