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Das Lenin-Museum in Taschkent.

© Philipp Meuser

Taschkents Moderne auf dem Weg zum Weltkulturerbe: Als die Kommunisten mit Marmor klotzten

Testgebiet für neue Technologien: In der Hauptstadt Usbekistans lässt sich spätsowjetische Architektur vom Feinsten bewundern. Ihr droht Abriss.

Von Bernhard Schulz

Taschkent, die Hauptstadt Usbekistans und zuvor der gleichnamigen Sowjetrepublik, ist eine moderne Stadt, im Sinne jener stadtplanerischen Grundsätze, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Vorherrschaft des Automobils beförderten. Als bedeutendes Zentrum am Südrand der damaligen Sowjetunion genoss Taschkent entsprechende Möglichkeiten - zumal nach dem verheerenden Erdbeben von 1966 die stark geschädigten Teile der Altstadt zur Disposition standen.

In den letzten drei Jahrzehnten der Sowjetära entstanden zahlreiche Repräsentationsbauten in einem eigenen, die unionsweiten Vorgaben mit landestypischen Elementen mischenden Stil. Sie sind heute, im vierten Jahrzehnt der Unabhängigkeit, ihrerseits von Abriss bedroht.

„Die modernistische Architektur der 1960er bis 1980er Jahre, die die Idee einer modernen Gesellschaft ausdrückte und in die Zukunft wies, wurde niemals als Erbe wahrgenommen“, heißt es mahnend in der Broschüre, die das Projekt „Tashkent Modernism“ vorstellt. Sie begleitete eine gleichnamige Konferenz im Staatlichen Kunstmuseum der Hauptstadt, veranstaltet von der äußerst rührigen Uzbekistan Art and Culture Development Foundation.

Die Tagung sollte sollte die Bemühungen um dieses bauliche Erbe in einen internationalen Kontext stellen und zugleich die Aufnahme in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes vorbereiten. In dieser Liste mit inzwischen 933 Kulturerbestätten machen Objekte der Moderne nur eine kleine Minderheit aus, unter ihnen die Berliner Wohnsiedlungen der 1920er Jahre, und noch kleiner ist darunter der Anteil nicht-westlicher Orte.

Taschkent leistete sich Eigenes

Taschkent indessen war nicht nur viertgrößte Stadt der Sowjetunion und ein Testgebiet für neuartige Technologien, sondern seiner Lage und historischen Bedeutung wegen das „Schaufenster des (sowjetischen) Orients“. Hier konnte mehr und freier als anderenorts experimentiert, durfte von Norm- wie von Stilvorgaben abgewichen werden.

Das haben die Architekten zu nutzen gewusst, und so ist in Taschkent ein erstaunlich kohärentes Ensemble von Bauten entstanden, die diese relative Freiheit widerspiegeln, doch ihrer repräsentativen Aufgabe als Botschafter einer „modernen Sowjetunion“ verlustig gegangen sind und oft nicht mehr angemessen unterhalten werden.

Die Chorsu-Markthalle in Taschkent.

© Bernhard Schulz

Das Kunstmuseum als Veranstaltungsort der Konferenz wie der zugehörigen Ausstellung zur Taschkent-Moderne ist selbst ein Bauwerk dieser Epoche – und ein Beispiel der Gefährdung. Denn die geometrisch-ornamentale Fassade, die das kubische Gebäude umgab, wurde durch eine halbtransparente Allerweltsfassade ersetzt, die nur allzu deutlich als Verlegenheitslösung zu erkennen ist.

Im Inneren jedoch zeigt der Bau mit seinem quadratischen, mit umlaufenden Galerien versehenen Lichthof genau die Qualität einer neuen Leichtigkeit. Unterstrichen wird die Verbindung von Repräsentativität und Eleganz in vielen Bauten durch ebenso helle wie wertvolle Materialien, gerne durch weißen Marmor, der in der Breschnew-Zeit offenbar in großen Mengen zur Verfügung stand, wie am früheren Lenin-Museum, zum 100. Geburtstag des Staatsgründers im Jahr 1970 errichtet.

