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Lionel Messi war schwer am Verzweifeln.

© AFP

Argentinien unterliegt Saudi-Arabien: Lionel Messi und der Fluch des Begnadeten

Seine letzte WM soll für Lionel Messi zum Schaulaufen werden. Doch beim Auftaktspiel agiert der Superstar so glücklos wie bei vielen seiner Turnierauftritte.  

Die argentinischen Kollegen haben die Erklärung schnell parat. „Der ist verletzt“, sagt ein Reporter im Medien-Shuttle, „irgendwas stimmt mit seinem Knöchel nicht.“ Verifiziert ist das nicht, Messi selbst hat sich dazu nicht geäußert, aber etwas muss ja der Grund sein, an ihm liegt es bestimmt nicht.

Auch mit 35 Jahren lassen die Medien in seiner Heimat nichts auf Lionel Messi kommen. Daran kann auch keine 1:2-Auftaktniederlage gegen Außenseiter Saudi-Arabien etwas ändern.

Obwohl Offensivspieler in seinem Alter gewöhnlich schon in die Fußball-Geriatrie durchgereicht werden, ist „La Pulga“ (dt. der Floh) nach wie vor, da sind sich hier alle einig, noch immer der Schlüsselspieler des argentinischen Spiels. Fehlt ihm wegen einer Blessur die Durchschlagskraft, leidet das Selbstbewusstsein der ganzen Mannschaft. Und genau diese Kettenreaktion ist im Lusail Stadion ab der zweiten Hälfte zu beobachten.    

Dabei hat die fünfte WM für den Ausnahmespieler so gut begonnen. Schon als er zum Aufwärmen aus den Katakomben tritt, ertönen hysterische Schreie von den Rängen. Auch der zahlenmäßig leicht überlegene Anhang der Saudis hält sich nicht zurück. Messi ist wie sein Vordenker Diego Maradona eben überall auf der Welt ein Heiliger.

Ein Spieler, der stets vollendete Hingabe, Liebe zum Spiel und unlimitierte Inspiration verkörpert hat. Eine der großen sportlichen Fragen, die sich mit dem Turnier in Katar verbindet, ist deshalb, ob es ihm gelingen wird, beim letzten Auftritt auf der Weltbühne doch noch den Cup zu gewinnen. Und es gibt wohl keinen Fan weltweit, der ihm diese Ehre nicht von Herzen gönnen würde.

Kein südamerikanischer Spieler hat mehr WMs gespielt als er. In 20 Turnierspielen erzielte er sechs Treffer. Doch, auch das räumen die argentinischen Kollegen leicht zerknirscht ein, er traf wie Cristiano Ronaldo nie in einem K.O.-Spiel, stets nur in der Gruppenphase.

Nach Anpfiff dauert es keine zehn Minuten, bis er seine Torbilanz verbessert. Nachdem Leandro Paredes im Strafraum umgerissen worden ist, trifft er vom Elfmeterpunkt. Ein Tor, das auch bei seinen Mitspielern Kräfte freisetzt, denn Argentinien nimmt die Saudis nun in den Schwitzkasten. Messi garniert das Schaulaufen mit etlichen Pässen in die Tiefe, die dazu führen, dass Argentinien bis zum Halbzeitpfiff drei weitere Tore erzielt – eins steuert er selbst bei – die jedoch alle wegen einer Abseitsstellung aberkannt werden.

Nach Spielende wird der Begnadete sagen, er sei nach den ersten 45 Minuten davon ausgegangen, dass seinem Team noch weitere Treffer gelingen. Zumal Saudi Arabien vor dem Pausenpfiff den Ausfall seines Kapitäns Salman al Farasch zu beklagen hat.

Doch irgendwie hat Keeper Mohammed Al-Owais nicht mitbekommen, dass das Spiel als Eröffnung der Messi-Festspiele gedacht ist. Der Schlussmann wächst in der zweiten Hälfte über sich hinaus und wird zur Galionsfigur des saudischen Widerstands. Innenverteidiger Cristian Romero muss verletzt raus, sein Nebenmann Nicolas Otamendi verbringt viel Zeit damit, seine Gegenspieler zu provozieren und mit Ignoranz zu strafen. Mehrfach streckt ihm sein Gegenüber Ali Al Bulayhi nach einer Kollision fair die Hand entgegen, doch Otamendi hat offenbar keine Lust sich zu vertragen.

Über die Kratzbürstigkeit geht den Argentiniern der Esprit verloren. Bereits die erste echte Chance Saudi-Arabiens versenkt Saleh Al-Sheri, kurz darauf erzielt Salem Al Dawsari beim 2:1 ein Traumtor, das Messi mit hängendem Kopf vom Anstoßkreis verfolgt und offenkundig in Agonie versetzt.

Als würde er ahnen, dass sein Team von nun an bis in die achte Minute der Verlängerung, die dann nochmals um fünf Minuten nach einer schweren Kopfverletzung von Angreifer Yasir Al Sharani ausgedehnt wird, vergeblich auf das gegnerische Tor anrennen wird.

Nichts will ihm mehr gelingen. Die Geistesblitze, die er bei Freistößen so oft hat, verpuffen in der gegnerischen Mauer, seine atemberaubenden Tempodribblings, nicht mehr ganz so rasant wie einst, bleiben in der vielbeinigen Abwehr hängen.

Wiederholt hadert er mit seinen Aktionen, wirkt niedergeschlagen, als würde ihm schwanen, dass der WM-Fluch, der ihn bei fünf Teilnahmen nur einmal bis ins Endspiel führte, ansonsten aber spätestens im Viertelfinale endete, sich fortsetzt. Der Partycrasher heißt Al-Owais, er hält an diesem Tag mindestens zwei Unhaltbare und verstrahlt den Glanz, der gewöhnlich dem kleinen, und doch überlebensgroßen Argentinier vorbehalten ist.

Der hatte vor Anpfiff gesagt, ein Sieg im Auftaktspiel sei „fundamental“ für den weiteren Turnierverlauf. Im nächsten Gruppenmatch gegen Mexiko geht es für die Argentinier nun schon um alles. Für das Team ums Weiterkommen bei der WM. Für Lionel Messi jedoch um nicht weniger als die monumentale Frage, ob er am Ende doch als größter Unvollendeter in die Fußballgeschichte eingehen wird. 

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