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Joachim Löw beim Training der Nationalelf in Berlin.

© imago/Andreas Gora

Vor den Spielen gegen Holland und Frankreich: Nationalmannschaft: Als wäre nichts passiert

Beim DFB-Team soll vieles neu und anders sein, doch einen richtigen Umbruch hat es bislang nicht gegeben – deshalb bleibt der Druck für Bundestrainer Löw groß.

Am Wochenende hat das Fernsehen Joachim Löw in einer unvorteilhaften Situation erwischt. Der Bundestrainer saß am Sonntag in seiner Heimatstadt im Stadion, um sich das Bundesligaspiel zwischen dem SC Freiburg und Bayer Leverkusen anzuschauen, und später waren Bilder von Löw zu sehen, wie er mit großer Mühe ein Gähnen zu unterdrücken versuchte. Wobei: Unvorteilhaft? In Wirklichkeit sind es sehr vorteilhafte Bilder, die Löw jetzt auf diversen Tribünen in diversen Fußballstadien zeigen. Weil sie die Botschaft transportieren: Seht her, der Bundestrainer arbeitet mit großem Fleiß am Wiederaufstieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft.

Es hat sich einiges geändert seit dem Sommer des allgemeinen Missvergnügens, in dem die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Russland schon in der Vorrunde scheiterte. Seitdem ist Joachim Löw auffallend oft in Stadien zu sehen (was zuvor nicht der Fall gewesen sein soll), er war sogar beim Trainerkongress der Fifa (wo er sich früher eigentlich nie hat blicken lassen), und zu Beginn dieser Woche konnte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bei seinem Besuch in Berlin ein weiteres Häkchen hinter einen oft erhobenen Vorwurf setzen. Fannähe? Auch erledigt!

Am Dienstag hat die Nationalmannschaft im Amateurstadion von Hertha BSC eine öffentliche Trainingseinheit absolviert – es war die erste seit vier Jahren. Vornehmlich Kinder und Jugendliche waren auf den Rängen, sie hämmerten mit ihren Handflächen auf die blecherne Bandenwerbung, so dass es ordentlich schepperte, und anschließend schienen die Herren Nationalspieler, deren eigene Kindheit in vielen Fällen ja noch gar nicht so lange zurückliegt, ein bisschen überrascht, dass Nähe gar nicht weh tut, sondern sogar Spaß macht. Natürlich war die Veranstaltung perfekt vorbereitet. Als die Spieler vom Feld kamen, wurden ihnen von den zehn bis zwölf Betreuern fette Filzstifte zum Autogrammeschreiben gereicht. Die neue Fannähe folgte gewissermaßen einem Masterplan.

Löw und der DFB wirken sehr bemüht

Es ist Löw, den Spielern und dem DFB anzumerken, dass sie gerade alle sehr bemüht sind, alles richtig zu machen. Es geht darum, glaubhaft den Eindruck zu erwecken, dass vieles neu und anders ist bei der Nationalmannschaft, die in Wirklichkeit personell immer noch die alte Nationalmannschaft ist. „Einen großen Umbruch hat es ja nicht gegeben“, sagt Frank Wormuth, der frühere Trainerausbilder des DFB. Für die interne Führung des Teams setzt Löw weitgehend auf dieselben Spieler wie in Russland. „Es ist wahnsinnig wichtig, dass wir eine gute Achse haben, an der sich junge Spieler orientieren können“, sagt er.

Der Bundestrainer wirkt ebenfalls nicht besonders verändert. Beim öffentlichen Training daddelte er wie gewohnt ein bisschen mit den Bällen herum, er winkte kurz ins Publikum und gab während der Einheit den stillen Beobachter. „Im Hotel ist es ganz normal wie vorher auch, wenn man sich mal über den Weg läuft“, berichtete Nationalspieler Jonas Hector über seine Eindrücke vom Bundestrainer. Der Verteidiger vom 1. FC Köln ist gerade zum ersten Mal seit der Weltmeisterschaft wieder bei der Nationalmannschaft. „Es ist eigentlich alles sehr entspannt“, sagte er.

