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Ein Kreis, eine Mannschaft - und in der Mitte Kapitän Gareth Bale.

© AFP

Tag der Entscheidung in Gruppe A: Wales will zurück auf die Insel

Die Waliser träumen von einem Höhenflug wie bei der EM 2016. Damals wollten sie nicht zurück auf die Insel, jetzt unbedingt.

Die Waliser waren nach dem Spiel in Baku in einem Kreis zusammengekommen. In der Mitte stand Gareth Bale, der als Kapitän eine mitreißende Ansprache nach dem 2:0-Sieg gegen die Türkei halten sollte. Doch plötzlich grinste Bale und hielt beide Hände hoch. „I’m sorry“, sagte er, zum Gelächter seiner Teamkollegen. Ein perfekt getimter Witz.

Denn obwohl er in der zweiten Hälfte einen Elfmeter verschoss, hatte der Kapitän natürlich keinen Grund, sich zu entschuldigen. Mit seiner starken Leistung hatte er Wales zum ersten Sieg geführt, und damit den Einzug ins Achtelfinale so gut wie gesichert. Allen Erwartungen zum Trotz darf Wales beim Turnier 2021 von einer erneuten Überraschung träumen. Und vor dem letzten Gruppenspiel gegen Italien an diesem Sonntag (18 Uhr/ZDF und Magenta) zeigten Bale und seine Teamkollegen genau jene Tugenden, die sie bei der letzten EM 2016 bis ins Halbfinale gebracht hat: Spaß und Furchtlosigkeit.

Topspiel im Rom

Anders als in Frankreich vor fünf Jahren sind in diesem Sommer nur einige tausend Fans in der berühmten roten Wand dabei, wenn ihre Mannschaft ihre Gruppenspiele im fernen Aserbaidschan bestreitet. Doch die Verbindung zwischen Mannschaft und Anhängerschaft bleibt so stark wie immer. Auch am Sonntag werden sich die Spieler bei der Nationalhymne zu den Fans umdrehen, um gemeinsam mit ihnen von Tälern, Barden und der alten Sprache zu singen.

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Vor allem für die Fans wollen die Spieler jetzt gegen Italien für eine Überraschung sorgen. Wales steht zwar mit einem Bein in der nächsten Runde, doch mit einem Sieg in Rom könnten sie auch noch Gruppensieger werden. Damit würden sie das Achtelfinale im englischen Wembley-Stadion bestreiten und zumindest ein Spiel vor heimischer Kulisse bestreiten. „Schottland, England und die meisten Mannschaften durften zu Hause spielen, doch unsere Fans mussten um die halbe Welt reisen“, sagte Connor Roberts, der das zweite Tor gegen die Türkei erzielt hatte. „Hoffentlich kommen wir so weit wie möglich, und erleben irgendwann auch mehr Fans im Stadion.“

Dabei hat es vielleicht auch geholfen, dass Wales in Baku ein wenig unter dem Radar fliegen konnte. Bei den anderen britischen Nationen ist der Druck in diesen Tagen deutlich höher. Die Schotten sind voller Erwartungen in ihr erstes Turnier seit 23 Jahren gegangen, und in England gibt es eine berechtigte aber auch erdrückende Hoffnung, die lange Titeldürre auf heimischen Boden zu beenden. Die Erwartungen an Wales waren hingegen getrübt, die Chancen auf ein erneutes Sommermärchen sahen vor dem Turnier eher düster aus. Viele der Spieler von damals waren weg, und Trainer Ryan Giggs musste auf die EM verzichten, weil er wegen Körperverletzung angeklagt worden ist. Eigentlich konnte Wales nur positiv überraschen.

Weit kommen, für die Fans

Das ist unter Interimstrainer Rob Page auch gelungen. Auch die Berichterstatter im Fernsehen gehen recht locker mit den Walisern um, und sind in einigen Fällen schamlos parteiisch. Als der Videobeweis ein spätes Tor der Schweiz im ersten Gruppenspiel zugunsten von Wales aberkannte, jubelte der BBC-Kommentator Robbie Savage, als stünde er als Fan auf der Tribüne.

Sowohl die Stimmung als auch die Erwartungen werden noch mehr steigen, wenn Wales es tatsächlich für das Achtelfinale nach Hause schafft. „Don’t take me home“, lautet der Refrain aus dem Sommer 2016, doch nun wollen die Waliser nichts anderes mehr, als wieder auf die Insel zu kommen und ihre Fans in voller Pracht zu erleben.

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In den vergangenen Wochen wurden die Huldigungen der walisischen Fankultur immer häufiger. Der Guardian schrieb von einer „zweisprachigen Kontrakultur“, während andere sogar ein politisches Phänomen wahrnehmen wollten. „Die moderne walisische Identität hat in unserer Fußball-Nationalmannschaft ihre Erlösung gefunden“, schrieb die ehemalige Nationalspielerin und heutiger Sportfunktionär Laura McAllister im Nachrichtenportal „WalesOnline“. Viel mehr als der traditionelle Nationalsport Rugby könne der Fußball das eigene Selbstbewusstsein und den internationalen Ruf der Waliser stärken.

Zumindest auf dem Platz sorgen die Fußballspieler tatsächlich wieder dafür, dass die Augen Europas auf das kleinste Land Großbritanniens gerichtet sind. Auch am Samstag in Rom werden sie mit Freude und ohne Angst spielen. „Uns kann man nie abschreiben“, sagte Flügelspieler Dan James und fügte hinzu. „Italien hat eine großartige Mannschaft, aber wir glauben, dass wir gewinnen können.“

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