Ohne Menschen: Keine persönliche Reiseberatung im Hauptbahnhof?

Wenn die Mobiagentur im Hauptbahnhof ab Oktober keine Deutsche-Bahn-Tickets mehr verkauft, verliere ich nicht nur meine geschätzte Kundenberatung, sondern auch eine Inspirationsquelle. Mindestens eine Kolumnen-Idee wurde beim Warten am Fahrkartenschalter geboren.

In 30 Minuten kann man ganze Schicksale erfahren und mitfiebern, wenn die Menschen dem geduldigen Fahrkartenfachverkäufer hinter der Plexiglasscheibe lautstark ihre Reisepläne darlegen und sich gänzlich in seine Hände begeben: Zuerst zum Geburtstag der Tante, dann weiter zum Klassentreffen im Hunsrück und zurück über Bielefeld, ab da bitte mit zwei Platzkarten, weil noch jemand zusteigt. Und könnte ich die gegebenenfalls stornieren?

Man hört Vokabeln wie Frühzug, Schlafwagen, 1. Klasse, Fahrradkarte – ferne Ziele oder einfach Neubrandenburg. Und wenn am Ende jemand nur Danke sagt und ohne Fahrkarte abzieht, denn „ich muss das noch mal überdenken“, will man laut schreien, aber irgendwann ist man selber dran und dann macht man es nicht anders.

Die ganze Warterei finde ich nichtsdestotrotz viel besser, als mich ohne Erfolgsgarantie am Rechner durchzukämpfen. Oder mich der erniedrigenden Automatenprozedur zu unterziehen. Ich bin ein Mensch, ich erwarte, dass sich die Verkaufspraxis an mich anpasst und nicht umgekehrt, dass ich Automaten-Denke annehmen muss.

Das ist der Bahn offenbar egal. Potsdam wird aller Wahrscheinlichkeit nach die erste Landeshauptstadt ohne bemenschten Ticketschalter der Bahn. Es sei denn, es findet sich jemand, der die Mobiagentur, die ja lediglich im Auftrag der Bahn tätig ist, zu sponsern bereit ist. Oder der Oberbürgermeister kann noch was erreichen. Oder die Klimakleber machen mal was Sinnvolles und stürmen den Bahntower in Berlin. Bis dahin ist mein Geheimtipp der klitzekleine private Fahrkartenladen „Bahnland“ im Bahnhof Griebnitzsee. Ich hoffe, der bleibt.

Die Kolumne Pyanissimo erscheint jeden zweiten Dienstag und kommentiert das Potsdamer Stadtgeschehen.