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„Zeitenwende in Nahost nicht ignorieren“: Laschet vermisst Engagement in deutscher Außenpolitik

Der Aussöhnungsprozess zwischen Israel und vier arabischen Staaten findet in Deutschland viel zu wenig Aufmerksamkeit, meint der frühere CDU-Chef. Er will das ändern – mit einem neuen Institut.

Herr Laschet, Sie sind Initiator des Abraham Accords Institute, das an diesem Donnerstagabend feierlich in Berlin eröffnet wird. Was hat es damit auf sich? Ist Ihnen langweilig?
Sicher nicht. Das neue Institut soll auf eine Zeitenwende im Nahen und Mittleren Osten aufmerksam machen, die vor genau drei Jahren stattgefunden hat, aber in Deutschland und Europa von fast niemandem wahrgenommen wurde. Mit den Abraham Accords haben vier arabische Länder 50 Jahre Abgrenzung und Hass überwunden, den Staat Israel anerkannt und mit einer Kooperation in Sicherheits- und Wirtschaftsfragen begonnen – bis hin zur Gründung einer Freihandelszone.

Wir können den wichtigsten politischen Fortschritt in Nahost seit fünf Jahrzehnten doch nicht ignorieren, der noch dazu an die Anfänge der EU erinnert! Erste Aufgabe des Instituts ist es deshalb bekannter zu machen, was mit den Abraham Accords 2020 eigentlich stattgefunden hat.

Hängt das mangelnde Interesse daran, dass die Initiative von Donald Trumps US-Administration ausging?
Leider ja, obwohl es nicht um eine parteipolitische Frage geht und auch Joe Bidens Regierung das Engagement fortsetzt. In der Region wünschen sich viele, dass Europa mehr tut. Gerade wir Deutschen sind dort hochgeschätzt. Jeder weiß um unsere guten Beziehungen zu Israel.

Wir müssen diesen Aussöhnungsprozess viel stärker unterstützen. Unser Institut wird daher zum Beispiel junge arabische Lehrerinnen und Lehrer nach Deutschland bringen und ihnen unsere Erinnerungskultur zum Holocaust nahebringen.

Sie wollen also den muslimischen Antisemitismus überwinden helfen, der im Nahen Osten, aber durch die Zuwanderung auch in Europa ein beklemmender Faktor ist?
Es ist zunächst Nichtwissen. Zu uns kommen Zuwanderer aus Ländern, in denen der Holocaust nie vermittelt wurde. Natürlich ist es vor allem für die Gesellschaften selbst wichtig, ein besseres gegenseitiges Verständnis für die Geschichte zu entwickeln.

In keinem arabischen Land haben Kinder in Schulbüchern bisher davon erfahren, warum Jüdinnen und Juden im neuen Staat Israel Zuflucht und Sicherheit suchten. Jetzt haben die Vereinigten Arabischen Emirate als Folge der Abraham Accords die Curricula geändert, um Wissen über den Holocaust zu vermitteln. Wir wollen bei der Geschichtsvermittlung helfen und werden dafür mit dem Haus der Wannseekonferenz zusammenarbeiten.

Anderen ständig vors Schienbein zu treten, ist das Gegenteil von guter Außenpolitik.

Armin Laschet, CDU

Kanzler Olaf Scholz hat gerade mit Israels Premier Benjamin Netanjahu gesprochen, mit dem Kauf der Raketenabwehr Arrow wird die Kooperation in Verteidigungsfragen intensiviert. Sonst aber sind Israel und der Nahe Osten gerade nicht unbedingt der Hotspot deutscher Außenpolitik, oder?
Ich frage mich, ob es überhaupt einen Hotspot der deutschen Außenpolitik gibt. Im Verhältnis zu Frankreich ist die Luft raus, EU-Initiativen gibt es kaum. Das starke Engagement der Außenministerin für die Ukraine ist wichtig. Um diese zentrale Frage aber kümmert sich schon der Kanzler, und die Welt ist größer.

Wir brauchen auch die Länder im Nahen und Mittleren Osten, wenn wir Russland Einhalt in der Ukraine gebieten wollen. Viele Länder dort wie im Rest der Welt sehen die Dinge anders als wir. Ziel muss es sein, sie über Kooperationen für unsere Überzeugungen zu gewinnen.

