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Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission

© dpa/Belga/Jonas Roosens

Zukunft der EU-Kommissionschefin: Eine zweite Amtszeit für Ursula von der Leyen – oder ein Wechsel zur Nato?

Ursula von der Leyen liebäugelt mit einem zweiten Mandat als EU-Chefin. Der Ausgang der Europawahl ist aber ein Risiko für die CDU-Politikerin.

Tritt Ursula von der Leyen für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionschefin an? Die Frage treibt den Brüsseler EU-Betrieb um, die niedersächsische CDU – aber auch die Nato. Denn dort ist die Deutsche auch als mögliche Nachfolgerin des amtierenden Generalsekretärs Jens Stoltenberg im Gespräch.

Im Juni 2024 finden die Europawahlen statt. Das frisch gewählte Europaparlament muss anschließend einer neuen Kommissionspräsidentin oder einem Kommissionspräsidenten die Zustimmung geben. Im Umfeld von der Leyens heißt es, dass sie sich noch nicht entschieden habe, ob sie ein zweites Mandat an der Spitze der EU-Kommission anstrebt.

Wenn die Frage der zweiten Amtszeit noch eine Weile offen bleibt, ist das derzeit ganz im Interesse von der Leyens. Denn so lange sie sich nicht erklärt hat, kann sich die CDU-Politikerin auch als Moderatorin darstellen, die jenseits der Parteipolitik die Fäden in Brüssel zusammenführt. Das ist gerade zu einem Zeitpunkt wichtig, da wichtige Bestandteile ihres „Green Deal“ wie das umstrittene Renaturierungsgesetz auf der Kippe stehen.

Aber spätestens im Herbst wird sie Farbe bekennen müssen. Für die 64-Jährige, die vor ihrem Einzug in ihren gegenwärtigen Amtssitz im 13. Stock des Brüsseler Berlaymont-Gebäudes unter anderem Bundesverteidigungsministerin und stellvertretende CDU-Vorsitzende war, hätte eine zweite Amtszeit einen großen Reiz. Sie stünde damit in einer Reihe von prägenden Figuren wie Walter Hallstein und Jacques Delors – beide standen jeweils ein Jahrzehnt an der Spitze der Brüsseler Kommission.

Auch wenn von der Leyen offenkundig entsprechende Ambitionen hat, so lässt sie bislang dazu nichts verlauten. Offen lässt sie bislang auch die Antwort auf die Frage, ob sie das so genannte Spitzenkandidaten-System unterstützt. Dieses Verfahren besagt, dass der siegreiche Spitzenkandidat oder die Spitzenkandidatin einer Parteienfamilie bei der Europawahl anschließend an die Spitze der EU-Kommission rückt – vorausgesetzt, er oder sie findet eine Mehrheit im Europaparlament.

Dass ihre von dem CSU-Vize Manfred Weber geführte Parteienfamilie der Europäischen Volkspartei (EVP) von der Leyen als europaweite Spitzenkandidatin nominieren würde, falls sie ein solches Verfahren befürwortet, darf als gesichert gelten. Rückendeckung für eine zweite Amtszeit gibt es außerdem von CDU-Chef Friedrich Merz und von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

CDU-Chef Friedrich Merz gehört zu denen, die eine zweite Amtszeit von der Leyens befürworten.
CDU-Chef Friedrich Merz gehört zu denen, die eine zweite Amtszeit von der Leyens befürworten.

© Reuters/Fabrizio Bensch

Auch laut dem Berliner Koalitionsvertrag muss die CDU-Politikerin nicht damit rechnen, dass ihr Steine in den Weg gelegt werden. Dort heißt es lediglich, dass die Grünen das Vorschlagsrecht für einen deutschen EU-Kommissar oder eine -Kommissarin haben, „sofern die Kommissionspräsidentin nicht aus Deutschland stammt“. Mit anderen Worten: Nur ein Verzicht von der Leyens auf eine zweite Amtszeit könnte dafür sorgen, dass die Grünen einen Vorschlag für einen „einfachen“ Kommissarsposten machen dürften.

Müsste sich die Niedersächsin von der Leyen auch bei der Abstimmung über die Europawahl-Landesliste der niedersächsischen CDU am 25. November als Kandidatin aufstellen lassen, damit sie anschließend als EVP-Spitzenkandidatin durch die Talkshows in Europa touren kann? Die Antwort lautet: Nein. In der noch jungen Geschichte des EU-Spitzenkandidaten-Systems gibt es keine klaren Regelungen dazu. Der Name des Luxemburgers Jean-Claude Juncker, der aus der Europawahl von 2014 siegreich hervorging und anschließend Kommissionschef wurde, stand in der EU seinerzeit auf keinem Stimmzettel.

Doch in Niedersachsens CDU wird hinter verschlossenen Türen debattiert: Will von der Leyen als Abgeordnete im Europaparlament antreten? Schwer vorstellbar sei, dass sie – im Falle einer nicht erneuten Wahl zur Kommissionschefin – ein Dasein fünf Jahre lang auf der Hinterbank des Parlamentes fristet, heißt es.

Ohnehin ist eine Mitgliedschaft in der EU-Kommission nicht mit einem Abgeordnetensitz im EU-Parlament vereinbar. Von der Leyen müsste also ein Abgeordnetenmandat wieder abgeben, falls sie von den Staats- und Regierungschefs und dem EU-Parlament ein zweites Mal auf den Schild gehoben werden sollte.

Die Wahl von der Leyens im EU-Parlament von 2019 war für die Deutsche denkbar knapp. 383 Abgeordnete stimmten für sie, 327 gegen sie, und 22 enthielten sich der Stimme. Man kann vermuten, dass sie sich eine derartige Zitterpartie kein zweites Mal zumuten will – und nur dann antritt, wenn ihre Unterstützung sowohl durch die 27 Staats- und Regierungschefs als auch durch das EU-Parlament gesichert erscheint.

Mögliche Stimmenverluste für Konservative, Sozialdemokraten und Liberale

Allerdings stellt die künftige Zusammensetzung der Straßburger Kammer für die mögliche Kandidatin derzeit den größten Unsicherheitsfaktor dar. Ihre Wahl von 2019 verdankte sie im Wesentlichen den Stimmen der EVP, der Sozialdemokraten und der Liberalen. Gegenwärtig deuten Umfragen aber auf Stimmenverluste dieser drei Fraktionen bei der kommenden Europawahl hin.

In den Überlegungen von der Leyens dürfte es auch eine Rolle spielen, dass sie während des Europawahlkampfs, der voraussichtlich vor dem Wahltermin im Juni 2024 relativ kurz ausfallen wird, ihren Amtsbonus ausspielen könnte. Denn laut dem inzwischen geänderten Verhaltenskodex der EU-Kommission müsste sie ihr Amt nicht ruhen lassen, wenn sie als EVP-Spitzenkandidatin anträte.

Denkbar ist schließlich auch eine ganz andere Variante. Dem Vernehmen nach setzt sich US-Präsident Joe Biden dafür ein, dass von der Leyen den gegenwärtigen Nato-Generalsekretär Stoltenberg nach dem Ende von dessen Amtszeit im Oktober 2024 als Nato-Generalsekretär ablöst. Dann bliebe von der Leyen zwar in Brüssel – aber in einer ganz anderen Funktion.

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