Ist es das wirklich? In den nächsten Tagen stehen zwei Spiele in der Nations League an, die wohl den Ton der nächsten Wochen vorgeben werden: am Samstag in Amsterdam gegen Holland, am Dienstag in St. Denis gegen Weltmeister Frankreich. Im schlimmsten Fall droht der Abstieg aus der Ersten Liga. „Natürlich streben wir an, beide Spiele zu gewinnen“, sagt Toni Kroos. „Wir sind ja jetzt auch keine Gurkentruppe.“

Kroos verteidigt den Bundestrainer

Kroos, einer der Führungsspieler, hat den Bundestrainer auch gegen die Aussagen des früheren Kapitäns Michael Ballack verteidigt, der in einem Interview mit der Deutschen Welle sein Unverständnis darüber kundgetan hat, dass Löw immer noch im Amt ist. „Irgendwann muss man sich doch eingestehen, dass die Dinge nicht mehr funktionieren, wenn jemand so lange mit einer Mannschaft zusammenarbeitet wie er“, hat Ballack gesagt.

Kroos, Nationalspieler seit 2010 und zuletzt mit seinem Klub Real Madrid dreimal hintereinander Champions-League- Sieger, kontert: „Das ist eine Wortmeldung mehr.“ Dann erzählt er von der WM und der kritischen Phase nach der Auftaktniederlage gegen Mexiko. Löw habe Ansprachen gehalten, „so gut waren die noch nie“. Neue Reize könnten auch vom alten Trainer kommen, „wenn er sich hinterfragt. Und das hat er getan“, sagt Kroos. „Ich bin überzeugt, dass wir auch jetzt wieder die Kurve kriegen.“

Das frühe Aus bei der WM hat den DFB ordentlich durchgeschüttelt und auch seinem Präsidenten Reinhard Grindel einen unruhigen Sommer beschert. Neulich in Nyon hat er mal wieder einen guten Tag erlebt, als Deutschland von der Uefa den Zuschlag für die EM 2024 erhielt. Grindel stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. „Ich spüre die Verantwortung, die mit dieser Vergabe verbunden ist“, sagte er. Zwei Tage später, bei einem Besuch im Aktuellen Sportstudio, kündigte er an, 2019 erneut für das Präsidentenamt beim DFB kandidieren zu wollen.

Ein Debakel, wie es die Nationalmannschaft in Russland erlebt hat, ist dazu geeignet, alles und jeden hinwegzuspülen. Beim DFB aber gibt es drei Monate später keine erkennbaren Folgen. Der Bundestrainer, seit 14 Jahren in Diensten des Verbandes, die Über-30-Jährigen in der Mannschaft, die Verbandsführung – sie alle sind weiterhin in Amt und Würden. Aber noch immer ist die Lage für alle Beteiligten prekär. Grindel wird ein eigenwilliger Führungsstil, Machtbesessenheit und Eitelkeit vorgeworfen. Und auch an der Basis grummelt es. In den Bundesligastadien hat sich vor der EM-Vergabe deutlich vernehmbarer Unmut geregt.

Die Holländer freuen sich schon

„Die Weltmeisterschaft war eine große Enttäuschung, und dafür gab es Gründe“, hat Michael Ballack gesagt. „Man sollte sie ernsthaft analysieren und nicht sagen ,Wir analysieren das’, während in Wahrheit bereits beschlossen ist, am Trainer festzuhalten.“ Es war vor allem Grindel, der sich ohne Wenn und Aber für Löw eingesetzt und seinen Vertrag schon vor der WM ohne Not verlängert hatte. Bei einem Abstieg in der Nations League aber, so wurde es im Sommer aus dem Verband kolportiert, werde der Bundestrainer nicht mehr zu halten sein.

Löw und die Mannschaft haben es selbst in der Hand, diesen Fall zu verhindern. Allerdings sind die Bedingungen nicht ganz einfach. Gegen Holland und Frankreich muss der Bundestrainer auf Marco Reus verzichten, der in seinen Offensivplanungen eine wichtige Rolle eingenommen hätte. Kai Havertz, Antonio Rüdiger, Leon Goretzka und Kevin Trapp mussten ebenfalls verletzungsbedingt passen. Die Bayern – immerhin ein Drittel des Kaders – strotzen nach zuletzt vier Spielen ohne Sieg nicht gerade vor Selbstbewusstsein, und auch Toni Kroos erlebt bei Real Madrid eine eher unerquickliche Phase (mit inzwischen 409 Pflichtspielminuten ohne Tor).

Den alten Schrecken jedenfalls hat die Nationalmannschaft erst einmal verloren. Selbst die Holländer, zuletzt zweimal hintereinander in der Qualifikation zu großen Turnieren gescheitert, rechnen sich etwas aus. Die „Volkskrant“ aus Amsterdam hat am Wochenende geschrieben: „Lass sie mal kommen, die Deutschen.“

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