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Paralympisches Urgestein. Die Mannschaft von Israel bei der Eröffnungsfeier.

© imago images/AFLOSPORT

Ein Land mit besonderen Paralympics-Beziehungen: „Kriegsveteranen spielen eine große Rolle für die Entwicklung des Parasports in Israel“

Der israelische Ex-Parathlet Boaz Kramer über den Gründer der Paralympics, seinen Einfluss auf das Land und Anerkennung im Sport.

Israel belegt aktuell den 39. Platz des Medaillenspiegels der Paralympics in Tokio: Nicht gerade eine führende paralympische Nation – oder? Im Gegenteil: Das kleine Land im Nahen Osten ist aus der Geschichte der Paralympics nicht wegzudenken.

Gründer der Paralympischen Spiele und ihren Vorläufern, den Stoke Mandeville Games, war der deutsche jüdische Neurologe Sir Ludwig Guttmann, der Zeit seines Lebens eine enge Beziehung zu dem jüdischen Land pflegte. 1968 war es Guttmann, der die Paralympischen Spiele nach Israel holte: Nach Rom 1960 und Tokio 1964 war Israel die dritte Nation, die die Spiele ausrichtete.

Als eines der 15 Länder, die an den ersten Paralympics teilnahmen und auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten einen starken Fokus auf Para-Sport legten, kommt diesem in Israel bis heute eine wichtige Rolle zu. Der damalige Austragungsort in der Stadt Ramat Gan nahe Tel-Aviv war das „Israeli Sports Center for the Disabled“ (ISCD). Das Center war 1960 auf die Initiative von Guttmann errichtet worden, seine Tochter sitzt im Vorstand. Es ist auch heute noch die zentrale Einrichtung Israels, die erfolgreiche Paralympics-Athlet:innen hervorbringt.

So wie Boaz Kramer, Leiter der Einrichtung und ehemaliger Paralympics-Athlet, der im Rollstuhltennis 2008 in Peking Silber holte. Seit seiner Kindheit trainiert der 43-Jährige im ISCD und koordiniert das Training nun selbst mit. Ein Interview.

 Boas Kramer leitet das „Israeli Sports Center for the Disabled“.
Boas Kramer leitet das „Israeli Sports Center for the Disabled“.

© Promo

Herr Kramer, wie erklären Sie sich, dass ausgerechnet eine so kleine Nation wie Israel schon so früh führend im Para-Sport war?

Boaz Kramer: Es ist genau die geringe Größe des Landes, die ein Vorteil ist: Eine zentral gelegene Einrichtung wie unser Sportzentrum kann fast aus dem ganzen Land gut erreicht werden. Wenn man also ein Kind von fünf oder sechs Jahren ist und eine Behinderung hat, hat man mit großer Sicherheit Zugang zu einem passenden Sportprogramm. Deshalb habe auch ich schon als Kind mit dem Sport begonnen. Zudem hat es auch mit der besonderen Aufmerksamkeit zu tun, die Para-Sport durch die Kriegsveteranen in Israel genießt. Und nicht zuletzt mit der Geschichte: Die Freiwilligen, die das Center 1960 gründeten, waren Pioniere auf ihrem Feld.

Welchen Einfluss hatte es auf Israels Verhältnis zum Para-Sport, dass Sir Ludwig Guttmann selbst jüdisch war?

Es hatte direkte Auswirkungen, da er bei seinem Besuch in Israel den Samen für dieses Sportzentrum pflanzte. Seine Philosophie, dass Sport ein wichtiges Werkzeug zur Rehabilitation ist und dass nicht nur kompetitiver Leistungssport, sondern auch Freizeitsport ein Motor für Inklusion ist, prägt Israel stark. Es war natürlich kein Zufall, dass er als Jude Israel besuchte: Während der Zeit des Nationalsozialismus musste er nach England emigrieren und fühlte sich wohl auch deshalb mit dem von Juden gegründeten Staat Israel sehr verbunden.

Israel ist die einzige Nation, die Paralympische, aber nicht Olympische Spiele ausgetragen hat. Warum ist das so?

Als die Paralympischen Spiele 1968 in Israel ausgetragen wurden, waren sie um einiges kleiner: Damals nahmen 29 Länder und 750 Athleten teil. Israels begrenzte Kapazitäten reichten für die Paralympischen Spiele aus, im Gegensatz zu den Olympischen, die schon damals um ein Vielfaches größer waren. Auch für die diesjährigen Paralympics hätte Israel heute keinen Platz mehr. Der Grund sind aber nicht nur die Kapazitäten: Wegen Israels ganz besonderer Beziehung zu den Paralympics ergab es 1968 einfach Sinn.

Welche Rolle spielen Terroranschläge und Kriegsverletzungen für die Rolle des Para-Sports in Israel?

Leider gehören Krieg und Terrorismus zu unserem Leben hier dazu, und nicht selten tragen Betroffene schwere Verletzungen mit anschließenden Behinderungen davon. Kriegsveteranen und Terrorverletzte spielen eine große Rolle für die Entwicklung des Parasports in Israel. Nicht nur für die Entwicklung des Sports, sondern auch für seine Anerkennung. Zahlenmäßig sind sie aber nicht die Hauptquelle für den Para-Sport. Die meisten Para-Athletinnen und -Athleten in Israel haben angeborene Behinderungen. Aber Para-Sportler, die auch Kriegsveteranen oder Terroropfer sind, erregen einfach mehr öffentliche Aufmerksamkeit.

Katharina Kunert

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