Was bringt es denn, andere Länder zu beschimpfen?

Armin Laschet, CDU

Ich stelle aber fest, dass wir sie oft nur belehren, was sie aus unserer Sicht innenpolitisch zu tun haben, Außenpolitik im eigentlichen Sinne findet nicht statt. Außenpolitik ist es nicht, andere Länder moralisch zu belehren, sondern auch mit denen, die anders denken und handeln als wir, gemeinsame Lösungen zu finden.

Das sehen Sie vermutlich auch in Bezug auf die Volksrepublik China von „Diktator“ Xi Jinping so?
Wir wussten auch ohne diese Aussage von Frau Baerbock, dass China keine parlamentarische Demokratie ist. Was bringt es denn, andere Länder zu beschimpfen? Wenn Frau Baerbock alle Diktatoren in der UN-Vollversammlung benennen würde, wären das zwei Drittel aller Mitgliedsländer.

Wenn Außenminister Genscher oder Kanzler Kohl alle kommunistischen Führer vor 1989 ständig als Diktatoren beschimpft hätten, wäre es vielleicht nie zur Wiedervereinigung gekommen. Es kann keinen erfolgreichen internationalen Klimaschutz ohne eine Kooperation mit China geben. Und wir brauchen Peking auch, um auf Moskau deeskalierend einzuwirken. Anderen ständig vors Schienbein zu treten, ist das Gegenteil von guter Außenpolitik.

Was wäre zu tun?
Wir dürfen Diktaturen nicht hofieren. Wir sollten aber auch nicht positive Entwicklungen in Ländern ignorieren, nur weil sie nicht vollkommen unseren demokratischen Idealvorstellungen entsprechen. Im Nahen und Mittleren Osten gibt es mit der Abkehr vom Öl und der Hinwendung zu den Erneuerbaren und möglichen Wasserstoffpartnerschaften interessante wirtschaftliche Entwicklungen.

Wir sehen auch demokratische Fortschritte, etwa bei der Religionsfreiheit: In Abu Dhabi hat man jetzt eine Kirche und eine Synagoge erbaut, man lässt also wieder jüdisches Leben zu in einem arabischen Land. Das sind Prozesse, die wir dringend unterstützen sollten. Das ist wirkungsvoller als Frau Faesers One-Love-Binde im Fußballstadion von Katar.

Erhoffen Sie sich von mehr religiöser Verständigung in der Ferne auch eine gewisse Befriedung bei uns? Die Juden- und Muslimfeindlichkeit hat zugenommen, über islamischen Antisemitismus sprachen wir schon.
Wenn es im Nahen Osten mehr religiöse Toleranz gäbe, könnten auch wir davon lernen und profitieren. Gerade in freien Gesellschaften müssen die Religionen tolerant miteinander umgehen können, sich akzeptieren und gegenseitig ihre Feste würdigen.

Sie dürfen nie die Religionszugehörigkeit zum Hauptmerkmal der Abgrenzung machen, so wie das die AfD tut, die nur spalten und aufwiegeln will – mal mit antisemitischen, mal mit antimuslimischen Positionen.

Juden wie Muslime äußern angesichts der Entwicklung in Deutschland erste Auswanderungsgedanken. Wie groß ist aus Ihrer Sicht die Gefahr, dass die AfD trotz oder wegen ihrer Positionen zur Gestaltungsmacht wird?
Weil ich ein optimistischer Mensch bin, setze ich darauf, dass die Menschen bei der Bundestagswahl 2025 schon wissen werden, was auf dem Spiel steht. Am Ende werden die Deutschen keine rechtsradikale Partei wählen, die Deutschland aus der EU und in den ökonomischen Untergang führt – da denke ich wie der Bundeskanzler.

Bei der Europawahl und den Landtagswahlen im kommenden Jahr bin ich mir aber nicht so sicher. Dort ist die Gefahr sehr real, dass die AfD mehr Macht erhalten könnte, um die Demokratie zu blockieren. Die aktuellen Umfragewerte sind extrem beunruhigend. Hier müssen Demokraten über Parteigrenzen hinweg zusammenstehen.

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