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Der Antreiber. Jean-Paul Boetius (rechts) hat den Anspruch, Führungsspieler bei Hertha BSC zu sein.

© IMAGO/Contrast

Darum ist Jean-Paul Boetius so wichtig für Hertha BSC: Er ist der, der immer lacht

Mit seiner Art nimmt Jean-Paul Boetius bei Hertha BSC eine Schlüsselrolle ein. Fürs neue Jahr hat er sich mit der Mannschaft einiges vorgenommen.

Kurz vor der Fußball-Weltmeisterschaft hat Jean-Paul Boetius einen Anruf von Louis van Gaal bekommen. Das Gespräch mit dem Bondscoach der niederländischen Nationalmannschaft war kein besonders angenehmes für ihn. Denn van Gaal teilte Boetius mit, dass er ihn leider doch nicht für die WM nominieren werde.

Etwas mehr als achteinhalb Jahre ist das jetzt her.

Boetius war gerade 20 geworden, hatte zwei Monate zuvor sein Debüt für die Elftal gefeiert und auch den ersten Teil der Vorbereitung für das Turnier in Brasilien mitgemacht. „Die Hoffnung war sehr groß, weil ich damals wirklich gut in Form war“, erzählt der Mittelfeldspieler von Hertha BSC auf der Terrasse des Mannschaftshotels in Bradenton in Florida.

Boetius ist damals den taktischen Überlegungen van Gaals zum Opfer gefallen. Statt seine Mannschaft wie üblich im heiligen holländischen 4-3-3 spielen zu lassen, entschied sich der Bondscoach kurz vor der WM 2014 für ein 5-3-2-System. Folglich benötigte er einen Verteidiger mehr und einen Offensivspieler weniger. Und folglich wurde Jean-Paul Boetius, damals noch klassischer Linksaußen, als letzter Spieler kurz vor dem Turnier aus dem vorläufigen Aufgebot gestrichen.

Ich glaube, es gibt keine Bilder von ihm, auf denen er nicht strahlt.

Herthas Trainer Sandro Schwarz über Jean-Paul Boetius

„Leider war ich nicht dabei“, sagt Boetius, „und leider war es auch das letzte Mal, dass ich bei der Nationalmannschaft war.“ Die Hoffnung, dass er noch einmal ins Nationalteam zurückkehrt, hat er allerdings auch im fortgeschrittenen Fußballeralter von bald 29 Jahren noch nicht aufgegeben. „Mein Traum lebt“, sagt er.

Wenn Jean-Paul Boetius über diese frustrierende Erfahrung spricht, klingt er alles andere als frustriert. Dass er 2014 überhaupt so weit gekommen ist, dass er mit Spielern wie Wesley Sneijder, Robin van Persie und Arjen Robben trainieren durfte, mit Jungs, „die du normalerweise nur im Fernsehen spielen siehst“, schon das hat er als Belohnung empfunden.

„Mein Fußballpapa.“ Zu seinem Trainer Sandro Schwarz (rechts) hat Boetius ein ganz besonderes Verhältnis.
„Mein Fußballpapa.“ Zu seinem Trainer Sandro Schwarz (rechts) hat Boetius ein ganz besonderes Verhältnis.

© IMAGO/Nordphoto

So tickt er eben. Jean-Paul Boetius nimmt auch die schweren Dinge leicht. Oder wie es Sandro Schwarz, der Trainer von Hertha BSC, einmal ausgedrückt hat: „Ich glaube, es gibt keine Bilder, auf denen er nicht strahlt.“ Boetius ist der, der immer lacht. „Ich habe mein Lachen nie verloren, nie“, hat er vor gut einem Monat im Interview mit dem „Kicker“ gesagt.

Dabei hätte er dazu im vergangenen Jahr allen Grund gehabt. Sportlich, aber vor allem gesundheitlich. Ende September erhielt Boetius die Diagnose, dass er an Hodenkrebs erkrankt war, wie zuvor schon sein Kollege Marco Richter. Der Krebs stellte sich als bösartig heraus, konnte allerdings operativ entfernt werden. Eine Chemotherapie blieb Boetius erspart.

Einen Monat nach der Krebsdiagnose war er zurück auf dem Platz

Auch über diese Erfahrung spricht er inzwischen mit erstaunlicher Gelassenheit. „Das waren für mich vielleicht zwei besondere Tage, aber dann war es auch schon wieder gut“, erzählt Boetius in einer Medienrunde während Herthas Trainingslager in den USA.

Nur einen Monat nach der Diagnose stand er schon wieder auf dem Feld. „Ich bin jemand, der nicht in der Vergangenheit hängen bleibt. So war ich schon immer“, sagt er. „Wir können über so viele Dinge meckern, aber es gibt immer Menschen, denen es viel schlechter geht.“

Schon im Sommer hätte Boetius mit seiner Situation hadern können. Sein Vertrag bei Mainz 05 war ausgelaufen, erstmals in seiner Karriere konnte er ablösefrei wechseln – und auf den großen Reibach hoffen. Es kam anders.

Wir können über so viele Dinge meckern, aber es gibt immer Menschen, denen es viel schlechter geht.

Jean-Paul Boetius

„Es war nicht so einfach, wie man denkt“, berichtet Boetius. „Dass alle Vereine angelaufen kommen, das war nicht der Fall.“ Nach langem Warten landete er schließlich kurz nach Saisonbeginn bei Hertha in Berlin. „Bis jetzt war das die richtige Entscheidung“, sagt er.

Das liegt auch an Sandro Schwarz, der schon in Mainz sein Trainer war und von dem Boetius sagt, dass er „mein Fußballpapa“ sei. In Schwarz‘ Überlegungen nimmt der Holländer eine Schlüsselrolle ein – weil er im zentralen Mittelfeld auf allen Positionen einsetzbar ist, weil er lauffreudig ist, aggressiv gegen den Ball arbeitet, zudem fußballerisch gut ist. Und weil er in der Mannschaft durch seine Art eine wichtige integrative Rolle einnimmt.

Obwohl Boetius erst seit ein paar Monaten bei Hertha unter Vertrag steht, versteht er sich längst als Führungsspieler, der den Anspruch hat, die Mannschaft auch auf dem Feld zu coachen. „Das geht nicht nur mit Lachen, da muss man sich auch mal anschreien, damit alle wieder wach sind“, sagt er. „Das fehlt manchmal. Deswegen versuche ich, das zu übernehmen.“

Tatsächlich hat Hertha vor der Winterpause manches Mal zu blauäugig gewirkt, zu leichtfertig – und damit eine bessere Positionierung in der Tabelle verspielt. „Wir stehen nicht dort, wo wir hingehören“, sagt Boetius. Damit sich das ändert, müsse das Team zielstrebiger sein. Das gilt auch für ihn selbst. Nach elf Einsätzen für Hertha ist Jean-Paul Boetius immer noch ohne Torbeteiligung. „Natürlich will ich Tore schießen, aber dafür muss ich frei sein im Kopf“, sagt er. „Das bin ich.“

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