zum Hauptinhalt
Wohnzimmerbeleuchtung. Im Weserstadion gelangen den Bremern schon einige Wunder. Am Samstag gegen Köln muss das nun aber ohne Zuschauer klappen.

© Imago

Bremen vor dem Abstieg aus der Bundesliga: Wunder gibt es immer werder

Bremen gehört in die Bundesliga wie der Fisch ins Wasser. Doch an diesem Samstag droht der zweite Abstieg. Elf Dinge, die wir vermissen würden.

DIE TRADITION

Werder war einfach immer da. Also fast immer, nämlich in 56 von 57 Bundesliga-Saisons. Das hat sonst keiner geschafft. In der ewigen Tabelle wurden die Grün-Weißen erst in dieser Saison von Borussia Dortmund vom zweiten Platz verdrängt. Mit aktuell 1899 Partien in der Bundesliga ist Bremen dafür weiter alleiniger Spitzenreiter, was die Anzahl der Spiele angeht. Bayern kommt dem mit 1873 am nächsten. Eine Bundesligatabelle ohne Werder Bremen – geht das also überhaupt? Es gibt ja auch keinen Jahreskalender ohne Dezember.

DAS STADION

Fußballstadien liegen heute einfach mal ziemlich weit weg von alledem, was man halbwegs als belebt bezeichnen kann. Ganz anders das Weserstadion in Bremen. Ein problemlos zu bewältigender Fußmarsch aus der Innenstadt, gern am Osterdeich an der Weser entlang, und schon ist das Stadion erreicht. Auch erfreulich: Diverse gastronomische Einrichtungen sind ebenfalls in Stadionnähe.

DIE LEGENDEN

Es gibt diese Sätze, die sich ganz tief einbrennen ins Gedächtnis. Einer davon stammt von ZDF-Mann Rolf Töpperwien. Die Bremer kehren 1992 als Europapokalsieger aus Lissabon zurück, Töpperwien ist dabei und spricht folgende Worte: „Jetzt betritt Otto Rehhagel deutschen Boden.“

[Mehr guten Sport aus lokaler Sicht finden Sie – wie auch Politik und Kultur – in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Hier kostenlos zu bestellen:leute.tagesspiegel.de]

DAS HORN

Ein Tor wird fallen – und ein Schiff wird kommen, jedenfalls akustisch. Das Signal eines Nebelhorns untermalt jeden Werder-Treffer. Das Horn sollte also am Samstag kräftig Lärm machen. Und danach geht es in die Relegation. Und in der kommenden Saison weiter in der Bundesliga.

DIE GESCHICHTCHEN

Geschichten über Werder füllen natürlich ganze Bücher. Daher hier nur zwei kurze Anekdoten: Da ist zum einen natürlich die erste Halbzeit im November 1975, die zunächst nur 32 Minuten dauert, weil Schiedsrichter Wolf-Dieter Ahlenfelder vorzeitig abpfeift, aber sich dann doch überzeugen lässt, weiterspielen zu lassen. Und zum anderen ist da der damalige südafrikanische Präsident, der 1995 vor einem Länderspiel zum verdutzten Werder-Stürmer Marco Bode sagt: „You look exactly like Steffi Graf“ (Sie sehen genauso aus wie Steffi Graf).

DIE HOFFNUNG

Ohne Skandale, ohne Großspurigkeit, dafür bodenständig und sympathisch – einfach Werder. Und über Jahrzehnte stets ein ernsthafter Widersacher für die, die viel mehr Geld haben. Erinnert sei nur an den Pokalsieg 1999 im Elfmeterschießen gegen Bayern München, Torwart Frank Rost verwandelt den entscheidenden Elfer, oder den Gewinn der Meisterschaft 2004 durch einen Sieg in München.

DIE TREUE

Gibt es in Bremen eigentlich noch Geschäfte, die Besen verkaufen? Denn wenn der Sinnspruch „Neue Besen kehren gut“ von einem Bundesligaverein kolossal widerlegt wurde, dann von Werder Bremen: Da gab es „König Otto von Bremen“, bürgerlich Otto Rehhagel, der zwischen 1981 und 1995 ganze 5202 Tage lang Werder trainierte und dabei jeweils zweimal Meister und Pokalsieger sowie einmal Europapokalsieger wurde. Klingt schon fantastisch genug. Dann kam 1999 Thomas Schaaf ins Amt, der Rehhagels Marke nur um 83 Tage verpasste und bis 2013 einen weiteren Meistertitel sowie drei Pokalsiege nach Bremen holte. Der Beliebigkeit des Bundesligageschäfts hat Werder oft getrotzt – und so bislang auch am aktuellen Coach Florian Kohfeldt festgehalten. Allein deshalb muss es sich auch diesmal auszahlen!

