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Moritz van Dülmen, Kai Wegner, Iris Spranger und Kevin-Prince Boateng (v.l.n.r.) präsentieren die Pläne für die Fanmeile.

© DAVIDS/Tom Maelsa

Ein Jahr vor der Heim-EM: „Es muss viel passieren, damit Deutschland ein Hochkaräter ist“

Der Regierende Bürgermeister rechnet damit, dass die Nationalmannschaft um den Titel mitspielt. Kevin-Prince Boateng reagiert zurückhaltender.

Der Regierende Bürgermeister von Berlin ist überzeugt: Deutschland wird es ins Finale der Heim-Europameisterschaft schaffen. „Als begeisterter Fußballfan erinnere ich mich noch an die Weltmeisterschaft 2006, als die Vorbereitung der Nationalmannschaft auch sehr schlecht war“, sagte Kai Wegner am Montagvormittag im Roten Rathaus, ein Jahr vor Auftakt des Turniers.

„Keiner hat 2006 etwas auf das Team gegeben. Und am Ende war es eine ausgezeichnete WM.“ Trotz der jüngsten Niederlagen und der wachsenden Zweifel an Bundestrainer Hansi Flick bleibt Wegner daher optimistisch: „Die deutsche Nationalmannschaft wird im Endspiel in Berlin stehen.“

Kevin-Prince Boateng, der nur zwei Plätze neben Wegner saß und Botschafter bei der EM sein wird, reagierte auf diese Ankündigung eher irritiert. „Sie ist nicht die Nationalmannschaft, die wir kennen“, antwortete der Fußball-Profi und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er nach den Chancen des deutschen Teams gefragt wurde. „Das sieht man auch an den Fans, die ins Stadion kommen. Da sind wenige Leute, die es interessiert. Es muss viel passieren, damit Deutschland nächstes Jahr ein Hochkaräter ist und die Gegner Angst haben.“ Boateng spielte zuletzt für Hertha BSC und lief vier Jahre für die ghanaische Nationalmannschaft auf. Die Fortsetzung seiner Karriere ließ er am Montag offen.

Das Finale wird im Olympiastadion ausgetragen, ebenso wie das Eröffnungsspiel am 15. Juni und vier weitere Spiele. Berlin ist Hauptaustragungsort bei dem Turnier, das vom 14. Juni bis 14. Juli in zehn deutschen Städten stattfindet. Die Organisator*innen erwarten 2,5 Millionen Menschen. Dabei kommen Kosten in Höhe von 61 Millionen Euro auf die Stadt zu. Allein 36,2 Millionen Euro werden für Events wie die Fanzone am Brandenburger Tor verwendet.

Die Stadt sei für einen großen sportlichen Erfolg bestens geeignet, ist Wegner überzeugt, denn: „Jedes Wochenende ist hochgradig sportlich in Berlin.“ Erst am Sonntagabend kürten sich die deutschen Handballer der U21 zum Weltmeister. Daran könnte sich die Fußball-Nationalmannschaft ein Beispiel nehmen, so Wegner. „Die U21 hat gezeigt, wie es geht. Mit Teamgeist und unbedingtem Willen.“

Erste Fußball-EM in Berlin

Nun war bei der U21 nicht allein der Teamgeist entscheidend. Auch der breite Kader, das überragende Torhüter-Duo und die kompakte Abwehrreihe dürften keine ganz unwichtige Rolle gespielt haben. Gute Stimmung allein reicht für einen internationalen Titel nicht aus, zumal diese sich bei den Fußballern ebenfalls in Grenzen halten dürfte.

Es muss viel passieren, damit Deutschland nächstes Jahr ein Hochkaräter ist und die Gegner Angst haben.

Fußballprofi Kevin-Prince Boateng über die deutschen EM-Aussichten.

Es ist das erste Mal, dass eine Fußball-EM in Berlin stattfindet. 1988 wurde das Turnier zwar an die Bundesrepublik vergeben, die Spiele wurden allerdings nicht in Berlin ausgerichtet. Wegner schwelgte ein Jahr vor dem Start bereits in Erinnerungen an die WM 2006. „Ich erinnere mich noch genau, wie die Stimmung überschwappte in die Stadt. Das erwarten wir auch bei der Europameisterschaft.“

Dafür haben sich die Organisator*innen einiges einfallen lassen: Das Brandenburger Tor soll in ein gigantisches Fußballtor verwandelt und die Straße des 17. Juni mit Kunstrasen ausgelegt werden. Auf der Fanmeile sollen während des Turniers nicht nur die Spiele übertragen werden, sondern an den spielfreien Tagen sind weitere Programmpunkte und Konzerte vorgesehen. Sportsenatorin Iris Spranger (CDU) möchte den Fokus auf „Ökologie und das soziale Miteinander“ legen. In diesem Zusammenhang sind unter anderem kleinere Turniere in den Kiezen geplant. Auch die Fahrradständer am Olympiastadion sollen ausgebaut werden.

Nationalistische Tendenzen haben nach 2006 zugenommen

Moritz van Dülmen, Geschäftsführer der Kulturprojekte Berlin, erwartet, dass Berlin in diesen Wochen zur „Fankneipe der Republik“ wird. „Die ganze Welt schaut nach Berlin.“ Als 2006 zumindest Große Teile der Fußballwelt auf Deutschland schaute, waren darunter auch kritische Stimmen. Nicht alle feierten das Turnier als „Sommer-Märchen“, sondern äußerten etwa Kritik an dem wachsenden Patriotismus.

An den Autos flatterten plötzlich vermehrt Deutschland-Flaggen und Fans gehüllt in schwarz-rot-goldenen Tüchern sangen die Nationalhymne. Wissenschaftler wie Wilhelm Heitmeyer wiesen später nach, dass nationalistische Tendenzen in Deutschland nach der Weltmeisterschaft zugenommen hatten.

Der Politikwissenschaftler Clemens Heni stellte kürzlich einem Interview mit der „Sportschau“ zudem die These auf, dass die AfD ohne die WM 2006 nicht so stark geworden wäre und bezeichnete Nationalismus und Fußball als „eine toxische Mischung in Deutschland“. Denn es werde missachtet, dass mehr als 20 Prozent der Einwohner*innen keinen deutschen Pass oder einen Migrationshintergrund hätten, so Heni.

Neben sportlichen, ökologischen und finanziellen Fragen werden die Organisator*innen auch an diesem Thema nicht vorbeikommen. Ein Jahr bleibt noch Zeit, um den Blick auf diese politischen Belange zu lenken.

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