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Karl Lauterbach, Bundesgesundheitsminister hält eine Rede während des High-Level-Forums "Pandemien - keine Zeit für Nachlässigkeit" im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am 28. September 2023 in Berlin, Deutschland.

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Update

Zehntausende Arztpraxen geschlossen: Lauterbach hat für Ärztestreik kein Verständnis

Heute bleiben viele Arztpraxen wegen eines bundesweiten Streiks geschlossen. Welche Forderungen haben die Protestierenden? Und wohin kann man sich als Patient jetzt wenden?

| Update:

Unmittelbar vor einem bundesweiten Ärztestreik an diesem Montag hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach Forderungen nach mehr Geld infrage gestellt.

„Am Brückentag schließen viele Praxen, wie die Apotheker wollen auch sie mehr Geld. Im Mittel (Median) verdienen sie aber nach Abzug aller Kosten um die 230.000 Euro pro Jahr“, schrieb der Sozialdemokrat auf der Internet-Plattform X (vormals Twitter).

Und er fragte - offensichtlich rhetorisch gemeint: „Soll der Beitragssatz für Arbeitnehmer steigen, damit das Honorar weiter steigt?“

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Warum bleiben die Arztpraxen am Montag geschlossen?

Tausende Haus- und Fachärzte wollen an diesem Montag aus Protest gegen die Gesundheitspolitik ihre Praxen nicht öffnen. Der mit organisierende Verband der Praxisärzte, der Virchowbund, wirft Lauterbach vor, sich zwar für die Krankenhäuser zu interessieren, die Nöte niedergelassener Ärzte aber zu ignorieren.

Der Verband nennt auch andere Summen als Lauterbach und spricht von einem Praxisüberschuss von 172.903 Euro im Jahr und einem Nettoeinkommen – nach Abzug von Altersvorsorge, Kranken- und Pflegeversicherung sowie Einkommenssteuer – von 85.555 Euro.

Der Virchowbund konterte Lauterbachs Angabe zu den Ärztehonoraren am Montag mit der Aussage, es sei „traurig, dass der Minister nicht rechnen kann.“ Die Zahlen gälten pro Praxis und nicht pro Arzt, der Reinertrag sei kein Gewinn. Zudem vermisste der Verband eine Aussage „zu den inhaltlichen Forderungen der niedergelassenen Ärzte.“

Auf der Protest-Webseite des Verbands ist von „schmerzhaften Sparmaßnahmen“ die Rede, zu denen die Politik und die Krankenkassen die Praxen seit Jahrzehnten zwängen. „Der Bundesgesundheitsminister nimmt billigend in Kauf, dass die Praxen kollabieren und die ambulante Versorgung in Deutschland und Hessen mehr denn je ins Wanken gerät“, sagten die Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Hessen, Frank Dastych und Armin Beck, vor dem Aktionstag.

Lauterbach wolle das Gesundheitssystem in „Richtung Staatsmedizin umbauen“, wird kritisiert. Zudem seien viele Praxen durch Inflation, hohe Energiepreise oder auch Fachkräftemangel in Not.

Symbolisch warfen Ärzte bei dem Protestmarsch „Ärzte in Not“ ihre Arztkittel vor das Gesundheitsministerium in Berlin.

© picture alliance/dpa

Die Praxen könnten die Patientinnen und Patienten nicht mehr so versorgen, wie sie wollten, beklagte der Bundesvorsitzende des Virchowbundes, Dirk Heinrich, am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. Durch Sparmaßnahmen und Leistungskürzungen würden Termine für Patientinnen und Patienten „immer rarer“. Wenn sich nichts ändere, würden sich Patientinnen und Patienten an „monatelange Wartelisten auf haus- und fachärztliche Termine“ gewöhnen müssen, so Heinrich.

Wir gehen davon aus, dass das nicht die letzte Aktion gewesen sein wird.

Adrian Zagler, Virchowbund

Er verwies auch auf die Streichung der sogenannten Neupatientenregelung zu Jahresbeginn, die Ärzten seit 2019 besondere finanzielle Anreize bot, damit sie neue Patienten aufnehmen und kurzfristig zusätzliche Termine anbieten. Dieser Schritt müsse zurückgenommen werden, forderte Heinrich.

