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Hugo Meisl als Aufsteller im Austria-Museum von Wien

© imago images/viennaslide

Von Dr. Gerö Cup bis Mitropapokal: Die vielen Vorgänger der Europameisterschaft

Was wir heute als Europameisterschaft kennen, hat mehrere Vorläufer. Der bekannteste davon geht auf einen Tausendsassa des Fußballs zurück und trug viele Namen.

Als im Juni 1958 die ersten Spiele der heutigen EM ausgelost wurden, reagierten weite Teile des Kontinents mit Desinteresse. Die Briten waren ebenso wenig dabei wie die Skandinavier, die Italiener und natürlich die Mannschaft von Bundestrainer Sepp Herberger, der das neue Turnier angeblich als „reine Zeitverschwendung“ bezeichnete. Die DFB-Elf befand sich gerade bei der WM in Schweden, und die Zeitungen berichteten, dass es einem Postboten aus Wuppertal innerhalb von nur acht Tagen gelungen sei, der Mannschaft mit dem Fahrrad nachzureisen, dass „Kleingolf“ zum Lieblingsspiel der Kicker geworden sei und dass der Bundestrainer zur Inspiration seiner Fußballer den „Zielwurf mit Steinen“ erfunden hätte. Kaum ein Wort zum Wettbewerb der Uefa.

Dass es die EM anfangs so schwer hatte, erstaunt, denn der Gedanke eines Wettbewerbs der europäischen Nationalteams war nicht neu. Schon Ende der 1920er Jahre gab es fünf internationale Turniere, bei denen Ländermannschaften ihre Kräfte maßen. Dabei stachen zwei heraus. Zum einen die „British Home Championship“, die bereits seit 1884 ausgespielt wurde und bei der Engländer, Schotten, Waliser und Iren (später Nordiren) gegeneinander antraten.

Während dieses Turnier per Definition eine geschlossene Gesellschaft war, stand der andere große Wettbewerb allen europäischen Ländern offen. Doch schon bei seinem Namen fingen die Probleme an. Die deutschsprachige Presse bezeichnete ihn meistens als „Europapokal der Fußball- Nationalmannschaften“, später oft als „Dr.-Gerö- Cup“, nach einem österreichischen Funktionär. In nahezu allen anderen Ländern hieß das Turnier allerdings „International Cup“, also wollen wir diese Bezeichnung im Folgenden verwenden.

Deutschland nimmt nicht teil

Eng verbunden war dieser Pokal mit der Einführung des Profifußballs in Österreich, der Tschechoslowakei, Ungarn und Italien zwischen 1924 und 1926 und der Notwendigkeit, nun auch für entsprechende Einnahmen bei Klubs und Verbänden sorgen zu müssen. So wurde 1927 nicht nur der „Mitropacup“ als Vorläufer der späteren Europapokale für Vereinsmannschaften aus der Taufe gehoben, sondern eben auch der International Cup.

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Initiator beider Konkurrenzen war der österreichische Verbandstrainer Hugo Meisl, dem in Bezug auf die Länderspiele vor allem daran gelegen war, sie durch einen Wettbewerbsgedanken aufzuwerten und für das zahlende Publikum attraktiver zu machen. Um für möglichst viele Spiele an verschiedenen Orten zu sorgen, dachte er deshalb auch nicht an ein zeitlich begrenztes Turnier, sondern an ein Jeder gegen Jeden in Hin- und Rückspielen. Dass man dafür wohl Jahre brauchen würde, nahm Meisl in Kauf.

Allerdings blieb die Resonanz verhalten, da neben den genannten Ländern nur noch die Schweiz zusagte. Für Deutschland kam ein „Ja“ schon deshalb nicht in Frage, weil der DFB 1925 beschlossen hatte, bis auf weiteres nicht mehr gegen Länder anzutreten, die offiziell den Profifußball eingeführt hatten. Aber auch die Skandinavier standen nicht zur Verfügung, denn in Nordeuropa wurde bereits seit 1924 in einem eigenen Turnier der „Skandinavische Meister“ gekürt.

Dass es ausgerechnet die Schweiz war, die auf den Zug des neuen Europapokals aufsprang, war nicht weiter verwunderlich, schließlich waren die Eidgenossen bereits „Europameister“, zumindest war ihnen dieser Titel nach dem Olympischen Fußballturnier 1924 in Paris verliehen worden, als sie als bestes europäisches Team hinter Olympiasieger Uruguay die Silbermedaille gewonnen hatten. Zwar war der Titel nur inoffiziell, aber völlig aus der Luft gegriffen war er auch nicht, denn an dem Turnier hatten sich immerhin 19 europäische Fußballverbände beteiligt.

