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Rätselhafter Fund. Um zu klären, wie eine Schildkröte in Laden 6 der Stabianer Thermen gelangte, analysierte das Forschungsteam Erdschichten um die Überreste.

© Foto: Institut für Klassische Archäologie, Freie Universität

Was machte die Schildkröte in der Therme?: Badefreuden am Vesuv

Mit dem Ausbruch des Vesuvs wurde auch die blühende Bäderkultur der Stadt Pompeji begraben. Archäologin Monika Trümper legt Teile davon wieder frei.

Von Jonas Krumbein

Als 62 n. Chr. ein Erdbeben die römische Metropole Pompeji am Fuß des Vesuvs in Trümmer legte, zählten die öffentlichen Bäder zu den ersten Gebäuden der Stadt, die die Bürgerschaft wieder aufbauen ließen. Größer als je zuvor, geschmückt mit prächtigen Portalen und ausgestattet mit zahlreichen Becken sowie aufwendigen Boden- und Wandheizungen verkörperten die Stabianer Thermen Luxus- und Lebenswillen der antiken Stadt Pompeji, die nur 17 Jahre später unter Stein, Staub und Asche des Vesuvs begraben wurde.

Der apokalyptische Ausbruch des bis heute aktiven Vulkans nahe Neapel im Jahr 79 n. Chr. ist für eine Archäologin wie Monika Trümper ein Glücksfall. Kaum irgendwo sonst findet die Professorin für Klassische Archäologie an der Freien Universität Berlin und Expertin für antike Bäderkultur derart gut erhaltene Thermen. Denn die Asche des Vesuvs schützte die Thermen Pompejis vor Witterungsschäden oder einer Nutzung als Steinbruch, der im Mittelalter zahlreiche antike Bauwerke zum Opfer fielen. So ist es möglich, dass Archäologinnen und Archäologen auch 274 Jahre nach dem Beginn wissenschaftlicher Grabungen im Jahr 1748 in Pompeji noch Neues entdecken. Zentimeter um Zentimeter, Siedlungsschicht um Siedlungsschicht graben sie sich tiefer in die Vergangenheit der untergegangenen Stadt und der zentral gelegenen Stabianer Thermen.

Die Bäderkultur in Pompeji umfasste ein komplettes Wellness-Programm

Gegründet in vorrömischer Zeit im 6. Jahrhundert v. Chr., wurde Pompeji ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. mit innovativen öffentlichen Badeanlagen ausgestattet, die bis 79 n. Chr. permanent modernisiert wurden. „Dabei ging man höchst pragmatisch und ökonomisch vor. So wurde etwa der Schutt von abgebrochenen oder zerstörten Bauteilen wiederverwendet, um Nischen zu füllen, neue Mauern zu bauen oder das Bodenniveau zu erhöhen.“ Kurz vor dem Vesuvausbruch gehörten zur Badekultur neben Gymnastikübungen und Massagen, Maniküre und Schönheitspflege, Kaltbäder, Warmbäder und auch Schwitzräume. Ähnlich wie das moderne Saunieren sollte das Schwitzen entspannen, entschlacken und Erkrankungen vorbeugen. Doch ausgerechnet die Stabianer Thermen, älteste und wichtigste Badeanstalt Pompejis, sollten nach vorherrschender Forschungsmeinung erst in ihrer zweiten Bauphase nach 80 v. Chr. einen Schwitzraum erhalten haben.

