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Zu schnell selbst für den Handshake. Messi stellte Lewandowski klar in den Schatten.

© AFP/ANTONIN THUILLIER

Messi gegen Lewandowski: Kein Duell auf Augenhöhe

Argentinien schlägt Polen verdient mit 2:0. Obwohl Lionel Messi dabei einen Elfmeter verschießt, ist er im Duell mit Robert Lewandowski der klar Bessere.

Wojciech Szczesny hätte als einer der ganz großen Spielverderber in die Geschichte eingehen können. Als Polens Keeper in der 39. Minute den Foulelfmeter von Lionel Messi pariert, scheint das schlechte Karma wieder da, das den argentinischen Genius schon im WM-Auftaktspiel gegen Saudi-Arabien umspielte. Ist es wirklich möglich, dass der Reflex eines polnischen Schlussmanns den Anfang vom Ende der glorreichen WM-Laufbahn des Ausnahmespielers markiert?

Vorausgegangen ist ein höchst zweifelhaftes Foul, bei dem Messi zum Kopfball hochsteigt und der in Rückenlage befindliche Szczesny ihn nach Ablenken des Balles im Gesicht berührt. Der Argentinier geht theatralisch zu Boden, bleibt liegen und krümmt sich, sodass der niederländische Referee Danny Makkelie nach dem Rechten schaut und anschließend den VAR zu Rate zieht.

Hätte Messi den anschließenden Strafstoß verwandelt, Millionen Fans und Experten hätten sich die Köpfe heiß geredet, ob diese 50:50-Entscheidung so gefällt worden wäre, wäre der Geschädigte ein weniger berühmter Kicker gewesen. Nach dem Fehlschuss aber schwant der „Albiceleste“ und ihren Anhängern im Stadion 974 für Augenblicke, die fünfte und letzte WM-Teilnahme des Superstars könnte noch an diesem Abend ihr vorzeitiges Ende finden. 

Messi verschießt diesen Elfmeter, was im Nachhinein sogar besser war für ihn und Argentinien.
Messi verschießt diesen Elfmeter, was im Nachhinein sogar besser war für ihn und Argentinien.

© IMAGO/Javier Garcia/Shutterstock

Die Ausgangslage ist klar: Argentinien braucht einen Sieg, um sicher ins Achtelfinale einzuziehen, Polen reicht ein Unentschieden. Und so entscheidet das Ergebnis in dieser lauen Nacht von Doha vielleicht auch darüber, welcher der beiden Fußballgiganten sich heute für immer von der Weltbühne verabschiedet: der sechsmalige Weltfußballer oder den zweimalige? Der Leidenschaftliche oder der Perfektionist? Der Floh oder der Eismann? Kurz: Messi oder Lewandowski? 

Vor Anpfiff hatte der Argentinier verkündet, die WM-Auftaktniederlage gegen Saudi-Arabien habe lange nachgewirkt in seinem Team. Um sich mental zu erholen, konsultierte Keeper Emiliano Martinez unter der Woche einen Psychologen. Und dass Argentinien den Glauben in die eigene Stärke noch nicht ganz wiedergefunden hat, zeigt sich auch in den ersten Minuten dieses Spiels.

Argentiniens Defensive lässt Robert Lewandowski nicht aus den Augen

Coach Lionel Scaloni hat die Mannschaft nach dem 2:0-Sieg gegen Mexiko auf vier Positionen umgebaut. Der angeschlagene Cristian Romero kehrt neben dem giftigen Nicolas Otamendi in die Innenverteidigung zurück, damit die beiden Türsteher gemeinsam Lewandowski in die Zange nehmen. Zeitweise wird der polnische Kapitän von der gegnerischen Defensive nicht nur gedoppelt, sondern sogar gedreifacht. Bei jedem Zuspiel fahren dem 34-Jährigen gleich mehrere Beine in die Parade, was dazu führt, dass Lewandowski zunehmend resignierter wirkt.  

Wer jedoch erwartet hat, dass auch Lionel Messi nach seinem verschossenen Elfmeter in Agonie verfällt, hat sich vertan. Angestachelt von leidenschaftlichen „Messi, Messi“-Rufen, die nach seinem Scheitern an Szczesny minutenlang ringsrum von den Rängen schallen, setzt der 35-Jährige nach Wiederanpfiff zu einer funkensprühenden Fußball-Gala an, wie in nur sehr wenigen seiner bisherigen 22 WM-Spiele. 

Obwohl er selbst Pech bei seinen zahlreichen Torschüssen und Tempodribblings hat, spielt er wie zu seinen besten Zeiten geistesgegenwärtig Zuckerpässe aus dem Fußgelenk. Wie sein großer Vordenker Diego Maradona bei der sagenumwobenen WM 1986 ist Messi nie vom Ball zu trennen und erkennt selbst in den belanglosesten Situationen die Möglichkeiten, spielt tief in Räume hinein, die eine Hundertstel zuvor noch gar nicht da zu sein schienen und nutzt jeden toten Winkel der überforderten Gegner mit großer Anmut und Würde aus.

Polens Trainer Czeslaw Michniwicz scheint das Unheil schon zu ahnen, so wie er pausenlos in Hochwasserhosen und braunen Lederschuhen zur goldenen Krawatte durch die Coachingzone tigert. Seine Elf scheint mit den Gedanken noch beim Pausentee zu sein, da erzielt Alexis Mac Allister nach Zuspiel von Nahuel Molina aus zehn Metern mit einem leicht verunglückten Linksschuss das 1:0.

Am Ende geht der Blick nur noch zum Parallelspiel Mexiko - Saudi-Arabien

Danach ist Polen erkennbar offen. Im Parallelspiel ist Mexiko mit zwei Toren in Führung gegangen, für die Osteuropäer wird die Situation immer bedrohlicher. Eine Torchance kreiert das Team um den komplett abgemeldeten Lewandowski trotzdem nicht. In der 68. Minute gelingt Julian Alvarez mit einem trockenen Schuss in den Winkel das 2:0 und damit die Entscheidung.

Nach Alvarez’ Traumtor schaltet der argentinische Anhang, der den Großteil der 44.000 Zuschauer ausmacht, postwendend in den Partymodus. Für Polen geht es ab diesem Zeitpunkt nur noch darum, kein weiteres Tor zu fangen. Als in der fünften Minute der Nachspielzeit der Saudi-Arabier Salem Al-Dawsari den 1:2-Anschlusstreffer gegen Mexiko erzielt, gibt es Jubel bei den Polen. Weil Mexiko nicht mehr antworten kann, zieht die polnische Mannschaft dank des besseren Torverhältnisses ins Achtelfinale ein und trifft dort auf Frankreich.

Den Kampf der Giganten an diesem Abend jedoch entscheidet Lionel Messi mit deutlichem Abstand für sich. Polens Coach hatte im Vorfeld der Party die Zuspitzung des Spiels auf das Duell der beiden Weltfußballer mit den Worten heruntergespielt: „Es ist nicht Eins-gegen-Eins“, so Michniewicz, „das ist kein Tennis.“

Und er soll Recht behalten! Über weite Strecke ist es vielmehr, das Spiel Eins-gegen-Elf. Weil das polnische Team und Kapitän Robert Lewandowski dem einzigartigen Lionel Messi in vielen Aktionen nur staunend zuschauen kann.

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