zum Hauptinhalt
Nyasha Derera ist internationaler Athletensprecher der Special Olympics, die im kommenden Jahr in Berlin stattfinden.

© imago images/Metodi Popow

Athletensprecher vor dem Berlin Marathon: „Inklusion ist keine Option, es ist eine Priorität“

Mit der Teilnahme am Marathon will sich der Läufer Nyasha Derera aus Simbabwe einen Traum erfüllen und andere ermutigen. Dorthin war es ein langer Weg.

Nyasha Derera strahlt, als er sein Handy entsperrt. Er öffnet seine Fotogalerie und scrollt mit dem Finger nach unten. Dort sind Bilder, auf denen er neben Angela Merkel posiert, Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue die Hand schüttelt und Philip Lahm vor dem Olympiastadion trifft. Der Anblick von Lahm löst allerdings auch etwas Wehmut aus, denn Derera ist großer Fan der deutschen Fußballnationalmannschaft und hat das Spiel gegen Ungarn am Freitagabend verfolgt. „Ich bin sehr enttäuscht, dass sie verloren haben“, sagt er, „aber sie kommen rechtzeitig zurück, da bin ich mir sicher.“

Der 26-Jährige trägt einen weißen Hoodie, auf dem das Zeichen der Special Olympics 2023 abgebildet ist, die im kommenden Sommer zum ersten Mal in Berlin ausgetragen werden. Als Athletensprecher ist er an der Organisation beteiligt. Nun steht aber erst einmal am Sonntag der Marathon auf dem Programm.

Derera trainierte fast täglich und wurde immer besser

Für Derera war es ein langer Weg, bis er sich diesen Traum erfüllen konnte. Er wuchs in Harare, der Hauptstadt von Simbabwe, auf. Im Alter von vier Jahren verlor er seine Eltern, danach wohnte er bei seiner Großmutter. In der Schule ging er in eine Sonderklasse. „Ich wurde diskriminiert und isoliert und hatte keine Freunde“, erinnert sich Derera. Die anderen hätten ihn als „verrückt“ bezeichnet. „Wenn man in Simbabwe eine geistige Behinderung hat, will keiner etwas mit dir zu tun haben. Das ist eine Herausforderung.“

Das einzige, das er damals hatte, war der Sport. „Laufen war meine Hoffnung“, sagt Derera, „entgegen aller Kritik.“ Immer wieder wurde seine Fitness angezweifelt und als andere ihn laufen sahen, bezeichneten sie ihn als „nutzlos“. Aber davon ließ Derera sich nicht unterkriegen, er trainierte fast täglich und wurde immer besser.

Wenn man in Simbabwe eine geistige Behinderung hat, will keiner etwas mit dir zu tun haben.

Nyasha Derera

Im Jahr 2012, als er 16 Jahre alt war, wurde dann in seinem Heimatland ein Special-Olympics-Programm eingeführt. Dort erhielt Derera erstmals die Möglichkeit, am Sport teilzunehmen. Unterstützt wurde er von seinem Athletiktrainer Owen Makaruwa, der ihn auch auf der Reise zum Marathon begleitet. Er habe schon damals, als er Derera in der Schule besuchte, Potenzial in ihm gesehen, erinnert sich Makaruwa. Also kontaktierte er ihn im Anschluss und schlug ihm vor, an dem Sportprogramm teilzunehmen. „Er hat mir eine neue Sicht eröffnet, wie das Leben auch aussehen kann“, sagt Derera.

Mit Erfolg: Als Kurz- und Langstreckenläufer holte Derera 17 Mal die Goldmedaille und nahm 2015 an den Special Olympics in Los Angeles teil, bei denen er Bronze gewann. Er selbst misst seinen Erfolg aber nicht an Medaillen, sondern an persönlichen Erfahrungen. Auf die Frage, worauf er am stolzesten in seiner bisherigen Karriere sei, sagt er: „Darauf, dass ich anderen Hoffnung und Inspiration gegeben habe.“

Für Nyasha Derera ist es schon lange ein Traum, am Marathon in Berlin teilzunehmen.

© privat

Derera verbesserte während der Schulzeit auch sein Englisch und entdeckte seine Leidenschaft für Rhetorik. Die kommt ihm besonders heute als Athletensprecher der Special Olympics und Vertreter von über sieben Millionen Athlet*innen auf der ganzen Welt mit geistiger und mehrfacher Behinderung zugute. Seine Arbeit sei eine große Verantwortung, sagt Derera und oftmals herausfordernd, aber eben auch belohnend.

Manchmal ist er trotzdem selbst überrascht, an welchem Punkt er heute steht. „Es ist ein Wunder. Immer wieder wurde mir gesagt, dass ich nutzlos bin und trotzdem habe ich es geschafft.“

Für Derera ist es bereits der dritte Besuch in Berlin

Dieses Gefühl will Derera auch anderen Athlet*innen geben und mit seiner Teilnahme am Berlin-Marathon eine Message senden, „an jedes Dorf, an jede Stadt und jedes Land“. Er will ihnen zeigen: „Kein Mensch ist limitiert. Inklusion ist keine Option, es ist eine Priorität.“ Auch in Deutschland gäbe es diesbezüglich noch Nachholbedarf, kritisiert Derera, zum Beispiel im Schulsystem, im Sport und im Arbeitskontext. Die meisten Menschen mit geistiger Behinderung würden hierzulande ausgeschlossen. „Und die meisten Hürden werden von Menschen für Menschen geschaffen. Das muss sich ändern.“

Für ihn ist es bereits der dritte Besuch in Berlin. Vor zwei Jahren war er im Bundestag und sprach mit Abgeordneten über Inklusion. Im Juni besuchte er die Wettkampforte für die ersten Special Olympics in Deutschland und tauschte sich mit anderen Sportler*innen darüber aus, was bis dahin noch verbessert werden kann. Gemeinsam mit Makaruwa sucht er in den kommenden Wochen noch Freiwillige für das Event. Sein Trainer bezeichnet ihn heute als „Leuchtturm, der anderen Athlet*innen den Weg weist“.

In Zukunft würde Derera gern weiter öffentlich sprechen, vielleicht als Botschafter eines Landes oder eines Unternehmens. Und natürlich möchte er noch weitere Fotos für seine Galerie sammeln, am liebsten mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Aber auch beim Marathon in Berlin dürfte er auf einige Prominente für seine Sammlung treffen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false