Vor dem Krieg wurde der International Cup viermal ausgetragen, wobei der letzte Wettbewerb aufgrund der politischen Ereignisse – Österreich war als selbständiger Staat der deutschen Expansion zum Opfer gefallen – nach 17 von 20 Spielen abgebrochen wurde. Hugo Meisl hat dies nicht mehr miterlebt, denn er war bereits im Februar 1937 im Alter von nur 55 Jahren an den Folgen eines Herzinfarktes verstorben. Bis dahin hatte neben seinem „Wunderteam“ nur Italien den Titel gewonnen, zur Premiere 1930 und 1935.

Und auch das Publikum hatte wie gewünscht mitgespielt, denn bisweilen wurden bei den Spielen bis zu 60 000 Zuschauer gezählt. Wie stark der Wettbewerb überdies einzuschätzen war, zeigten die Weltmeisterschaften: Sowohl im Endspiel 1934 (Italien gegen die Tschechoslowakei) als auch vier Jahre später bei der WM in Frankreich (Italien gegen Ungarn) standen ausschließlich bekannte Teilnehmer aus dem International Cup.

Viele kleine Wettbewerbe in ganz Europa

Überhaupt hatten die Nationenwettbewerbe in Europa mittlerweile Konjunktur, denn ab 1928 wurde nun auch im Baltikum ein Titelträger gesucht, und im Jahr darauf folgten die Anrainer des Balkans. 1930 waren es also bereits fast 20 europäische Nationen oder Fußballverbände, die in den unterschiedlichen Turnieren engagiert waren, und im Grunde wäre es nur noch ein kleiner Schritt gewesen, aus den jeweiligen Siegern einen Europameister zu ermitteln. Aber zu einer gemeinsamen Konkurrenz kam es nicht.

Es ist überraschend, dass auch der Krieg und seine Folgen den europäischen Regionalwettbewerben vergleichsweise wenig anhaben konnten. In Europas Norden setzte man die schon 1937 begonnene Runde der Skandinavischen Meisterschaft einfach fort, im Balkan-Cup wurde schon 1946 wieder gespielt – Albanien gewann damals übrigens seinen einzigen internationalen Titel –, und Englands erstes Nachkriegsländerspiel, ein 7:2 über Nordirland, fand im gleichen Jahr wie selbstverständlich im Rahmen der Home Championship statt. Am interessantesten aber war vielleicht die Nachkriegsgeschichte im International Cup, der ab 1948 sogar über die Grenze des geteilten Kontinents hinweg ausgetragen wurde, da Ungarn und die Tschechoslowakei nun jenseits des Eisernen Vorhanges lagen.

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Der Attraktivität des Wettbewerbs tat das wenig Abbruch. So kamen 60 000 Zuschauer im Mai 1948 ins Wiener Praterstadion, um nach zehnjähriger Pause das Auftaktmatch der Österreicher gegen den alten Rivalen Ungarn zu erleben, und sogar das „Sport-Magazin“ widmete der Begegnung seine „Reportage der Woche“. Die Gastgeber siegten 3:2, aber die Ungarn gewannen am Ende den Titel. Gespielt wurde jetzt über einen Zeitraum von fünf Jahren, in dem sich Ungarns „Goldene Elf“ 1952 auch den Olympiasieg holen sollte.

Während man bei der Uefa noch über das Für und Wider einer richtigen Europameisterschaft debattierte, begann 1955 schließlich die sechste und letzte Ausspielung des Cups. Auch die starken Jugoslawen waren nun mit an Bord und somit waren neben Ungarn, Österreich und der Schweiz immerhin vier der acht bestplatzierten Teams der vorausgegangenen Weltmeisterschaft vertreten. Gewinner wurde allerdings die Elf aus der Tschechoslowakei, die nur eines ihrer zehn Spiele verlor und ihre Spielstärke später auch beim Weltturnier in Chile demonstrieren sollte, als sie hinter Brasilien den zweiten Platz belegte.

Als am 6. Januar 1960 in Neapel das letzte von 127 Spielen im International Cup abgepfiffen wurde – Italien schlug die Schweiz mit 3:0 –, hatte die erste EM der Uefa bereits begonnen, und es war die seltsame Situation eingetreten, dass Ungarn, Österreich, die Tschechoslowakei und Jugoslawien zeitgleich in beiden Wettbewerben um die Krone im europäischen Fußball rangen. Aber vielleicht war dies nur ein weiterer Beleg dafür, dass der International Cup „der ernsthafteste, populärste und sportlich gewichtigste Vorläufer der heutigen Europameisterschaft“ war, wie Dietrich Schulze-Marmeling und Hubert Dahlkamp im Standardwerk zur EM-Historie schreiben. Bleibt noch anzumerken, dass es zwei ehemaligen International-Cup-Siegern später auch gelungen ist, den kontinentalen Titel der Uefa zu erringen: Italien 1968 und der Tschechoslowakei 1976.

Christian von Berg

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