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Streit um richtiges Erinnern: Die Gedenkstätte Leistikowstraße will kein Gedenken mehr am 23. August durchführen.

© PNN / Ottmar Winter/Ottmar Winter

Eklat um Leistikowstraße: Verein wird Gedenken im ehemaligen Potsdamer KGB-Gefängnis verboten

Ehemalige Insassen wollten in der Gedenkstätte am 23. August den Opfern des stalinistischen Terrors gedenken. Warum das Anliegen zum Streit mit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten führte.

An welchem Tag soll man den Opfern des stalinistischen Terrors gedenken - am 15. oder am 23. August? Diese Frage hat zum offenen Konflikt zwischen dem Verein „Gedenk- und Begegnungsstätte ehemaliges KGB-Gefängnis Potsdam“ und der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten geführt, zu der seit diesem Jahr auch die Gedenkstätte Leistikowstraße in Potsdam gehört.

Seit 2016 hatte der Verein am 23. August, dem Europäischen Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus, Gedenkveranstaltungen in der Leistikowstraße durchgeführt. In diesem Jahr sollen sie nicht stattfinden. Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten verwehrt dem Verein, der sich maßgeblich um den Erhalt des ehemaligen KGB-Gefängnisses verdient gemacht hat, eine Gedenkveranstaltung in der Leistikowstraße am 23. August.

„Wir sind entsetzt und bestürzt, dass der Gedenktag uns in der Gedenkstätte für die Zukunft verboten werden soll. Ein Verbot bietet sich nicht zur Lösung des Konfliktes an“, heißt es in einer öffentlichen Stellungnahme des Vereins. Selbst ein stilles Gedenken wollte die Stiftung zunächst nicht erlauben, entschied sich dann jedoch um. Der Verein darf am Mittwoch, dem 23. August, in Stille auf dem Hof des ehemaligen Gefängnisses gedenken. Die eigentliche Gedenkveranstaltung des Vereins wird um 18. 30 Uhr im Gärtnerhaus der Villa Lepsius stattfinden, dabei wird auch die lettische Botschafterin sprechen.

Die Gedenkstätte Leistikowstraße hatte stattdessen am 15. August eine offizielle Gedenkveranstaltung durchgeführt, die PNN berichteten. Das Datum wurde gewählt, weil am 15. August 1945 das Haus in der Leistikowstraße offiziell als Gefängnis in Betrieb genommen wurde. Zudem wurde das Gebäude am 15. August 1994 an die Stadt Potsdam zurückgegeben.

„Für alle Einrichtungen der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten gilt der Grundsatz, dass Gedenkveranstaltungen einen konkreten Ortsbezug haben sollen“, sagt Gedenkstätten-Leiterin Ines Reich auf Nachfrage der PNN. „Der 23. August als historisches Datum des sogenannten Hitler-Stalin-Pakts weist diesen konkreten Ortsbezug nicht auf.“

Die Gedenkstätte und das Kuratorium der Gedenkstätte hätten den Verein darum gebeten, von Gedenkveranstaltungen am 23. August in der Leistikowstraße „Abstand zu nehmen“, so Reich. Das Angebot, gemeinsam am 15. August das Gedenken zu begehen, war vom Verein abgelehnt worden.

Historiker kritisiert Stiftung

Aus Sicht des Vereins gibt es gute Gründe, am 23. August festzuhalten. Der Gedenktag wurde 2008 in der „Prager Erklärung“ vorgeschlagen, zu deren Unterzeichnern unter anderem Vaclav Havel und Joachim Gauck gehörten. 2009 wurde der Gedenktag mit großer Mehrheit des Europaparlaments beschlossen.

„Es ist der einzige überregionale Gedenktag, der an die Opfer des Stalinismus erinnert“, heißt es im Statement des Vereins. Das Datum bezieht sich auf den 23. August 1939, als der Nichtangriffspakt zwischen Deutschland und der Sowjetunion geschlossen wurde, in dem Hitler und Stalin Europa zwischen sich aufteilten.

Der antitotalitäre Konsens, an den der 23. August erinnert, hat sehr wohl etwas mit dem Haus in der Leistikowstraße zu tun.

Karl Schlögel, Ost-Europa-Historiker

Zum 50. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes am 23. August 1989 hatten sich mehr als eine Million Menschen Estland, Lettland und Litauen zu einer 650 Kilometer langen Menschenkette zusammengeschlossen, um für Freiheit von der Sowjetunion zu demonstrieren. Bis heute ist es die längste Menschenkette, die es je gab.

Auch der renommierte Osteuropa-Historiker Karl Schlögel hatte sich in der Märkischen Allgemeinen für den 23. August ausgesprochen und die Entscheidung der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten kritisiert. „Der antitotalitäre Konsens, an den der 23. August erinnert, hat sehr wohl etwas mit dem Haus in der Leistikowstraße, dem Ort stalinistischer Herrschaft im Osten Deutschlands, zu tun“, sagt Schlögel. Er sprach sich dafür aus, das Datum anzuerkennen, das in Osteuropa viel präsenter sei als in Westeuropa.

Kritiker des Datums stören sich jedoch daran, dass durch das Gedenken an die Opfer aller autoritärer Regime eine Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Stalinismus stattfinde. Die Verbrechen der Nazis, insbesondere der Holocaust, könnten dadurch relativiert werden, so die Befürchtung.

Tobias Dünow (SPD), Staatssekretär des brandenburgischen Wissenschaftsministeriums, hatte den 15. August bei der Gedenkveranstaltung in der Leistikowstraße verteidigt und zu gegenseitiger Toleranz aufgerufen. „Wir sollten die Bereitschaft haben, Dissense hinzunehmen, ohne uns gegenseitig die moralische Lauterkeit abzusprechen“, sagt Dünow.

Gegenüber Gisela Rüdiger, der Vorsitzenden des Gedenkstättenvereins, hatte Dünow angekündigt, noch in diesem Jahr eine öffentliche Diskussionsveranstaltung zum Thema durchführen zu wollen. Dazu sollen auch Historikerinnen und Historiker eingeladen werden, um ihre unterschiedlichen Perspektiven darzulegen.

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