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Der Anzünder. Niclas Füllkrug (Nr. 9) wird nach seinem Tor gegen Spanien ekstatisch gefeiert.

© Foto: Imago/Xinhua

Alle lieben Niclas Füllkrug: Ein Plädoyer für die echte Neun im deutschen Sturm

Der Mittelstürmer von Werder Bremen gibt der Nationalmannschaft das, was ihr mit den vielen feinen Mittelfeldfüßen fehlt: Wucht und Präsenz. Und gute Laune.

Niclas Füllkrug tat das, was alle von ihm erwarten. Er zeigte keine Scheu vor Autoritäten, auch wenn er damit möglicherweise den Tatbestand der Majestätsbeleidigung erfüllte. Jamal Musiala führte den Ball im spanischen Strafraum am Fuß, und eigentlich sollte niemand Musiala dem Ball vom Fuß nehmen. Erst recht niemand aus der eigenen Mannschaft.

Musiala ist zehn Jahre jünger als Füllkrug. Aber ihre Wertigkeit in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft steht im umgekehrt proportionalen Verhältnis zu ihrem Alter. Musiala, 19, ist eine unangefochtene Autorität, Füllkrug, 29, der Rookie, der am Sonntag gegen Spanien bei seinem dritten Länderspiel zum dritten Mal eingewechselt wurde.

Trotzdem traf der Stürmer von Bundesliga-Aufsteiger Werder Bremen kurz darauf eine folgenschwere Entscheidung. Erst nahm er seinem Mitspieler Musiala mit dem linken Fuß den Ball ab, dann traf er mit dem rechten zum 1:1-Endstand.

„Ich war einfach total im Lauf. Und dann lag mir der Ball vor den Füßen“, sagte Füllkrug. „Das war einfach nur Instinkt, der dort gehandelt hat.“

78
Minuten stand Füllkrug bei seinen drei Länderspielen auf dem Feld. Es reichte für zwei Tore

Schon ein paar Minuten zuvor hatte der Instinkt Füllkrug in eine aussichtsreiche Position gelenkt. Er lauerte in der Mitte, Musiala hatte den Ball. Aber Musiala schaute nicht nach links, sondern schoss aufs Tor und scheiterte an Spaniens Torhüter Unai Simon.

Vielleicht war das der Moment, in dem Niclas Füllkrug dachte: Beim nächsten Mal mach ich’s lieber selbst.

„Voll konsequent und entschlossen: Das zeichnet ihn aus“, sagte Bundestrainer Hansi Flick über den WM-Neuling aus Bremen. „Das ist Zielstrebigkeit pur“, sagte Leon Goretzka über Füllkrugs erstes Tor in Katar. „Das ist natürlich eine super Story“, sagte Thomas Müller.

Mit Wucht ins Glück. Niclas Füllkrug ließ sich die Gelegenheit vor dem spanischen Tor nicht entgehen.

© Foto: Imago/Xinhua

Es ist die fußballerische Variante der Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte: Vor 13 Monaten war Füllkrug scheinbar nicht mal mehr gut genug für die Zweite Liga, und jetzt ist er plötzlich Deutschlands gefeierter WM-Held. „Ein unglaubliches Tor“, sagte Müller, der 20 Minuten vor dem Ende für Füllkrug den Platz geräumt hatte. „Er ist auch ein unglaublich geiler Typ.“

Alle lieben Fülle, wie sie ihn nennen. „Er ist ein absoluter Teamleader“, sagte Danny Röhl, Flicks Assistent, am Morgen nach dem Spanien-Spiel in einer digitalen Medienrunde. „Er geht voran. Er pusht die Jungs. Er ist einfach kommunikativ. Und er gibt viel Energie.“

Er ist auch ein unglaublich geiler Typ.

Nationalspieler Thomas Müller über Niclas Füllkrug

Auch fußballerisch gibt er seinem Team einiges: Wucht, Präsenz, Abschlussstärke. Also genau das, was der Nationalmannschaft mit ihren vielen feinen Mittelfeldfüßen manchmal abgeht. „Das ist es, warum er auf dem Platz ist“, sagte Bundestrainer Flick über Füllkrugs Treffer zum 1:1. „Mit welcher Entschlossenheit er abzieht, das hat uns gutgetan.“ Kumuliert stand der Bremer bei seinen drei Länderspieleinsätzen 78 Minuten auf dem Platz (plus Nachspielzeit) und erzielte dabei zwei Tore.

Der Auftritt gegen Spanien war ein eindeutiges Plädoyer für eine echte Neun im Sturm der Nationalmannschaft anstelle einer falschen. Bundestrainer Flick hat die Planstelle im Sturm bei der WM bisher mit Kai Havertz (gegen Japan) und Thomas Müller (gegen Spanien) besetzt.

Beide bewegen sich eher im Graubereich zwischen Mittelfeld und Sturm, und beide blieben ganz vorne ohne Wirkung. Müller kam am Sonntag in 70 Minuten auf 18 Ballkontakte, null Torschüsse und null Torschussvorlagen. Bei Füllkrug waren es in 25 Minuten inklusive Nachspielzeit 13 Ballkontakte und drei Torschüsse.

Wucht, Präsenz und vor allem Tore werden die Deutschen auch am Donnerstag brauchen, wenn sie für den Einzug ins Achtelfinale im abschließenden Gruppenspiel gegen Costa Rica einen Sieg benötigen. Eigentlich ist es schwer vorstellbar, dass Flick dann auf Niclas Füllkrug verzichtet, der neben Wucht und Präsenz auch über das nötige Selbstvertrauen verfügt.

Anderseits ist es für jeden Trainer eine beruhigende Vorstellung, jemanden wie Niclas Füllkrug für alle Fälle als Joker in der Hinterhand zu haben. Man denke über alles nach, sagte Marcus Sorg, Flicks Co-Trainer, am Donnerstag. „Aber man muss auch gucken: Welche Wirkung hat welcher Spieler zu welchem Zeitpunkt? Und die Wirkung sollte man vielleicht auch nicht verlieren.“

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