Eine gigantische Betonkuppel

Das Haus scheint über seinem hohen Podium nochmals zu schweben. Der riesige „Palast der Völkerfreundschaft“ mit seinen 4.000 Zuschauerplätzen und einer Bühne, auf deren Breite gleich mehrere Volkstanzgruppen Platz gefunden haben dürften, verbindet Marmor, dunkelblaue Keramikfliesen und weiße Betonelemente zu einer einzigen Demonstration von Festlichkeit und Opulenz.

Die stark frequentierte „Chorsu“-Markthalle wird von einer flachen Betonkuppel in atemberaubender Weite überspannt, während eine weitere Kuppelkonstruktion das (feste) Zirkusgebäude krönt, eine sowjettypische Bauaufgabe, die zwei Dutzend Mal nach Standard ausgeführt wurde, nur eben nicht in Taschkent.

Die modernistische Architektur wurde niemals als Erbe wahrgenommen.

Aus der Broschüre „Tashkent Modernism“-Projekts 

Auch der Wohnungsbau, dieses beständige Sorgenkind der Sowjetzeit, erbrachte Neuartiges. So wurde das Appartementhochhaus „Schemtschug“ (Perle), entworfen von Ophelia Aidinova, als „vertikale Marhalla“, als Auftürmung traditioneller gemeinschaftlicher Wohnformen vorgesehen. Jeweils drei ihrer 15 Wohn-Etagen gruppieren sich um und über eine nach zwei Seiten geöffnete und an den Rändern bepflanzte Terrasse. Doch dann suchten sich die Bewohner der zwei- bis vierzimmrigen Appartements durch eigenwillige Neugestaltungen zu unterscheiden, die Pflanztröge der Innenhöfe verkamen, und die runden Außenbalkone an den Ecken des Turmbaus wurden mit Plastikfenstern geschlossen.

Orientalische Formensprache

Ein solcher Architekturentwurf, einmal nicht aus vorgefertigten Platten zusammengesetzt, blieb die Ausnahme. Doch auch für die seriellen Bauten entlang der Hauptstraße vom Flughafen her entwarf der Architekt, hier der aus Leningrad zugewanderte Andrej Kosinsky, Balkone und Fassadenmosaike in einer vage orientalischen Formensprache, als ob das warme, so völlig unrussische Klima Taschkents auch nördliche Gemüter verzauberte.

Aus der Sammlung des Kunstmuseums sind für die Ausstellung zum Modernismus entsprechende Gemälde entnommen worden, die wie Wladimir Burmakins „Taschkent im Bau“ von 1974 die eigentümliche Stimmung zwischen Gestern und Übermorgen einfangen. Ihr lässt sich perfekt nachspüren in der Metro, etwa in der Station „Kosmonauten“ mit ihren wundervollen Reliefs aus glasierten Kacheln.

Von „unseren Helden“ sprach denn auch der in Ehren ergraute Professor Alexander Kuranow, als er bei der Konferenz seine Zeitgenossen würdigte, die inzwischen verstorbenen Architekten der Taschkenter Moderne, Als keynote speaker war Rem Koolhaas aus Rotterdam im Programm, der die in Harvard mit seinen Studenten erarbeiteten Statistiken zur weltweit zunehmenden „Erhaltung“ (preservation) vorstellte. Mittlerweile würden alle nur denkbaren Bautypen unter Schutz gestellt, und die Begründung folge nicht mehr objektiv-wissenschaftlichen Kriterien, sondern allein dem der „Authentizität“.

Authentisch ist der „Taschkenter Modernismus“ auf jeden Fall und hält jeden Vergleich mit anderen, der Moderne zugetanen Städten etwa auf dem Balkan oder in Nordafrika stand. Ein flammendes Plädoyer für die Eigenart der sozialistischen Moderne hielt Alessandro de Magistris vom Politecnico in Mailand, das an der Erarbeitung vom Projekt „Tashkent Modernism“samt Ausstellung maßgeblich beteiligt ist.

Er hob die „Synthese der Künste“ und die „Einheit von Architektur und Stadtplanung“ als Kennzeichen hervor. Kein Konferenzteilnehmer konnte da noch Zweifel an der Unesco-Würdigkeit der Taschkenter Bauten haben. Bleibt nur, ihre Aufnahme in die Welterbe-Liste mit Nachdruck zu betreiben.

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