Und so bezeichnet Trümper als Sensation, was sie und ihr Team aus Forschenden und Studierenden der Freien Universität Berlin sowie der Universitäten von Oxford und Neapel im September 2021 im Säulenhof der Stabianer Thermen ausgruben: ein riesiges rundes Schwitzbad von 7,15 Metern Durchmesser aus der ersten Bauphase des Thermenkomplexes. „Es war von Anfang an da“, sagt Trümper und klingt noch immer, als könne sie den Fund kaum fassen. Denn schon vor ihrem Team hatten andere an dieser Stelle gegraben – und nichts gefunden. Doch Monika Trümper, eine Expertin für griechisch-römische Schwitzbäder, ließ sich in ihrem archäologischen Spürsinn nicht beirren. „So etwas bekommt man überhaupt nur durch Graben heraus.“

Bereits 2020 hatten Trümper und ihr Team das seit 2015 laufende Grabungsprojekt in den Thermen Pompejis mit einer großen Kampagne fortsetzen wollen. Doch dann kam die Corona-Pandemie. 2021 hatten sie schließlich mehr Glück: „Genau in der Lücke zwischen den deutschen Lockdowns konnten wir fünf Wochen graben“, erzählt die Wissenschaftlerin. Es waren Wochen unter erschwerten Bedingungen: „Als Kolleginnen und Kollegen aus Oxford in Pompeji eintrafen, mussten sie sich zunächst in Quarantäne begeben“, berichtet Monika Trümper. Anschließend aber ging es mit voller Kraft voran, und im Jahr 2022 konnte das Team sogar weitgehend ohne Einschränkungen weitergraben – ein Glück für Monika Trümper und die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Grabungskampagne. Denn die Forschungsgruppe machte im Sommer 2022 noch mit einem weiteren Fund Schlagzeilen.

Wie kam die Schildkröte in die Therme?

In einer Ladenzeile der Stabianer Thermen fanden die Grabenden eine damals trächtige Schildkröte aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. Wie war das Tier dorthin gelangt? War es beim Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 verendet? Oder schon nach dem Erdbeben 17 Jahre zuvor in die noch nicht wiederaufgebaute Ladenzeile gekrochen? Waren Teile der Stadt schon vor ihrem endgültigen Untergang zum Lebensraum für wildlebende Tiere wie der Schildkröte geworden? Um das Rätsel zu lösen, analysierte Trümpers Team die Erdschichten rings um die Schildkröte. Ergebnis: Das Tier könnte schon lange vor Erdbeben und Vesuvausbruch im frühen 1. Jahrhundert v. Chr. in die Ladenzeile gelangt sein. Sollte die Schildkröte samt Ei im Kochtopf eines Imbisses landen? Oder war das Tier im Zuge von Bauarbeiten in die Thermen gekrochen, als diese an die städtische Wasserversorgung angeschlossen wurden? Dann wäre die Schildkröte zu einem Zeitpunkt verendet, als der Spaß in den Thermen Pompejis für die Menschen erst so richtig begann.

Denn mit dem Anschluss der Stabianer Bäder an die städtische Wasserversorgung im frühen 1. Jahrhundert n. Chr. war das ehemals mühsam aus Tiefbrunnen zu schöpfende Nass nun ganz ohne Einsatz von Muskelkraft im Überfluss vorhanden. „Ein Kaltwasserbad, ein großes Schwimmbecken für Männer und Nymphäen, also reich ausgestattete Brunnenanlagen, machten die Stabianer Thermen zu einem antiken Spaßbad“, erzählt Trümper. Die täglichen Bäderbesuche verlängerten sich, die Stabianer entwickelten sich noch mehr zum Zentrum des gesellschaftlichen Lebens. Man traf sich, knüpfte Kontakte, sprach Einladungen zu Abendessen aus.

War die Stadt am Vesuv Nachahmer Roms, und falls ja, von wann an? „Darüber streitet die Forschung, weil man bislang in Rom keine öffentlichen Bäder aus dem zweiten beziehungsweise ersten Jahrhundert v. Chr. gefunden hat“, sagt Monika Trümper. Sie selbst will im März 2023 zur letzten Grabung ihres aktuellen Projekts aufbrechen. Den Abschluss ihrer Arbeit am Vesuv wird die Reise allerdings nicht markieren. „In Pompeji“, sagt Monika Trümper, „ist man nie ganz fertig, weil man immer wieder Neues findet.“

Für den Inhalt dieses Beitrags ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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