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„Ausgiebig genossen.“ Eine derart überzeugende Saison, wie sie Bietigheim in diesem Jahr ablieferte, ist aber auch für Karolina Kudlacz-Gloc (l) und Luisa Schulze neu.

© Pressefoto Baumann/Imago

Die historische Serie der Handballerinnen aus Bietigheim: Die Unglaublichen

Die Handballerinnen der SG BBM Bietigheim sind seit 52 Spielen ungeschlagen. Am Sonntag stehen sie vor einem historischen Triumph im DHB-Pokal.

Die vergangenen Wochen hatten es in sich. Seitdem sich die SG BBM Bietigheim Anfang Mai vorzeitig die Deutsche Meisterschaft sichern konnte, ist der Verein im Feiermodus. Es folgte der furiose Sieg im Europapokal, nach einer letztlich verlustfreien Bundesligasaison.

„Wir haben das schon ausgiebig genossen”, sagt Luisa Schulze, die bei der ersten Festivität prompt einen Sektkorken von einer Mitspielerin ins Auge geschossen bekam. „Danach wurden die Flaschen nur noch offen an mich übergeben und weit von mir weg geöffnet”, sagt die 31-Jährige, die nach einem ähnlichen Vorfall von Radprofi Biniam Girmay knapp zwei Wochen später nicht wenige flachsende Nachrichten erreichten. Aber Schulze nimmt es mit Humor.

Es ist eine Anekdote mehr, die die gebürtige Altenburgerin zu erzählen hat – und dabei steht in ihrer Vita sportlich bereits einiges zu Buche. So konnte die 122-fache Nationalspielerin mit dem HC Leipzig die deutsche Meisterschaft feiern, bei der BBM holte sie den Titel weitere dreimal, den DHB-Pokal hat sie insgesamt dreimal gewonnen.

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Eine derart überzeugende Saison, wie sie Bietigheim in diesem Jahr ablieferte, ist aber auch für Schulze neu. Seit 52 Spielen sind die Frauen wettbewerbs- und saisonübergreifend siegreich. Resultat ihres gleichermaßen überzeugenden wie ansehnlichen Handballs ist der Supercup-Triumph, bei dem der Klub schon zur Spielzeit seine Überlegenheit gegenüber dem Vorjahresmeister BVB Dortmund andeutete, die Meisterschaft und nicht zuletzt der erste internationale Titel der Vereinsgeschichte. „Das ist einfach unbeschreiblich und war alles etwas unreal. Aber das zeigt, wie stark wir in diesem Jahr als Mannschaft zusammengewachsen sind. Das habe ich so in meiner bisherigen Karriere noch nicht erlebt”, sagt Schulze. Für sie, aber ebenso für den deutschen Handball, ist speziell der Erfolg in der European League ein kleiner Meilenstein. Es dauerte 30 Jahre, bis nach dem Triumph des SC Leipzig wieder ein Bundesligist ganz oben auf dem Treppchen stand. Außerdem war es der erste internationale Titel für ein deutsches Team seit dem Gewinn des EHF Challenge Cup durch Buxtehude vor zwölf Jahren.

„Da ist es schade, dass so etwas bei weitem nicht mit einem Europapokalerfolg bei den Fußballern mithalten kann. Aber trotz allem ist es ein wichtiges Zeichen”, sagt Schulze, die sich durch derartige Leistungen eine gesteigerte Aufmerksamkeit und mehr Fernsehzeiten erhofft. Doch bis dahin ist es wahrscheinlich noch ein weiter Weg. Besonders, da selbst der Europapokal der Handball-Männer nur als Stream bei einem Bezahlsender angeboten wird und die Spiele der Frauennationalmannschaft es ebenso wenig ins TV-Programm schaffen.

„Das ist schon traurig, weil wir im Endeffekt ja genauso viel investieren wie andere Sportler. Aber so ist es leider und da müssen wir jetzt weiter dran arbeiten”, sagt Schulze, die indes ihre Laufbahn in der kommenden Saison nicht mehr Bietigheim sondern beim Ligakonkurrenten in Neckarsulm fortsetzen wird. Der Kreisläuferin, die in den vergangenen sechs Jahren eine wichtige Konstante des Bietigheimer Erfolgs wurde, fehlte es an Anerkennung seitens des Vereins, sodass sie sich schweren Herzens anderweitig umschaute und beim Derbyrivalen nun eine neue Herausforderung sucht.

Nur 30 Minuten Autofahrt entfernt bietet sich der neue Arbeitgeber insofern an, da die Familie ihren Lebensmittelpunkt nicht verschieben muss. Der Sommer bleibt dem Urlaub überlassen und vor allem kann Schulze nach der coronabedingt kleinen Hochzeit im vergangenen Jahr endlich die Feier mit ihrer Frau Saskia im Freundeskreis nachholen.

Am Sonntag können die Handballerinnen aus Bietigheim für eine weitere Titelfeier sorgen

Schulze spricht mittlerweile offen über ihre lesbische Beziehung, wenngleich sie anfangs ein paar Hemmungen hatte, ihre sexuelle Orientierung mit der Öffentlichkeit zu teilen. „Da habe ich mir schon Gedanken macht, wie die Reaktionen sein werden. Aber im Ganzen war das Feedback sehr positiv. Es ist schön, dass immer mehr diesen Schritt gehen”, sagt Schulze auch im Hinblick auf die jüngsten Outings im internationalen Fußball. „Es sollte doch total egal sein, was die anderen denken, wenn man selbst glücklich ist”, sagt sie.

Die Sportlerin thematisiert schon seit einiger Zeit die Dinge, die sie ihrer Meinung nach ausmachen. Sei es ihr veganer Lebensstil, den sie seit sechs Jahren führt und somit mit noch immer existierenden Vorurteilen aufräumt, oder ihre Liebe zu Tätowierungen, die sich unverkennbar auf ihrem Körper abzeichnet. Luisa Schulze sticht heraus – letztlich nicht nur durch ihre selbst für Handballverhältnisse herausragende Körpergröße von 1,90 Meter.

Auf dem Feld fällt die Kreisläuferin indes überwiegend durch ihre Emotionalität auf. Jede gelungene Aktion – ob Schulze selbst beteiligt ist oder nicht – wird gefeiert, immer die Mannschaft nach vorne gepusht. Und gelungene Aktionen gab es in Bietigheim zuletzt reichlich, wobei ein Highlight sogar noch bevorsteht. Beim DHB-Pokal Final Four in Stuttgart könnte Schulze mit der BBM als Titelverteidiger den vierten Erfolg der Saison feiern.

Bei dem mit den letzten vier Pokalsiegern hochkaratig besetzten Turniere gewann der Meister im Halbfinale souverän gegen den Thüringer HC am Sonnabend 32:28 (17:12) und wird auch im Finale am Sonntag gegen den VfL Oldenburg (15 Uhr/swr.de, sportschau.de) als klarer Kandidat für die Trophäe gehandelt. Für Luisa Schulze wäre das Quadruple der perfekte Abschluss nach einer ereignisreichen Zeit in Bietigheim. Luft für eine weitere Titelfeier hat sie allemal.

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