[Verfolgen Sie in unseren Liveblogs die aktuellen Entwicklungen zum Coronavirus im Sport, zum Coronavirus in Berlin und zum Coronavirus in Deutschland und der Welt.]

DER STURM

Man kann es sich bei den aktuellen Leistungen vielleicht manchmal schlecht vorstellen, aber eigentlich galt Werder in den vergangenen Jahren immer als ein Team, das sich um attraktiven Offensivfußball bemüht. Da gab es Zauberer wie Johan Micoud und Diego, Vollblutstürmer wie Rudi Völler oder Wynton Rufer, den K&K-Sturm aus Miroslav Klose und Ivan Klasnic, den unvergessenen Kugelblitz Ailton („Ailton Tor – alles gut!“) und natürlich den ewigen Claudio Pizarro, der sich am Samstag durch den entscheidenden Treffer am besten einfach selbst sein Denkmal setzt. Und dann bekäme der 41 Jahre alte Peruaner zu seinem Karriereende sogar noch zwei Extrarunden Relegation geschenkt.

DER FELS

Aber auch defensiv hatte Werder immer kernige Typen zu bieten, die treu ihren Dienst für die Bremer verrichteten und sich mit ihrem rustikalen Auftreten ligaweit einen Namen machten. Torsten Frings zum Beispiel, der sich schon als Junior im Training mit Werder-Star Andreas Herzog anlegte und sich so seinen Spitznamen verdiente („Gib den Ball her, du Lutscher!“). Oder Horst-Dieter Höttges, der in der ganzen Liga als „Eisenfuß“ gefürchtet wie geachtet wurde. Oder „Ostfriesen-Alemao“ Dieter Eilts, dessen nordisch-kühlen Realitätssinn wohl das Zitat „Wenn meine Oma ein Bus wäre, könnte sie hupen“ am besten auf den Punkt bringt. Und wenn der Klassenerhalt ein Kinderspiel wäre, könnte er jetzt so langsam mal aus seinem Versteck kommen.

DAS DRAMA

1986 kann Werder mit einem Sieg gegen die Bayern Meister werden. Doch Michael Kutzop schießt einen Elfmeter an den Pfosten. Endstand 0:0 – vier Tage später werden die Bayern Meister. Wenn scheitern, dann mit dem vollen Programm Dramatik, auch das ist Werder! Weitere Beispiele gefällig? Halbfinale des DFB-Pokals 1984: 1:3, 4:3, kurz vor knapp gleicht Hans-Jörg Criens für Borussia Mönchengladbach aus. Kommentar Heribert Faßbender in der ARD: „So, meine Damen und Herren, jetzt stehe ich auch mal auf. Das ist ja nicht zu glauben.“ In der Verlängerung macht Criens das 5:4. Oder 2006 im Achtelfinale der Champions League: Werder steht bei Juventus Turin vor der Sensation, dann fängt Torwart Tim Wiese den Ball ab – und wirft ihn Emerson vor die Füße. Tor, aus, Werder raus.

DAS WUNDER

Aber wir wollen natürlich nicht mit Scheitern schließen. Stattdessen, natürlich, es kann nicht anders sein: die Wunder von der Weser. Wenn das Flutlicht angeht, scheint für Werder in Europa eine Zeit lang nichts unmöglich. 1987 im Uefa-Cup im Hinspiel 1:4 bei Spartak Moskau. Alles aus? Nein, 6:2 nach Verlängerung. 1988 0:3 und 5:0 gegen den BFC Dynamo im Europapokal der Landesmeister. 1993, inzwischen heißt der Wettbewerb Champions League, siegt Werder in der Gruppenphase nach 0:3 gegen den RSC Anderlecht 5:3. Und 1999 heißt es im Uefa-Cup 4:0 nach 0:3 im Hinspiel gegen Olympique Lyon. Das ist bald 21 Jahre her. Es wird Zeit für ein neues Wunder. Diesmal in der Bundesliga. Am besten am Samstag.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false