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Kurzes Glück in allen Farben. Auswahl von Ecstasy-Tabletten.

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Wege in den Rausch: Die neue Sehnsucht nach dem Ganz-bei-sich-sein

Paul-Philipp Hanske und Bendedikt Sarreiter untersuchen in ihrem Buch eine Kultur, in der sich der Wille zur Optimierung mit dem Wunsch nach Grenzüberschreitung verbindet.

Rausch - ein schönes Wort, wie auch Ekstase. Für viele ein Versprechen, die Verheißung eines außergewöhnlichen Zustands. Im Rausch, in der Ekstase hat man das Gefühl, ganz in der Gegenwart zu sein.

Paul-Philipp Hanske und Benjamin Sarreiter, die Autoren dieser Untersuchung über „Ekstasen der Gegenwart“, verhehlen nicht, dass sie diesen Zuständen einiges abgewinnen können. Man merkt, dass sie erfahren sind im Gebrauch von Substanzen, die helfen, den Zustand der Entgrenzung zu erreichen.

Es ist ein packendes Buch geworden, eine Kombination aus dionysischer Rausch-Historie, Rauschmittelüberblick, einer Analyse staatlicher Drogenpolitik und der Kritik an einem der Megatrends unserer Zeit, dem Optimierungswahn.

Die neue Offenheit

Ausgangspunkt des Trips ist eine Wahrnehmung, die Hanske und Sarreiter in vielen Facetten belegen. Etwas geschieht, das seit dem Beginn des Kriegs gegen Drogen in den frühen 1970er Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte, nämlich dass „anspruchsvolle psychedelische Substanzen“ in der Öffentlichkeit „sichtbar“ wurden, indem sie „erforscht“ und „diskutiert“ wurden, weil man in ihnen auch heilende Kräfte vermutet. Die Autoren sprechen von LSD, Psilocybin oder DMT – dem halluzinogenen Dimethyltryptamin.

Dieser Sinneswandel hänge, so die Autoren, mit der hirnphysiologischen Forschung und medizinischen Anwendungen zusammen, die seit 15 Jahren „enorme Konjunktur“ haben. Weil die erwähnten Substanzen bei neuen Therapien gegen Depressionen oder Alkoholismus von großer Bedeutung sind, wirke das nach Jahrzehnten der Kriminalisierung aller Drogen als „Rammbock der Enttabuisierung“.

Therapeutische Ansätze

Parallel dazu entwickelt sich seit Jahren ein „Psychedelic Business“ der therapeutischen Ansätze, zum Beispiel mit Ayahuasca, einem Tee. Davon wussten schon indigene Kulturen. Eine ähnliche Entwicklung machen Substanzen wie LSD, Psylocybin, MDMA („Ecstasy“) und Ketamin, die in manchen Staaten als Medikamente bei psychischen Erkrankungen eingesetzt werden dürfen.

Ironischerweise heute schon in den Vereinigten Staaten, deren Regierung in den frühen Siebzigern den „Krieg gegen Drogen“ begann und damit auch die erwähnten Psycho-Substanzen in den Untergrund verbannte. 50 Jahre später gibt es auch in Deutschland Unternehmen, die sich auf dem entstehenden „Markt für psychedelische Pharmaprodukte“ einen optimalen Startplatz sichern wollen. Da geht es dann um die Laborherstellung solcher Substanzen und seriöse therapeutische Angebote.

Sehnsucht nach dem Rausch

Und natürlich gibt es heute einen enormern Bedarf an rauschunterstützter Entspannung. Ihn spüren – weit über Clubgänger und Festival-Besucher hinaus – bürgerliche Kreise, vom gestressten Medienmenschen über den hart arbeitenden Rechtsanwalt bis zum Mediziner. Von Grenzgängern aller Art zu schweigen.

Hexen und Schamanen

Hanske und Sarreiter ziehen den Kreis noch weiter, um die Breite des Phänomens „Ekstase“ für die Gegenwart herauszuarbeiten: Sie schreiben, dass seit Jahren „alle denkbaren Formen von Spiritualität“ boomten. Um ganz in der Gegenwart zu sein und zugleich deren Stressfaktoren zu entkommen, vertrauen andere auf Yoga oder Meditation.

Die Autoren ziehen eine Linie von den „Mystikerinnen und Mystikern des Mittelalters“ zu Religionsgemeinschaften der Gegenwart, die den Ekstasen huldigen. Schamanische Rituale, Praktiken von Hexen – unsere scheinbar so durchrationalisierte Gegenwart wird perforiert von Versuchen, sie mit dem Irrationalen anzureichern. Die Grenze zu verschwörerischen Subkulturen wie dem „Anastasia“-Kult - längst in Deutschland angekommen - sind fließend.

Es sei an der Zeit, meinen Hanske und Sarreiter, ernsthaft über eine „Entkriminalisierung psychotroper Substanzen“ zu diskutieren – mit dem Ziel, ihren Konsum zu erlauben. Schließlich – so das stärkste Argument der Autoren – machten solche Substanzen nicht abhängig. Von den erwähnten Substanzen sei nur MDMA in hohen Dosen „durchaus riskant“.

So interessant der Gedanke ist, einer Gesellschaft eine Vielfalt von Mitteln zur Ekstase zu erlauben und nicht allein den Rausch aus Bier, Wein, Sekt und anderen Alkoholen, so gründlich sollte man an dieser Stelle nachdenken: Wohnt nicht jedem Konsum von Rauschmitteln die Neigung inne, die Dosis zu steigern? Damit aber entsteht das, was auch psychotrope Substanzen gefährlich macht: psychische Abhängigkeit, der Wunsch nach immer mehr.

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