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Selbst Bundestrainer Hansi Flick konnte am Ende nicht mehr hinsehen.

© dpa/Julian Stratenschulte

Update

Entlassung von Flick: Deutschlands Fußball braucht Modernisierung

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft steckt in einer immer schlechteren Verfassung. Eine neue Spielphilosophie ist notwendig, um die Situation zu verbessern.

Ein Kommentar von Benedikt Paetzholdt

Dank der Amazon-Dokumentation „All or nothing“, die kürzlich erschienen ist, weiß man, wie sehr das 1:2 gegen Japan bei der Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr Bundestrainer Hansi Flick und der gesamten deutschen Fußball-Nationalmannschaft zugesetzt hat. Sehr spannend wäre eine Fortsetzungsgeschichte, die das 1:4-Debakel in Wolfsburg vom Samstagabend und somit auch Flicks letzten Tag als Bundestrainer vor seiner Entlassung beleuchtet.

Dachte man bei der ersten Niederlage im November an einen Ausrutscher, offenbarte sich nun, dass die DFB-Elf mit einem Gegner wie Japan derzeit völlig überfordert ist. In Katar überzeugte die Mannschaft zumindest phasenweise gegen dieses Team, ließ sich letztlich mit Kontern überrumpeln.

Diesmal fehlte über das gesamte Spiel hinweg eine Spielidee, die den Eindruck vermittelte, das Geschehen bestimmen zu können. „Sie waren eigentlich in allen Belangen uns überlegen“, lautete der Offenbarungseid von Kapitän Ilkay Gündogan.

Unter den aktuellen Begebenheiten ist unvorstellbar, wie in einem Dreivierteljahr eine rauschende Europameisterschaft hierzulande stattfinden soll.

Benedikt Paetzholdt

Rezession, marode Infrastruktur, lahmende Digitalisierung: Deutschland ist derzeit ganz grundsätzlich verunsichert. Nicht wenige haben das Gefühl, dass sich das Land in einem Abwärtssog befindet. Und auch der Fußball fügt sich in dieses Schema ein. Wer im Stadion oder vor dem Fernsehen die DFB-Auftritte verfolgt, bekommt keine wohltuende Ablenkung. Vielmehr verstärkt sich der Eindruck, dass man von der Konkurrenz abgehängt wurde. Und Flick stand für diesen Abwärtssog.

Gellende Pfeifkonzerte als Begleitmusik

Gellende Pfeifkonzerte gehören mittlerweile zur Begleitmusik der deutschen Auftritte. Und man kann sich nur ausmalen, wie düster die Stimmung am Dienstag in Dortmund wird, wenn Deutschland von Frankreich vorgeführt wird – und davon muss man nach den jüngsten Auftritten ausgehen. Japan ist bei der Europameisterschaft im kommenden Jahr immerhin nicht dabei, das ist die einzig positive Erkenntnis von diesem Abend.

Es rächt sich, dass der DFB nach der völlig verkorksten Katar-WM an Flick festgehalten hatte. Weil man sich einredete, dass vor allem die Diskussionen rund um die One-Love-Binde in Katar den deutschen Spielfluss gehemmt hätten.

Körperspannung, Intensität, Spielwitz, alle diese wesentlichen Faktoren eines gelungenen Auftritts waren schon damals kaum erkennbar. Die Alarmglocken hätten nach einem 3:3 gegen die Ukraine, einem 0:1 gegen Polen und einem 0:2 gegen Kolumbien längst ohrenbetäubend beim DFB schrillen müssen.

Es ist schwer vorstellbar, wie in einem Dreivierteljahr eine rauschende Europameisterschaft hierzulande stattfinden soll, bei der das Heimteam Euphorie entfacht. Um irgendwie die Kurve zu kriegen, braucht es außer einem neuen Trainer auch eine andere Idee vom Fußballspielen und ein Plan, den Glauben an die eigene Stärke wiederzugewinnen. Hansi Flick konnte das nicht vermitteln. Die Argumente, an ihm festzuhalten, waren aufgebraucht.

Es braucht wie in vielen anderen Bereichen unseres Alltags auch im Fußball einen grundsätzlichen Modernisierungskurs. Aktuell kriselt es ja an allen Ecken und Enden: Wie die Männer schieden bekanntlich auch die Frauen bei der jüngsten WM nach der Vorrunde aus. Die U21 hatte sich im Juni bei der EM als Titelverteidiger ebenfalls frühzeitig verabschiedet. Wer dieses kollektive Scheitern getrennt voneinander betrachtet, verschließt die Augen vor der Realität.

Im Falle der A-Nationalmannschaft drängt die Zeit bis zum Start der Heim-EM im Juni. Mit Julian Nagelsmann gibt es vielleicht einen Willigen, der sich diesem riskanten Projekt annimmt. Allerdings wäre es auch mal an der Zeit, mit der Konvention zu brechen, nur auf deutsche Trainer zu setzen. In anderen Ballsportarten haben ausländische Trainer in Deutschland Großes bewirkt: Der Isländer Dagur Sigurdsson machte die Handballer 2016 zu Europameistern, der Finne Toni Söderholm leistete hervorragende Arbeit mit dem Eishockeyteam, die Harold Kreis mit WM-Silber im Mai veredelte. Über die Basketballer und ihren kanadischen Coach Gordon Herbert ist in den letzten Tagen ohnehin alles gesagt worden.

Im Gegensatz zur Wirtschaft und der Politik reichen im Fußball manchmal kleine Impulse aus, um einen Abwärtstrend zu stoppen. Diese Gelegenheit galt es zu ergreifen.

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