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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht derzeit mannigfaltig in der Kritik.

© Reuters/Annegret Hilse

Zauderer, Zögerer, Langweiler?: Gerechtigkeit für Olaf Scholz!

Seine Partei, die SPD, verliert bei Wahlen, er selbst sackt in Umfragen ab. Ist der Kanzler wirklich so schlecht wie sein Ruf? Ein Kommentar.

Er regiert seit fünfeinhalb Monaten. Das ist nicht lang. Doch sein Negativ-Image als Kanzler verfestigt sich, zumal nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, wo die SPD gewaltig absackte. Hier eine kleine, unvollständige Liste von Begriffen, mit denen Olaf Scholz charakterisiert wird: Zauderer, Zögerer, monotone Rhetorik, Scholzomat, Merkel-Imitat, ungerührt, ohne Minenspiel, Satzbaustein-Vorleser.

Das muss ein Kanzler aushalten. Niemand hat ihn in dieses Amt gedrängt. Doch werden da nicht in erster Linie Haltungs- und Stil-Noten verteilt? Scholz, der Langweiler – das mag eine auf Schlagzeilen fixierte Öffentlichkeit nicht. Wird Deutschland schlecht regiert, weil dem Kanzler das Charisma fehlt? Es fällt auf, dass die Inhalte seiner Politik erstaunlich gute Noten bekommen. Gerechtigkeit für Olaf Scholz? Ein Versuch.

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In seiner „Zeitenwende-Rede“, nur drei Tage nach Beginn des russischen Aggressionskrieges gegen die Ukraine, verkündete Scholz eine radikal neue Sicherheitspolitik. Sie schloss Waffenlieferungen ein, harte Sanktionen, ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die Bundeswehr, bewaffnete Drohnen, Atomwaffen tragende moderne Kampfjets. Es war ein Bruch mit jahrzehntealter bundesrepublikanischer Tradition.

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Es gibt die Angst vor einer Eskalation des Konflikts

Seitdem nimmt Deutschland im Ukraine-Krieg in Bezug auf finanzielle Unterstützung, Aufnahme von Flüchtlingen und Waffenlieferungen im Rahmen der Europäischen Union eine zentrale Rolle ein. An manchen Stellen hakt es – man denke an die Lieferung von Schutzhelmen oder an die Suche nach geeigneter Munition für den „Gepard“-Panzer -, aber kaum einer zweifelt an der grundsätzlichen Solidarität der Bundesregierung mit der Ukraine. Dazu gehört die Inkaufnahme einer höheren Inflation durch steigende Energiepreise. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sucht eifrig nach Möglichkeiten, den Import von Kohle, Öl und Erdgas aus Russland zu stoppen. Auch das wäre eine Zeitenwende.

Putin setzt auf Spaltung. Deshalb muss der Westen mit Geschlossenheit antworten. Scholz ist spürbar bestrebt, möglichst große Teile der deutschen Gesellschaft, inklusive Sozialdemokratie und Opposition, in seinen Kurs einzubinden. Es gibt die Angst vor einer Eskalation des Konflikts, vor einem Atomwaffeneinsatz, dokumentiert nicht zuletzt durch offene Briefe. Eine Auf-sie-mit-Gebrüll-Haltung von Scholz als Reaktion auf Putins Aggression hätte wohl inneren Unfrieden gestiftet.

Seinen Regierungsstil hat der Kanzler während seines Antrittsbesuchs beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam formuliert: „Es ist wichtig, kühlen Kopf zu bewahren, klar und entschlossen zu sein und vorsichtig zu bleiben.“ In seiner achtminütigen TV-Rede an die Nation am Abend des 8. Mai definierte er dann die vier Prinzipien seiner Ukrainepolitik: Keine deutschen Alleingänge, die eigene Verteidigungsfähigkeit erhalten, nichts tun, was uns mehr schadet als Russland, keine Entscheidung treffen, die die Nato Kriegspartei werden lässt. „Dabei bleibt es.“ Was ist daran nicht zu verstehen?

In der Ampel müssen alle Parteien Kröten schlucken

Um viele Härten der Inflation abzufedern, beschloss die Regierung finanzielle Entlastungspakete in jeweils zweistelliger Milliardenhöhe. Das muss der FDP-Finanzminister mitverantworten, obwohl liberale Medien bereits vor einer „Vollkasko-Republik“ durch das Verteilen von „Sozialboni“ warnen. Aber in der Ampel müssen alle Parteien Kröten schlucken. Deshalb konnten sich SPD und Grüne nicht mit der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen die FDP durchsetzen.

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Die Ampel-Koalition auf Bundesebene ist ein Novum in Deutschland. Da prallen sehr unterschiedliche Interessen und Traditionsstränge aufeinander. Auf die doppelte Krise aus Corona und Krieg waren die Akteure nicht vorbereitet. Deutschland hat in diesem Jahr den Vorsitz der G7, Scholz spricht sich intensiv mit Emmanuel Macron ab, telefoniert regelmäßig mit Putin und Wolodymyr Selenskyj. Mag sein, dass ihm zu wenig Zeit für regelmäßige Koalitionstreffen blieb.

Das würde auch erklären, warum das Trio aus FDP-Verteidigungsministerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, dem Grünen Europaexperten Anton Hofreiter und Michael Roth von der SPD nach ihrem Besuch in der Ukraine das Zauderer-Image von Scholz massiv verstärkten. Außenpolitik und Nebenaußenpolitik vertragen sich oft nicht.

Er ist Hanseat, eher maulfaul, eher bedächtig in seiner Wortwahl

Scholz muss sich und seine Politik besser erklären, heißt es. Aber zur Erinnerung: Während seiner Antrittsbesuche bei Joe Biden in Washington und Wladimir Putin in Moskau zeigte der Kanzler sich schlagfertig und gut informiert. In einem Interview im amerikanischen TV-Sender CNN distanzierte er sich auf Englisch klar und unmissverständlich vom Gasprom-Lobbyisten Gerhard Schröder. Auf der Pressekonferenz in Moskau scherzte er süffisant über die wahrscheinlich unterschiedliche Länge von Putins und seiner Amtszeit. Das war vor dessen Angriffs- und Eroberungskrieg.

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Scholz ist Hanseat, eher maulfaul, eher bedächtig in seiner Wortwahl. Von Merkel hat er gelernt, situativ zur Not schnell zu reagieren, ansonsten aber möglichst vage zu bleiben, um sich keine Optionen zu verbauen. Er will es vermeiden, als ein Getriebener zu wirken, dessen Kurs abhängig ist von Opposition, öffentlicher Meinung oder forschen Koalitionsmitgliedern.

Seine Schwachstelle ist der daraus manchmal resultierende Trotz. An Verteidigungsministerin Christine Lambrecht festzuhalten, mag Scholz mit Loyalität begründen. Aber womöglich hat er selbst längst gemerkt, dass diese Personalie ein Fehler war.

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