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Steve Smith führte Australien zum Sieg gegen England.

© Reuters

Cricket-Star Smith erlöste ganz Australien: Ein schlurfender Jahrhundertsportler

Steve Smith hätte seine Karriere als Cricket-Spieler wegen eines Manipulationsskandals fast beenden müssen. Nun ist er eine Legende.

Manchmal, vielleicht nur ein paar Mal im Jahrhundert, gibt es solche Sportler. Menschen, von denen bei wirklich jedem Auftritt Großes erwartet wird: Muhammad Ali, Usain Bolt, Roger Federer. Und - es mag an den meisten Deutschen vorbeigegangen sein - kürzlich bewies sich Cricketspieler Steve Smith als ein solcher Jahrhundertsportler.

Eigentlich ist sein Job als Schlagmann ganz simpel: Er muss zu ihm geworfene Bälle wegschlagen. Doch in den letzten sechs Wochen hat Smith viel mehr gemacht. Er hat sowohl sich selbst als auch den ganzen australischen Sport aus einer tiefen Krise gerettet. In der prestigeträchtigen Ashes-Serie hat er praktisch im Alleingang den Erzrivalen und frisch gekrönten Weltmeister England gedemütigt.

Er hat Sportgeschichte für die Ewigkeit geschrieben, und sich dabei Vergleiche mit der eigentlich unvergleichlichen Cricket-Legende Don Bradman verdient. Steve Smith, so der frühere England-Kapitän Alastair Cook vergangene Woche, sei einfach "ein Freak".

Dabei war Smiths Karriere vor nicht allzu langer Zeit praktisch schon vorbei. Anfang 2018 war er als Nationalmannschaftskapitän mitverantwortlich gemacht worden für einen Skandal, in dem australische Spieler den Ball zugunsten der eigenen Werfer mit Sandpapier manipuliert hatten. Die Affäre erschütterte den australischen Sport, der plötzlich seine Kultur des Siegens um jeden Preis hinterfragen musste. Ein weinender Smith gestand den Betrug ein, verlor die Kapitänsbinde und wurde für zwölf Monate gesperrt.

Ausgerechnet in England durfte Smith 2019 dann endlich wieder für Australien spielen. Sowohl die WM als auch die für England und Australien fast noch wichtigere Ashes-Serie fanden in diesem Sommer auf der Insel statt.

Nach dem WM-Triumph rechneten die Gastgeber mit einem Sommermärchen, in dem für Smith die Rolle des Schurken vorgesehen war. Als die Serie begann, pfiffen ihn die englischen Fans bei jeder Gelegenheit aus. Manche verkleideten sich sogar in Sandpapier.

Vielmehr als die WM, die in der verkürzten Form des Crickets gespielt wird, ist die Ashes-Serie aber eine Bühne, auf der man richtige Größe zeigen kann. Das ewige Duell über fünf Spiele von jeweils fünf Tagen ist ein taktisch komplexer und psychologisch erschöpfender Kampf, den man eigentlich nur im Kollektiv gewinnen kann. Es sei denn, man ist Steve Smith.

Mehrere Rekorde gebrochen

Wie Phönix aus der Asche hat er sich bei dieser Ashes-Serie rehabilitiert, und ein eher mäßiges australisches Team unschlagbar gemacht. Nicht nur, indem er doppelt so viele Punkte erzielte wie jeder andere, und dabei mehrere Rekorde brach. Sondern auch, indem er die Pfiffe ausblendete und Englands Selbstvertrauen langsam schwinden ließ.

Um ein Ashes-Spiel zu gewinnen, muss man alle gegnerischen Schlagmänner zweimal ausspielen. Bei Smith schlugen aber alle Versuche fehl. "Es ist komisch. Er kann einfach nicht ausgespielt werden," sagte der englische Werfer Jofra Archer.

Umso komischer ist das, weil er bei jeder Aktion aussieht, als ob er gleich einen Fehler macht. Weltklasse-Schlagmänner erkennt man normalerweise an ihrer Eleganz, doch Smith schlurft und zappelt sich dem Ball entgegen. Wäre er ein Fußballer, wäre er eine Mischung aus Thomas Müller und Cristiano Ronaldo. Technisch wirkt er wie ein achtjähriges Kind auf dem Schulhof, und strahlt dabei trotzdem Unschlagbarkeit aus.

Gehirnerschütterung nach Kopftreffer

Am Ende musste England zu anderen Mitteln greifen. Im zweiten Ashes-Spiel traf ihn Archer mit einem Ball am Kopf. Nach dem dramatischen Aufholjagd im dritten Spiel, das Smith mit einer Gehirnerschütterung verpasste, dachten viele Engländer, sie hätten wieder das Momentum in der Serie.

Doch dann kam Smith zurück und machte mit noch weiteren 200 Punkten wieder alle Hoffnung zunichte. Australien gewann das vierte Spiel und damit den Titel.

Nun gibt es keine Pfiffe mehr von den heimischen Fans. Smiths Größe in dieser Serie überstrahlte sowohl die Rivalität als auch seine früheren Sünden. Nun wird er sogar mit der Legende Bradman verglichen, dessen 80 Jahre alten Ashes-Punkterekord er am Sonntag jagte. Hätte er letzte Woche nicht unter einer Grippe gelitten, hätte er die Marke vielleicht geknackt.

Bradman trat übrigens 1948 mit einem Karriere-Durchschnitt von 99,94 Punkte pro Spiel zurück. Auch die größten Stars kommen selten über 55 hinaus. Er war also fast zweimal so gut wie alle anderen Cricket-Legenden. Außer vielleicht Steve Smith, der Jahrhundertsportler.

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