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Zeitzeug:innen des Mauerfalls an der Mauergedenkstätte Mauerrest Griebnitzsee.

© Foto: Andreas Klaer

Bewegendes Potsdamer-Schulprojekt: „Die Mauer ist gefallen? Du spinnst doch!“

Schüler:innen der Katholischen Marienschule Potsdam haben anlässlich des 33. Jahrestags des Mauerfalls zahlreiche Zeitzeug:innen interviewt - ihre Forschungsergebnisse stellten sie nun vor.

Wie war es, als die Mauer fiel? Für Jugendliche von heute sind die weltbewegenden Ereignisse von 1989 weit weg, doch im Rahmen eines Zeitzeug:innen-Projektes erfuhren Schüler:innen der Katholischen Marienschule Potsdam aus erster Hand, wie Menschen aus Ost und West den Mauerfall damals wahrnahmen. Am Mittwoch stellten sie die Ergebnisse ihrer Nachforschungen im Rahmen einer Gedenkveranstaltung anlässlich des 33. Jahrestages des Mauerfalls an der Mauergedenkstätte Griebnitzsee vor, zu dem das Forum zur kritischen Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte im Land Brandenburg e.V. eingeladen hatte.

„Als meine Oma zuerst vom Mauerfall hörte, hat sie es gar nicht geglaubt“, sagte die 17-jährige Lilith Sommer. Der Mann ihrer Oma war zu ihr ins Büro gekommen und hatte die Neuigkeit erzählt. „Aber sie hat gesagt: ‚Du spinnst doch!‘, und hat einfach weitergearbeitet.“ Als klar war, dass die Grenze tatsächlich offen war, ist die ganze Familie nach Westberlin gefahren, erlebte die Öffnung des Brandenburger Tors und schlug Stücke aus der Mauer heraus. „Sogar meine Uroma war dabei, obwohl sie gar nicht mehr laufen konnte“, sagte Sommer.

Nicht mal zur Beerdigung der Eltern durfte man in den Westen

Ihre Uroma konnte dann endlich auch das Grab ihrer Eltern in Westberlin besuchen: „Als die Mauer stand, hatte sie nicht die Möglichkeit gehabt, ihre Eltern zu besuchen; auch nicht, als sie im Krankenhaus lagen und auch nicht zur Beerdigung“, so Sommer. Für sie waren viele der Geschichten ganz neu, weil sie zuvor noch nicht oft mit ihrer Oma über die DDR gesprochen habe. „Ich hatte nicht gedacht, dass es immer noch so emotional für sie ist“, sagte Sommer. „Man müsste seine Großeltern eigentlich öfters über die Vergangenheit ausfragen. Das macht man viel zu selten.“

Potsdamer und Berliner Schüler:innen haben sich mit der Geschichte der Berliner Mauer und der Grenzöffnung befasst.

© Foto: Andreas Klaer

Die meisten Zeitzeug:innen kamen nicht aus dem Verwandtenkreis der Schüler:innen, sondern hatten sich extern für das Projekt zur Verfügung gestellt. Darunter waren auch Westdeutsche, deren Perspektive ebenfalls mit einfloss: „Mein Zeitzeuge lebte während des Mauerfalls in Westberlin und hatte mitbekommen, dass es in Ostberlin immer mehr Unruhe gab, unter anderem wegen der manipulierten Wahlen“, sagte der 18-jährige Konstantin Reisner von der Marienschule Potsdam. Am Abend der Grenzöffnung sah er auf beiden Seiten der Grenze große Menschenmassen, schloss sich ihnen an und begrüßte viele Ostberliner:innen, indem er ihnen aufs Autodach klopfte.

Nächtliche Stadtrundfahrt mit völlig Fremden

„Dann wurde er von einem Ehepaar aus dem Osten gefragt, ob er wisse, wo der Kudamm ist“, sagte Reisner. „Da hat er gesagt: ‚Steigen sie in mein Auto, ich fahr sie hin.‘“ Bis vier Uhr nachts fuhr er das Ehepaar durch Berlin und zeigte ihnen alles, was sie sehen wollten. „Ich fand wirklich erstaunlich und bewegend, was für eine Freundlichkeit und Offenheit in diesem Moment bei vielen Menschen herrschte“, sagte Reisner. „Normalerweise steigt man ja nicht zu fremden Leuten ins Auto, aber die Stimmung in dieser Situation war so schön, dass das kein Problem war.“

Ein eher trauriges Erlebnis ist der 17-jährigen Emma Hagen von ihrem Zeitzeugengespräch in Erinnerung geblieben: „Mein Zeitzeuge war damals 17 Jahre alt und hat in Dresden gewohnt. In den Wochen und Monaten vor dem Sommer 1989 haben viele seiner Freunde Abschied genommen, aber er hatte es gar nicht wahrgenommen“, sagte die Schülerin der Marienschule. Viele waren im Sommer nämlich über die Grenze nach Ungarn geflüchtet: „Er sagte: Als ich im September wieder in die Schule kam, waren sie auf einmal alle weg.“ Dass man sich bald wiedersehen würde, war damals noch keineswegs absehbar.

Demo-Verbot mit verblüffender Begründung

Ihre 17-jährige Mitschülerin Franzi Kübler war vor allem von einer Geschichte ihres Zeitzeugen beeindruckt, der damals aus Westberlin zum Studium nach Leipzig gezogen war: „Eines Tages wurde er in der Uni in ein Büro gezogen, wo der Uni-Leiter und der örtliche Vorsitzende der SED saßen.“ Sie verboten ihm, an den Montagsdemos in Leipzig teilzunehmen - mit einer verblüffenden Begründung: „Sie hatten ihm eingeschärft, dass er als Westberliner auf keinen Fall an den Demos teilnehmen dürfe, sonst würde es heißen, die Proteste wären vom Westen manipuliert. Doch wenn die Demos keinen Erfolg hätten, dann sei der Sozialismus auf deutschem Boden für immer verloren.“

Zeitzeug:innen des Mauerfalls standen für die Nachforschungen von Potsdamer und Berliner Schüler:innen zur Verfügung. Die Ergebnisse wurden an der Mauergedenkstätte Mauerrest Griebnitzsee präsentiert.

© Foto: Andreas Klaer

Auch die vielen Details aus den Schilderungen der damaligen Zeit beeindruckten Kübler sehr: „Für mich war es total neu zu hören, wie damals an der Uni und bei seinen Freunden die Stimmung war und wie die Demos abgelaufen sind.“

Manfred Kruczek vom Forum zur kritischen Auseinandersetzung mit DDR-Geschichte im Land Brandenburg e.V. zeigte sich bewegt von den Schilderungen der Schüler:innen und erinnerte an die historische Einzigartigkeit des Mauerfalls: „Es ist für mich nach wie vor ein Wunder, wie das passieren konnte in der DDR, in der sich viele Menschen eigentlich ganz gemütlich eingerichtet hatten“, so Kruczek. „Und diese Revolution ging ohne Blutvergießen vonstatten, das ist das zweite Wunder.“ Dass dies keine Selbstverständlichkeit sei, sehe man am Krieg in der Ukraine: „Dort müssen die Menschen für ihre Freiheit einen hohen Preis zahlen.“

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