Der Ärzteverband wirft Lauterbach vor, sich zu sehr für Krankenhäuser und zu wenig für die Probleme niedergelassene Ärzte zu interessieren.

Im Gespräch mit der Mediengruppe Bayern sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, voraus: „Wir werden erleben, dass immer mehr Ärzte die Leistungsmenge der Geldmenge anpassen.“ Derzeit würden rund zehn Prozent der Leistungen in Deutschland nicht vergütet.

Ärzte gehen bei dem Protestmarsch „Ärzte in Not“ durch Berlin Mitte.

© picture alliance/dpa

Er erwarte, dass es in Praxen auch häufiger Viertagewochen geben werde. Auf X schrieb die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Politik müsse „endlich aufwachen, um den Praxenkollaps zu verhindern“.

Massive Kritik an Lauterbachs Aussagen von FDP und Union

Für seine Aussagen auf X erntete Lauterbach Kritik aus FDP und Union. „Es ist nicht die Aufgabe der Politik, einen Streik zu bewerten oder zu verurteilen“, sagte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Andrew Ullmann, der Mediengruppe Bayern. Die niedergelassenen Ärztinnnen und Ärzte würden bei der „notwendigen und überfälligen Reform des Gesundheitswesens“ dringend gebraucht.

Die gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Tino Sorge (CDU), sagte der Mediengruppe, Lauterbach habe es „geschafft, innerhalb von zwei Jahren große Teile des Gesundheitswesens gegen sich aufzubringen.“ Der Protest unter dem Motto „Praxis in Not“ richtet sich nach Angaben des Virchowbundes gegen die Politik und die Krankenkassen.

Geschlossene Arztpraxen: Gibt es einen Notdienst?

Der Virchowbund rechnet damit, dass deutschlandweit eine fünfstellige Zahl von Arztpraxen geschlossen sein werden. Er hatte zu der Aktion aufgerufen, weitere knapp 20 Ärzteverbände sowie die Kassenärztlichen Vereinigungen hatten sich angeschlossen.

Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung soll es einen flächendeckenden Not- und Bereitschaftsdienst geben. Wer nicht bis zur Praxisöffnung am Mittwoch warten könne, solle den Patientenservice unter der Nummer 116117 (ohne Vorwahl) nutzen, hieß es in einem Post auf der Plattform X.

In NRW wies die KV Nordrhein darauf hin, dass andere Praxen vertretungsweise die Versorgung vor Ort übernehmen wollten. „Jeder Patient, der heute dringendsten Bedarf hat, Notfälle, werden natürlich versorgt“, versicherte auch der Virchowbund-Vorsitzende Heinrich im ZDF.

Berlin: Ärzte legen weiße Kittel vorm Gesundheitsministerium ab

In Berlin zogen Mediziner am Montag zum Gesundheitsministerium, um dort symbolisch ihre weißen Kittel niederzulegen. Die Sprecherin der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin, Dörthe Arnold, sagte am Montag: „Wir wissen nicht genau, wie viele Praxen in Berlin sich dem Protest angeschlossen haben. Wir gehen davon aus, dass es zahlreiche sind.

Die KV unterstütze den Warnstreik der Ärzte: „Wir unterstützen das und haben auch einen Notdienst eingerichtet.“ Die sechs Notdienstpraxen der KV für Erwachsene an den Krankenhäusern seien den gesamten Tag geöffnet. „Wir haben den ärztlichen Bereitschaftsdienst verstärkt, für den Fall, dass Praxen geschlossen sind und es Patienten gibt, die schnelle Hilfe benötigen.“

Nach Einschätzung der KV sind viele Berliner Arztpraxen unter erheblichem Druck. Die ambulante Versorgung sei an einem Scheideweg, sagte Arnold. Adrian Zagler vom Virchowbund stellte weitere Proteste in Aussicht: „Wir gehen davon aus, dass das nicht die letzte Aktion gewesen sein wird“, sagte er am Montag. (dpa, Tsp)

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